Harvard-Politikwissenschaftler Daniel Ziblatt

"Wer demokratische Normen verletzt, darf nicht belohnt werden"

Tausende Polen demonstrierten im Jahr 2016 mit roten Karten gegen Gesetze der PiS-Regierung.
Wir dürfen die Demokratie nicht als etwas Selbstverständliches ansehen, mahnt Daniel Ziblatt. © imago/Sven Simon
Daniel Ziblatt im Gespräch mit Dieter Kassel |
Demokratien sterben heute leise. Nicht der Putsch bringt sie an die Macht, sondern die Wähler selbst heben die Autokraten ins Amt. Harvard-Professor Daniel Ziblatt macht deutlich, wie man die Gegner der Demokratie erkennt – und bekämpft.
Dieter Kassel: Herr Ziblatt, Ihr Buch konzentriert sich nicht nur - aber doch stark - auf die USA. Nun sind Sie im Moment gerade in Deutschland - nicht nur für ein, zwei Tage, sondern etwas länger. Spüren Sie auch hier in Deutschland so etwas wie eine tödliche Bedrohung für die Demokratie?
Daniel Ziblatt: Ich weiß nicht, ob es eine tödliche Bedrohung ist, aber alle westlichen Demokratien stehen vor Herausforderungen wie seit der Mitte des 20. Jahrhunderts nicht mehr. Die Bedrohung kommt in neuer Form daher: Als extreme Polarisierung und als Aufstieg von demagogischen Außenseitern, die sich nicht mehr an demokratische Spielregeln gebunden fühlen. Das erleben wir in Deutschland, das haben wir im Laufe der letzten Jahre in Frankreich gesehen, in Italien und in den Vereinigten Staaten. Das deutsche Mehrparteiensystem ist sehr robust und hat dem Trend besser standgehalten als die USA – bis zum aktuellen Zeitpunkt jedenfalls.
Der Harvard-Professor Daniel Ziblatt
Der Harvard-Professor Daniel Ziblatt© Stephanie Mitchell
Kassel: Gerade was die Vereinigten Staaten angeht, haben viele - sie geben das zu - geglaubt, eine Demokratie wie die der USA kann gar nicht in Gefahr geraten. Und nun geben Sie zu, doch gerade in den USA ist die Demokratie gefährdet. Das heißt: Man kann ja fast in keinem Land mit absoluter Sicherheit sagen: Hier gibt es keine Gefahr.
Ziblatt: Das stimmt natürlich. Eine der wichtigsten Lehren unseres Buches ist: Man darf die Demokratie nie als etwas Selbstverständliches ansehen. Die meisten Amerikaner – und ich gehöre dazu – dachten immer, die Politiker können so ruchlos sein wie sie wollen, unsere Institutionen werden immer bestehen bleiben.

"Worte können gefährlich sein"

Eine der Lehren des Buches, der jüngsten amerikanischen Geschichte und jüngerer Demokratien ist jedoch: Man kann nie davon ausgehen, dass Demokratien etwas Selbstverständliches sind. Bürger und gewählte Politiker müssen die Demokratie richtig verteidigen. Manchmal denken wir, Leute reden einfach nur so daher, aber Worte können gefährlich sein. Wenn Menschen demagogisch und gefährlich daherreden, können sie die Demokratie gefährden.
Kassel: Es gibt die Politiker, die die Demokratie ablehnen und sie dadurch gefährden, aber wir haben gesagt: Sie werden gewählt. Ich bin jetzt in der Gegenwart, im Hier und Heute, in den USA und Europa. Was führt denn dazu, dass so viele Wähler sagen: Ich bin bereit, einen Mann oder eine Partei zu wählen, die eigentlich anti-demokratisch ist?
Ziblatt: Das ist der große Widerspruch unserer Zeit: Da gelangen Personen durch Wahlen an die Macht und oft sind sie beliebt. Die Wähler sind vielleicht unzufrieden, fühlen sich nicht mitgenommen, haben das Gefühl als würden die gewählten Vertreter ihnen nicht zuhören.
Deshalb stimmen sie für Außenseiter. Das bedeutet nicht, dass die Wähler undemokratisch sind, aber sie ignorieren in vielen Fällen die autoritären Tendenzen dieser Außenseiter und wählen sie nur aus ihrer Unzufriedenheit heraus.
Die Gefahr ist, dass sie aus nachvollziehbaren Gründen, wie der Sorge um die Wirtschaft oder die Ausgabenpolitik oder weil sie glauben, dass es zu viele Immigranten gibt, Personen wählen, die später die demokratischen Institutionen angreifen. Das ist die Gefahr und weil sie den Mantel der demokratischen Legitimierung haben, macht es sie doppelt gefährlich.

