Haruki Murakami: "Erste Person Singular", Erzählungen
aus dem Japanischen übersetzt von Ursula Gräfe
Dumont Verlag, Köln 2021
218 Seiten, 22 Euro
Ein globaler Pseudo-Mystiker
07:18 Minuten
Haruki Murakamis Erzählband "Erste Person Singular" versammelt die typischen Zutaten des japanischen Erfolgsautors: sprechende Affen, doppelte Böden, das Spiel mit Masken. Die Sprache ist einfach, die Wendungen banal. So geht Gefälligkeit.
Haruki Murakami scheint den Bogen raus zu haben: Beinahe jedes seiner Bücher ist ein Welterfolg, seine Auflagen sind schwindelerregend, er wird mit Auszeichnungen überhäuft, es gibt Verfilmungen und Theateradaptionen, bei Spekulationen über den Nobelpreis taucht sein Name mit schöner Regelmäßigkeit auf.
Ein derartig universaler Erfolg stimmt skeptisch. Was ist eigentlich an ihm dran?
"Erste Person Singular" heißt der jüngste Erzählungsband des Japaners, und der Titel ist Programm. Der 1949 in Kyoto geborene Schriftsteller verwendet nicht nur die Ich-Perspektive, sondern bringt zahlreiche autobiografische Elemente ins Spiel.
Sehr oft ist von einem jungen Mann die Rede, der literarische Ambitionen hat. Oder es steht ein bereits arrivierter Autor im Mittelpunkt, der sich an eine lange zurückliegende Episode erinnert.
Wink mit dem Edgar-Allen-Poe-Zaunpfahl
In der Titelgeschichte öffnet der Held seinen Kleiderschrank und beschließt, ausnahmsweise einen Anzug anzuziehen. Das Kleidungsstück ist für ihn ungewöhnlich. Im Anzug kommt er sich wie ein anderer vor – so als gerieten seine tatsächliche Person und sein Äußeres in Widerstreit.
Als er mit seinem Paul-Smith-Zweiteiler allein in einer Bar sitzt, wird er plötzlich von einer fremden Frau angegriffen, die ihm vorwirft, vor drei Jahren etwas Widerwärtiges getan zu haben. Verwirrt verlässt der Mann das Lokal.
In einer anderen Geschichte geht es um eine Liebesnacht, die der 19-jährige Icherzähler eher aus Zufall mit einer Kellnerin verbringt. Am nächsten Tag schickt sie ihm einen Band mit Tankas, japanischen Kurzgedichten, die ihn eigentümlich berühren. Immer wieder ist von Enthauptung die Rede.
In einer dritten Geschichte taucht ein ausgewachsener Affe in einem Hoteldampfbad auf und schrubbt dem Helden den Rücken. Frauen wollen mit dem Affen nichts zu tun haben, weshalb er denen, die er begehrt, den Namen stiehlt.
Hier winkt Murakami nicht nur mit dem Edgar-Allen-Poe-Zaunpfahl; derselbe Affe mit derselben Manie war bereits in dem Band "Blinde Weide, schlafende Frau" (2006) aufgetaucht.
Elaborierte Gespräche
Die Erzählungen lassen sich ohne große Widerstände wegschlotzen, verläppern sich aber rasch. Der gesamte Band ist von typischen Haruki-Murakami-Beigaben durchzogen: leicht mystische Erfahrungen, sprechende Affen, Jazzmusik, doppelte Böden, das Spiel mit Masken, Selbstmord.
Die Erfahrung der Spaltung, ein großes Thema der frühen Moderne, wird eher einfallslos variiert, die Wendungen sind oft banal, die Sprache betont einfach.
Nur die Geschichte "Carnaval" wartet mit einer überraschenden Pointe auf: Der Held freundet sich mit einer auffallend hässlichen, aber musikalisch hochgebildeten Frau an, führt elaborierte Gespräche über Schumann und besucht gemeinsam mit ihr Konzerte.
Eines Abends sieht er in den Abendnachrichten, wie ausgerechnet diese Person in Handschellen abgeführt wird. Das ändert wenig am Gesamteindruck: Haruki Murakami ist ein globalistischer Pseudo-Mystiker, der Exotik auf ein erträgliches Maß herunterdimmt und gefällig zu erzählen weiß.