Hasstiraden und andere Zumutungen
Wütende, ausufernde, sperrige Wortkaskaden machen noch keine große Literatur, das wird beim Lesen von Ronald Pohls Roman "Die algerische Verblendung" deutlich. Pohl sucht die Tradition der großen österreichischen Sprachzertrümmerer und will eine zeitgemäße Fortschreibung von Albert Camus' "Der Fremde" abliefern.
Die österreichische Literatur hat immer wieder eigenwillige Sprachspieler und Sprachzertrümmerer hervorgebracht, besessene Stilisten, berserkerhafte Konstrukteure von Kunstsprachen ebenso wie von bitterbösen Hasstiraden. In diese Reihe stellt der Droschl Verlag auch den Debütroman von Ronald Pohl, einem Theaterkritiker und Feuilletonredakteur. Auch wenn er selbst auf diese Tradition setzt, so löst er den hohen Anspruch jedoch keineswegs ein. Er kann zwar trefflich schimpfen und ausufernde, sperrige Wortkaskaden herstellen, aber literarisch überzeugend wird sein Projekt dadurch nicht.
Zudem nämlich soll "Die algerische Verblendung" eine zeitgemäße Fortschreibung von Albert Camus' "Der Fremde" sein, gewissermaßen die Hintergrundgeschichte zum Mord aus Zufall am sonnigen Strand nachliefern. Das Opfer war ein Araber. Das Kalkül mit dem daraus entstehenden Aufmerksamkeitseffekt ist nur allzu offensichtlich. Denn wo Camus nüchtern die innere Leere seines Protagonisten registriert, seine Distanz zu Konventionen, verfängt sich Pohl im Sog eines mit Reizworten aufgepumpten Ekels.
Pohls Ich-Erzähler legt Herkunft und Innenleben eines überaus aggressiven, rassistischen Franzosen offen, der angewidert von den Algeriern wie von seinen eigenen Landsleuten ein durch und durch verkommenes Leben führt: niederträchtig, rücksichtslos, zu jedem Verbrechen bereit. Die Ausweitung der Kampfszene ist sein Programm.
Dieser Kriminelle kommt aus kleinen Verhältnissen in Belcourt, wo auch Camus aufgewachsen ist. Eine alte bigotte Mutter, ein Kinderschänder-Onkel mit Darmleiden, sein Auftraggeber und Vater sind die Hauptfiguren, daneben die Massen zum Hassen, ein Doppelgänger-Motiv und eine Fülle von Schauplätzen.
Die explosive Gemengelage in der zerrissenen französischen Kolonie gewinnt keine präzisen Konturen, obwohl Pohl mit Furor die gewalttätige Rohheit aller, das heißt der kolonialen Herren mitsamt ihren Helfern wie auch der algerischen Bevölkerung und ihrer Befreiungskämpfer in den Vordergrund rückt. Zeitsprünge, sich unendlich windende, haarsträubende Vergleiche und exaltierte Behauptungen vernebeln die Szenerie stets aufs Neue. Touristen mit Sofortbildkameras zur Zeit der Befreiungsbewegung und der Anschläge der rechten französischen OAS sind fehl am Platz. Dass Frauen die Burka tragen, ist schiere Fiktion, ebenso die Präsenz schiitischer Geistlicher in einem sunnitischen Land.
Der Roman liefert Reizworte, und seine Genauigkeitswut entpuppt sich als Masche, nicht anders als die Wirbel von Adjektiven: exotisierende Girlanden, manierierte Zumutungen für den Leser. Zumal die Erzählenergie sich aus den Niederungen der Wirklichkeit speist, aus der faszinierten Beobachtung ihres fäkalen, schleimigen, stinkenden, gierigen Anteils.
Seine Hasstiraden und auch die Schmutzsuhlereien formuliert der Protagonist nicht etwa jenseits der Anlehnung an gängige Sprachregelungen – positiv: politisch inkorrekt. Viel schlimmer: Er bedient in etlichen Passagen die heute verstärkt genutzten Stereotypen zur Dämonisierung von Islamisten und arabischen Verhältnissen ebenso, wie er alte koloniale Phantasmen aufruft, die auf Aneignung und Unterwerfung der Körper und auf ihre Auslöschung abzielen.
Man sollte sich wohl hüten, Text und Haltung des Ich-Erzählers gleichzusetzen mit der Gesinnung des Autors – so wie das in der österreichischen Literaturkritik zum Teil geschehen ist. Exotismus und Ressentiment speist Pohl jedoch zweifellos und zielt auf den Skandal des Tabubruchs. Und wer weiß, vielleicht auch auf den immensen Erfolg, der den Debütroman von Albert Camus bis heute zum meistgelesenen Buch Frankreichs gemacht hat.
