Ausstellung über Hass in Stuttgart

Ein Gefühl mit zeitloser Zerstörungskraft

05:20 Minuten
Ein silberner Revolver aus dem 19. Jahrhundert
Dokumentiert, wie Hass zum Mord wird: Die ausgestellte Tatwaffe mit der 1866 der Politiker Otto von Bismarck getötet werden sollte. © Archiv der Otto-von-Bismarck-Stiftung Friedrichsruh
Von Rudolf Schmitz |
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Eine Ausstellung in Stuttgart widmet sich dem Hass – vom „Franzosen-Hass“ vergangener Tage bis zu Hass-E-Mails. Die destruktive Wucht der Empfindung lasse zweifeln, ob aus der Geschichte gelernt werden kann.
Geflechte aus blauen Seilen und große, unregelmäßig facettierte Stelen markieren den Parcours der Ausstellung "Hass. Was uns bewegt" im Haus der Geschichte Baden-Württemberg in Stuttgart. Besucher und Besucherinnen werden mit dem emotionalen Dickicht konfrontiert, das der wuchernde Hass immer wieder erzeugt. So jedenfalls lässt sich diese Inszenierung lesen.

Blick auf die Französische Revolution

Nicht zufällig bildet eine Schießscheibe aus Schwäbisch Hall den Auftakt der Ausstellung. Sie ist bemalt mit den zerstörten Symbolen von Monarchie und Kirche und zeigt Einschusslöcher.
„Sie stammt aus dem Jahr 1792 und zeigt die Französische Revolution als Ziel des Schützen", erklärt Ausstellungsleiter Rainer Schimpf. "Es wird auf die Revolution geschossen, um den antirevolutionären Hass einerseits deutlich zu machen, zum anderen bekommt hier die Feindschaft zu Frankreich eine neue Qualität."
Eine bemalte Schützenscheibe aus dem Jahr 1792 zeigt abgeschlagene Köpfe
Die Schützenscheibe aus dem Jahr 1792 zeichnet ein Schreckensbild der Französischen Revolution.© Hällisch-Fränkisches Museum
"Die Schützenscheibe zeigt sehr schön die Insignien der Französischen Revolution, von der Jakobinermütze angefangen bis hin zu den abgeschlagenen Köpfen von Klerikern", so Schimpf weiter. "Hier soll in Schwäbisch Hall Stimmung gemacht werden, hier ist ein neuer Feind im Westen, gegen den es zu kämpfen gilt."

Feindbilder können verändert werden

Wie dieses Feindbild Frankreich aufgebaut und immer stärker von nationalistischer Politik instrumentalisiert wird, um schließlich durch Charles de Gaulle und Konrad Adenauer in Freundschaft verwandelt zu werden, ist eines der durchgängigen Themen dieser Schau. Sie stürzt in ein Wechselbad der Gefühle. Denn zur Charakterisierung des Hasses gehört auch die Frage, ob es legitimen „guten“ Hass geben kann. Dazu ertönt das „Lied vom Hasse“, ersonnen von Georg Herwegh, einem Wegbereiter der 1848er-Revolution, erläutert Schimpf:
„Das 'Lied vom Hass' ist eines der zentralen Stücke im Vormärz, das versucht, einen neuen Ton anzuschlagen. Wir haben genug geliebt, wir wollen endlich hassen. Das ist eine Aussage, die auf dem Weg zur 48er-Revolution immer wieder kommen wird. Es muss einen Wechsel geben, es muss etwas geschehen. Das ist der Vorteil von Musik: Sie kann Emotionen auslösen, wie es Worte nicht oft können.“

Musik als wichtiger Faktor für die Emotion

Das Beklemmende an dieser Ausstellung sind die Kontinuitäten, die bei den Themen Nationalismus, Antisemitismus, politischer Radikalismus, Rassismus oder Frauenhass sichtbar werden. Was zum Beispiel die emotionalisierende Wirkung von Musik betrifft, so beherrschen die heutigen Rechtsrocker dieses Mittel der Politisierung perfekt, wie Kuratorin Natalia Kot erläutert:
„Das ist teilweise der erste Kontakt, den man zur rechten Szene hat. Teilweise steigt man mit Musik ein. Beim ersten Hören nimmt man noch gar nicht wahr, was für menschenfeindliche Botschaften sie transportiert."

Grenzenloser Hass

Die Stuttgarter Geschichtsausstellung zur verheerenden Wirkung einer abgründigen Emotion ist auch deshalb so frappierend, weil sie tatsächlich auf die Aussagekraft materieller Exponate setzt. Ein vergilbtes Stück Briefpapier wirkt unscheinbar, aber wenn man die Zeilen liest, die an die Witwe des ermordeten jüdischen Politikers Matthias Erzberger am 31. August 1921 gerichtet wurden, dann steht die antisemitische Gewaltatmosphäre der Weimarer Republik sofort vor Augen.
„Selbst nach seiner Ermordung geht die Schmähung weiter", sagt Rainer Schimpf. "Die Witwe erhält einen anonymen Brief, in dem vom Halunken, dem Verräter, dem Schurken gesprochen wird. Es wird angekündigt, dass der nächste Reichskanzler dran sein soll. 'Der Halunke soll auch noch ermordet werden. Ich kann nicht zur Beerdigung kommen, sonst würde ich auf den Sarg spucken.' So endet dieses Schreiben an die Witwe. Das zeigt das Ausmaß dieses grenzenlosen Hasses." 
Auch ein zerbrochenes Stück Fassade aus der Ulmer Synagoge ist alles andere als banal: Es demonstriert die vulgäre Kontinuität des Antisemitismus. Im August 2017 rammte ein Attentäter mit einem Poller mehrfach die Fassadenverkleidung der Synagoge, auf die 2021 dann noch ein Brandanschlag verübt wurde.

Social Media als große Hassplattform

Großes Thema der Stuttgarter Ausstellung sind die heutigen Hassmails in den sozialen Medien, die sich zu 80 Prozent gegen Frauen richten und oft wie Vorstufen des Femizids wirken.
Ein rotes Paar Frauen-Schuhe steht vor einer Farbskala
Frauenhass: Ein Schuhpaar einer Aktion, die auf die Tötung von Frauen durch Gewalt in der Partnerschaft aufmerksam machte.© Haus der Geschichte Baden-Württemberg
Diese Ausstellung zur destruktiven Wucht einer kaum zu bändigenden Emotion lässt einen zweifeln, ob aus der Geschichte gelernt werden kann. Damit man nicht gänzlich den Mut verliert, werden zum Schluss Organisationen vorgestellt, die sich gegen den Hass wenden, die Hilfe und Unterstützung bei Hassattacken bieten.
Mit den Beispielen mutiger Menschen, die jeglicher Art von Hass entgegentraten und Opfern zur Seite standen, erlaubt die Ausstellung einen optimistischen Ausblick auf den geplanten letzten Teil der Trilogie geschichtsmächtiger Emotionen: der Liebe.

"Hass. Was uns bewegt"
Ausstellung im Haus der Geschichte Baden-Württemberg in Stuttgart
vom 17. Dezember 2021 bis 24. Juli 2022

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