Klassischer historischer Fehler: Anti-Demokraten einbinden

Kassel: Aber könnte es nicht auch sein, dass Menschen in Europa, in den USA, sich so sehr an die Demokratie gewöhnt haben, dass sie gar nicht mehr den Eindruck haben, man muss auch um sie kämpfen – nicht nur um sie zu erschaffen, sondern auch um sie zu behalten?
Ziblatt: Das ist richtig und das war einer der Gründe für das Buch. Es soll unsere Mitbürger in den USA und die Leser in Europa oder sonst wo auf der Welt warnen, dass wir die Demokratie nicht als etwas Selbstverständliches ansehen dürfen.
Konkret bedeutet das: Wenn demokratische Normen verletzt werden, dann darf das nicht belohnt werden, da darf man nicht wegschauen: Das ist eine rote Linie zu ziehen! Wenn Politiker die Medien angreifen, wenn sie ihre legitimen Gegner attackieren, indem sie sie ohne Beweise als Kriminelle, Subversive oder als Agenten fremder Mächte bezeichnen, dann ist das ein Angriff auf die Demokratie.
Die Wähler und gewählten Politiker müssen wachsam sein und gewählte Führer strafen, indem sie nicht für sie stimmen und keine Koalitionen mit ihnen eingehen. Das ist ein kritischer Punkt, wenn Politiker aus Opportunismus heraus glauben, sie könnten solche Kräfte durch Koalitionen eindämmen. Das ist ein klassischer historischer Fehler. Das ist ein Faustscher Pakt, der wie ein Schuss nach hinten losgeht. Wenn Politiker der Mitte Koalitionen eingehen mit Außenseitern, die die Demokratie gefährden, dann gewinnen meist die Außenseiter.

