Facebook als Brandbeschleuniger für rechte Hetze
Gefangen in der braunen Filterblase: Facebook verstärkt mit seinen Algorithmen rechtsextremes Gedankengut, meint der Berliner Richter Ulf Buermeyer. Damit wirke das Netzwerk wie ein Brandbeschleuniger für die aktuelle Welle fremdenfeindlicher Gewalt.
Fast täglich machen derzeit Meldungen von fremdenfeindlichen Übergriffen die Runde, Demonstrationen gegen eine vermeintliche Überfremdung Deutschlands ziehen tausende Menschen an. Sucht man nach Erklärungen für solche Phänomene, so fällt immer wieder das Stichwort "Facebook". Doch welche Rolle spielt das soziale Netzwerk wirklich bei der Entstehung von Rechtsradikalismus?
Die Amadeu-Antonio-Stiftung, die sich für Opfer faschistischer Gewalt einsetzt, hat sich im Netz umgesehen und eine interessante Übereinstimmung gefunden: Die Orte, an denen es auf Facebook "Nein-zum-Heim"-Gruppen gibt, wo also Menschen virtuell gegen Wohnheime für Geflüchtete hetzen, sind oft auch Orte, an denen tatsächlich Unterkünfte attackiert werden. Und es sind viele Angriffe: Die taz hat jüngst ausgerechnet, dass statistisch an jedem dritten Tag ein Übergriff stattfindet – insgesamt 112 im vergangenen Jahr.
Die Gefahren der "gleichgeschalteten" Facebook-Timeline
Doch eine Korrelation begründet noch keine Kausalität. Trägt Facebook auch eine Mitschuld an der Welle fremdenfeindlicher Gewalt? Um dieser Frage nachzugehen muss man verstehen, wie das soziale Netzwerk die Inhalte auswählt, die Nutzerinnen und Nutzern angezeigt werden: Facebook verfährt hier kompromisslos nach dem Wohlfühl-Prinzip. Die über die Jahre verfeinerten Algorithmen zeigen genau die Inhalte zuerst an, von denen anzunehmen ist, dass sie den Nutzerinnen und Nutzern gefallen. Um dies zu erreichen, merkt sich die Plattform jedes "Like" und jeden Link, den jemand auf der Plattform weiterleitet. Daraus leiten die Algorithmen dann Prognosen ab, welche Beiträge vermutlich gefallen werden, und zeigen sie weit oben an. Das führt dazu, dass Facebook-User einen annähernd "gleichgeschalteten" Strom von Nachrichten präsentiert bekommen:
Zu sehen ist fast nur die eigene Meinung, für Dissens bleibt kein Platz. Im Netz hat sich für dieses Phänomen, das auch auf anderen Plattformen und selbst bei Google-Anfragen zu beobachten ist, die Bezeichnung "Filter-Bubble" etabliert: In einem sozialen Netzwerk ist man schnell in einer Wohlfühl-Blase gefilterter Meinungen gefangen, die ein erschreckend einheitliches Bild der Wirklichkeit zeichnet.
Im Falle von Menschen mit rechten Tendenzen führt dieser Filterblasen-Effekt dazu, dass sie auf Facebook virtuelle national befreite Zonen erleben: Die meisten Inhalte, die sie zu lesen bekommen, sind rechtslastig. Gruselgeschichten über die angebliche Überfremdung Deutschlands oder Straftaten von Asylbewerbern machen die Runde. Gegenstimmen, etwa zu den positiven Effekten der Zuwanderung oder der statistisch eben nicht höheren Kriminalitätsrate unter Geflüchteten, räumen Facebooks Algorithmen dagegen kaum Platz ein.
Facebook nimmt seine Verantwortung nicht ernst genug
So sind Menschen mit fremdenfeindlichen Tendenzen in ihrer braunen Filterblase gefangen und erleben ein Zerrbild der Realität, in der Zuwanderer der Quell allen Übels sind. Einige besonders gewaltbereite Naturen unter ihnen fühlen sich so schnell als Vollstrecker eines virtuellen Konsenses, dass "man" etwas tun müsse gegen Geflüchtete, und schreiten zu furchtbaren Taten.
Facebook ist also nicht die Ursache für Ausländerhass. Doch die Plattform wirkt mit ihren Algorithmen als geistiger Brandbeschleuniger, ohne den die gegenwärtige Welle der Fremdenfeindlichkeit kaum denkbar wäre. Leider scheinen die Kalifornier ihre Mitverantwortung bisher nicht ernst genug zu nehmen: Jeder User bringt Facebook Geld, und offenbar sollen sich auch Rechtsextreme hier wohl fühlen. So dauert es immer noch viel zu lange, ehe selbst strafbare Inhalte von der Plattform verbannt werden. Es bleibt zu hoffen, dass die politisch Verantwortlichen in Zukunft konsequenter darauf pochen werden, dass zumindest das Strafrecht, das den ethischen Minimalstandard unserer Gesellschaft definiert, auch in der Facebook-Filterblase gelten wird.
Ulf Buermeyer, geboren 1976 in Osnabrück, ist Richter am Landgericht Berlin. Von der Johann Wolfgang Goethe Universität Frankfurt/Main wurde er mit einer Arbeit über "Informationelle Selbstbestimmung im Strafvollzug" promoviert. In Schwerpunkten seiner Arbeit befasst der Jurist sich mit Fragen des Datenschutzes, der Informationsfreiheit sowie der informationellen Selbstbestimmung. Buermeyer ist Redakteur der Zeitschrift für höchstrichterliche Rechtsprechung im Strafrecht (HRRS). www.buermeyer.de