Insofern hat "Die algerische Verblendung" vor allem das Verdienst, dass man Camus aus dem Bücherschrank kramt und wieder liest.
Rezensiert von Heike Schneider
Ronald Pohl: Die algerische Verblendung
Literaturverlag Droschl, Graz/Wien 2007
237 Seiten. 21 Euro
Zudem nämlich soll "Die algerische Verblendung" eine zeitgemäße Fortschreibung von Albert Camus' "Der Fremde" sein, gewissermaßen die Hintergrundgeschichte zum Mord aus Zufall am sonnigen Strand nachliefern. Das Opfer war ein Araber. Das Kalkül mit dem daraus entstehenden Aufmerksamkeitseffekt ist nur allzu offensichtlich. Denn wo Camus nüchtern die innere Leere seines Protagonisten registriert, seine Distanz zu Konventionen, verfängt sich Pohl im Sog eines mit Reizworten aufgepumpten Ekels.
Pohls Ich-Erzähler legt Herkunft und Innenleben eines überaus aggressiven, rassistischen Franzosen offen, der angewidert von den Algeriern wie von seinen eigenen Landsleuten ein durch und durch verkommenes Leben führt: niederträchtig, rücksichtslos, zu jedem Verbrechen bereit. Die Ausweitung der Kampfszene ist sein Programm.
Dieser Kriminelle kommt aus kleinen Verhältnissen in Belcourt, wo auch Camus aufgewachsen ist. Eine alte bigotte Mutter, ein Kinderschänder-Onkel mit Darmleiden, sein Auftraggeber und Vater sind die Hauptfiguren, daneben die Massen zum Hassen, ein Doppelgänger-Motiv und eine Fülle von Schauplätzen.
Die explosive Gemengelage in der zerrissenen französischen Kolonie gewinnt keine präzisen Konturen, obwohl Pohl mit Furor die gewalttätige Rohheit aller, das heißt der kolonialen Herren mitsamt ihren Helfern wie auch der algerischen Bevölkerung und ihrer Befreiungskämpfer in den Vordergrund rückt. Zeitsprünge, sich unendlich windende, haarsträubende Vergleiche und exaltierte Behauptungen vernebeln die Szenerie stets aufs Neue. Touristen mit Sofortbildkameras zur Zeit der Befreiungsbewegung und der Anschläge der rechten französischen OAS sind fehl am Platz. Dass Frauen die Burka tragen, ist schiere Fiktion, ebenso die Präsenz schiitischer Geistlicher in einem sunnitischen Land.
Der Roman liefert Reizworte, und seine Genauigkeitswut entpuppt sich als Masche, nicht anders als die Wirbel von Adjektiven: exotisierende Girlanden, manierierte Zumutungen für den Leser. Zumal die Erzählenergie sich aus den Niederungen der Wirklichkeit speist, aus der faszinierten Beobachtung ihres fäkalen, schleimigen, stinkenden, gierigen Anteils.
Seine Hasstiraden und auch die Schmutzsuhlereien formuliert der Protagonist nicht etwa jenseits der Anlehnung an gängige Sprachregelungen – positiv: politisch inkorrekt. Viel schlimmer: Er bedient in etlichen Passagen die heute verstärkt genutzten Stereotypen zur Dämonisierung von Islamisten und arabischen Verhältnissen ebenso, wie er alte koloniale Phantasmen aufruft, die auf Aneignung und Unterwerfung der Körper und auf ihre Auslöschung abzielen.
Man sollte sich wohl hüten, Text und Haltung des Ich-Erzählers gleichzusetzen mit der Gesinnung des Autors – so wie das in der österreichischen Literaturkritik zum Teil geschehen ist. Exotismus und Ressentiment speist Pohl jedoch zweifellos und zielt auf den Skandal des Tabubruchs. Und wer weiß, vielleicht auch auf den immensen Erfolg, der den Debütroman von Albert Camus bis heute zum meistgelesenen Buch Frankreichs gemacht hat.
Insofern hat "Die algerische Verblendung" vor allem das Verdienst, dass man Camus aus dem Bücherschrank kramt und wieder liest.
Rezensiert von Heike Schneider
Ronald Pohl: Die algerische Verblendung
Literaturverlag Droschl, Graz/Wien 2007
237 Seiten. 21 Euro