Auf die Unzufriedenheit der Wähler eingehen

Kassel: Aber ist das nicht eine Gefahr, die wir gerade in Deutschland im Moment erleben? Lassen Sie uns einmal ganz konkret werden, Sie sind in München im Moment. Erleben wir nicht, wie die CSU versucht, die AfD zu bekämpfen, indem sie den Wählern das Gleiche anbietet wie die AfD?
Ziblatt: Sie haben Recht. Die Gefahr besteht. CDU, CSU – alle konservativen Parteien stehen vor dem gleichen Dilemma: Das ist ein echtes Problem, für das es keine leichten Lösungen gibt. Wenn jemand am Horizont auftaucht und zur Bedrohung wird, übernimmst du dann einen Teil seiner Sprache und verringerst somit die Gefahr oder ziehst Du eine klare Linie und sagst 'Wir kooperieren unter keinen Umständen mit denen' und verlierst deshalb Wähler an sie? Das ist ein großes Dilemma, eine große Herausforderung. Da gibt es keine einfachen Antworten.
Im Allgemeinen glaube ich, dass gewählte Politiker keine Koalitionen mit Politikern eingehen sollten, die die demokratische Ordnung zu gefährden oder abzuschaffen drohen.
Gleichzeitig müssen die Parteien versuchen, auf die Unzufriedenheit der Wähler einzugehen, aber sie müssen eine Sprache finden, die nicht die Ideen derjenigen legitimiert, die die Demokratie abschaffen wollen. Vielleicht können sie kurzfristig Wahlen gewinnen, wenn sie es tun, aber langfristig gefährden sie damit die Demokratie, da sie dieses gefährliche Gedankengut legitimieren.
Kassel: Aber es gibt ja Sachen in Ihrem Buch, bei Ihren Analysen, die einfach scheinen, aber schwer umzusetzen sind. Sie sagen ja auch klar, woran man politische Führer, die die Demokratie ablehnen, erkennt. Ein Beispiel haben Sie selbst schon genannt: Kritik an den Medien, also keine normale Kritik, sondern von Fake News zu sprechen und zu sagen, die Medien lügen; über den politischen Gegner nicht nur zu sagen, er ist ein Gegner, sondern er ist ein Feind, wie Donald Trump es getan hat, als er Hillary Clinton ins Gefängnis gewünscht hat. Es gibt noch ein paar Kriterien mehr, aber wie kann man das, wenn man das erkennt, umsetzen? Nehmen wir das Beispiel Medien. Wenn ein Donald Trump sagt: Ich spreche nicht mit CNN, ich spreche nicht mit CBS, - gut er sagt es Montag und Dienstag tut er es -, aber wenn er sagt 'Ich mache das nicht', dann kann man ihn doch nicht zwingen?

"Man muss solche Praktiken anprangern"

Ziblatt: Natürlich, aber die Frage ist doch: Was tust du als Wähler und was machst du als Politiker? Billigst du das ausdrücklich oder sagst du laut: Das ist völlig unakzeptabel! Stimmst du als Wähler für Politiker, die sich so verhalten, oder wählst du sie nicht!
Natürlich dürfen Politiker die Medien kritisieren. Das hat sogar Tradition. Der entscheidende Punkt ist jedoch, ob sie den Medien drohen, mit Verfahren, indem sie drohen, die Verleumdungsgesetze zu ändern. So etwas kommt direkt aus dem Handbuch für Autoritarismus! Autoritäre Politiker schließen heutzutage keine Zeitungen oder senden Truppen, um Fernseh- oder Radiostationen dicht zu machen, sie benutzen viel subtilere Methoden. Sie setzen die Medien unter Druck, um die Pressefreiheit zu begrenzen. Ein wichtiger Punkt des Buches ist es, den Lesern und Bürgern diese Strategien und ihre Anwendung aufzuzeigen und sie aufzufordern, die gewählten Politiker dafür verantwortlich zu machen. Man muss solche Praktiken anprangern und klarmachen, dass man solche politischen Führer nicht wählt. Die ultimative Macht der Wähler ist die Wahlurne!
Kassel: Sind Sie eigentlich trotz allem ein optimistischer Mensch? Ist das für Sie eine Krise der Demokratie, aus der die Demokratie gestärkt hervorgehen wird, irgendwann?
Ziblatt: Wenn wir über die USA sprechen, so handelt es sich um eine sehr reiche, alte Demokratie. Alte, reiche Demokratien sterben eigentlich nie. Je älter ein Land als Demokratie, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Demokratie stirbt. Die USA haben zudem eine verlässliche Zivilgesellschaft, die Institutionen sind gefestigt und erfahren. Im November gibt es entscheidende Wahlen. Was ich in Amerika und in Europa sehe, ist wachsende Besorgnis. Die Bürger merken, dass sie sich mobilisieren, dass sie handeln müssen, dass sie die Demokratie nicht als etwas Selbstverständliches ansehen können und - wie Sie sagen könnte - die Demokratie am Ende dieses Prozesses gestärkt wird. Das ist das optimistische Szenario, der Grund weshalb wir dieses Buch geschrieben haben und weshalb sich viele Menschen engagieren, auch weil sie glauben, die Bürger können etwas verändern.
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