Zonen des Antisemitismus in Frankreich
Die französische Gesellschaft ist zwar nicht vom Antisemitismus durchzogen. Doch eine neue Studie zeigt: In manchen Bereichen grassiert noch immer der Hass auf Juden - und das nicht nur bei den Rechten vom Front National.
Seit ein paar Jahren schon gehen im Süden Frankreichs, in Cannes, Juden, Christen, Muslime und Buddhisten gemeinsam auf die Straße. Die Initiative heißt "Zusammenleben in Cannes". Auch in Paris wurde der "Tag der Toleranz" am Sonntag begangen, der Direktor der Großen Moschee, Vertreter von jüdischen und christlichen Gemeinden, auch Buddhisten trafen sich.
"Damit kann zweifellos den negativen Kräften etwas entgegengestellt werden."
Dominique Reynié denkt in seinem Büro in Paris an all die kleineren und größeren Aktionen, die in ganz Frankreich an diesen Novemberwochenenden stattfinden.
Reynié hat mit seinem Team in der Denkfabrik "Fondapol" gerade eine Studie über "neuen Antisemitismus" abgeschlossen. Die Nacht war kurz, das Papier mit den vielen Zahlen ist noch druckfrisch. "Die französische Gesellschaft ist nicht von Antisemitismus durchzogen", sagt Reynié, aber es gibt antisemitische Zonen und zwar bedeutende:
"Den Front National, die Muslime, je stärker sie ihre Religion praktizieren, aber auch einen Teil der Linken, die Linksfront, und schließlich soziale Netzwerke und die Video-Plattformen im Internet."
Die Forscher um Dominque Reynié legten einer Gruppe von Franzosen älter als 16 sehr konkrete Fragen vor:
"Sind Sie einverstanden mit der Behauptung, die Juden hätten zu viel politische Macht?"
19 Prozent waren einverstanden.
"Zu viel Einfluss in der Finanzwelt?" 25 Prozent fanden: Ja! "Nutzen die Juden ihren Opferstatus nach dem Genozid durch die Nazis für ihre eigenen Interessen?", fragten die Forscher dann. 35 Prozent der Befragten antworteten mit "Ja" .
Jeder fünfte Franzose wäre gegen einen jüdischen Präsidenten
Einen jüdischen Präsidenten würden sich, hätten sie die Wahl, 21 Prozent nicht wünschen, 10 Prozent würden sich gegen einen jüdischen Arbeitgeber entscheiden und 6 Prozent würden einen jüdischen Nachbarn lieber vermeiden.
"Eine zufällig zusammengestellte Gruppe von 1000 Personen wurde da befragt, alle Arten von Schulabschlüssen, von Einkommens- und Berufsgruppen."
Dominique Reynié geht in seinem zweistündigen Vortrag Zahl für Zahl, Fragestellung für Fragestellung durch.
"Etwa 40 Prozent der Anhänger des FN finden, dass Franzosen jüdischen Glaubens nicht so französisch seien, wie andere Franzosen. "
Die Chefin des Front National, Marine Le Pen, warnt jeden, der die Partei öffentlich rassistisch oder rechtsextrem nennt, vor juristischen Konsequenzen. So auch in dieser Fernsehsendung, als eine junge Zuschauerin die Worte in den Mund nahm.
"Alles, was Sie sagen, ist falsch!", konterte Marine Le Pen. "Der Front National ist ganz und gar nicht rassistisch. Es gibt keinen einzigen Punkt in unserem Programm, der Bezug auf die Rasse nimmt."
Die Meinungsforscher von "Fondapol" sehen das differenzierter:
"Wir haben es mit einer Partei zu tun, die antisemitische und rassistische Wähler auf spektakuläre Weise mobilisiert."
Aber der Antisemitismus in Frankreich ist nicht nur Sache des FN.
"Der Antisemitismus vom Typ Antikapitalismus, Hass gegen Banker, gegen die Finanzwelt, das ist sehr präsent und zwar rechts wie links."
Erklärt Reynié, der nicht nur 1000 Franzosen älter als 16 befragen ließ, sondern auch eine gleichaltrige Gruppe von Muslimen, mit und ohne französische Staatsangehörigkeit
"Das höchste Niveau antisemitischer Äußerungen und Einstellungen findet sich bei den Front National-Anhängern und bei den praktizierenden Muslimen." Paradox, weil die muslimischen Einwanderer ihrerseits vom Front National ins Visier genommen werden.
"Aber man darf nicht nur schwarz malen. Es gibt sie auch, die teils sehr spontanen Initiativen, wie gerade den gemeinsamen Marsch von Juden, Muslimen, Christen, Buddhisten in Cannes. Die Antwort auf den Antisemitismus kann nicht nur vom Staat kommen. Voneinander lernen, verstehen, was passiert, achtsam sein, das muss auch aus der Zivilgesellschaft kommen, da besteht die Chance, dem Phänomen entgegenzuwirken."