In der Warteposition
Vielleicht Herbst 2017? Oder doch eher 2018? So ganz genau weiß man es nicht, wann der Hauptstadtflughafen BER nun endlich in Betrieb geht. Momentan herrscht gespenstische Ruhe auf der Großbaustelle - eine verdammt teure Ruhe.
Aufzug außer Betrieb, Aufzug außer Betrieb.
Wie ein verlassener Riese liegt er da im märkischen Sand. Dort, wo Tausende arbeiten und Zehntausend täglich fliegen sollen, wo eigentlich Tag und Nacht Betrieb sein sollte, Taxis, Busse, Autos, Züge an- und abfahren, Menschen begrüßt und verabschiedet, Millionen-Umsätze gemacht werden - da herrscht eine fast gespenstische Stille. Nur unterbrochen von dem Mann, der auf dem Terminalvorplatz des Hauptstadtflughafens BER das Unkraut mäht.
Und unterbrochen von der netten weiblichen Stimme, die auf Knopfdruck mitteilt, was hier gerade los ist.
Aufzug außer Betrieb. Aufzug außer Betrieb.
Alles im Schwebezustand: Die bereits vor Jahren installierten Check-in-Schalter aus Nussbaumholz sind mit Plastikfolien vor dem Staub gesichert, der Natursteinboden mit Faserplatten vor Beschädigungen geschützt. Auf einer Informationssäule steht in großen Buchstaben "Platzhalter".
"Achten Sie bitte auf Ihre Schritte..."
Täglich sind 700 Arbeiter auf der Baustelle unterwegs – bei der Größe des Gebäudes sind sie allerdings kaum wahrnehmbar, die Putzkräfte, Sicherheitsleute, Elektriker, Monteure, Trockenbauer und Ingenieure.
Im hinteren Teil des Terminals steht ein Gerüst, an dem ein Aufzug befestigt ist. Gerade fährt ein Monteur nach oben. Er und seine Kollegen befestigen zusätzliche Ventilatoren an der Decke. Sie sollen im Brandfall den Rauch aus dem Terminal ins Freie transportieren.
Die Entrauchungsanlage wird "Monster" genannt
Die Entrauchungsanlage ist die Achillesferse des Berliner Flughafens – intern "Das Monster" genannt. So groß und so komplex, dass sie nicht mehr steuerbar war und in drei Teile zerschlagen werden musste. Damit nicht genug: Das Eisenbahnbundesamt hat weitere Auflagen erteilt – es geht um die Schnittstelle zwischen Terminal und unterirdischem Flughafenbahnhof. All das führt dazu, dass ein Eröffnungsdatum für den BER immer noch nicht endgültig feststeht. Der alte Zeitplan sah vor: Fertigstellung 2016, anschließend eine lange Testphase, Inbetriebnahme dann im Herbst 2017. Doch jetzt könnte es 2018 werden.
Das musste Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller – gleichzeitig Aufsichtsratschef der Flughafengesellschaft – in der letzten Woche im Abgeordnetenhaus zugeben.
"Erstmals muss man sagen, dass das keine schöne Situation ist. Es ist kein großes Geheimnis, dass es von Tag zu Tag schwerer wird, das Datum zu halten, dass es von Tag zu Tag enger wird, darüber haben wir ja schon im Parlament gesprochen, muss ich Ihnen heute auch sagen, dass ich skeptisch bin, was den Zeitplan anbelangt, und dass ich auch nach dem heutigen Stand nicht mehr ausschließen kann, dass wir mit der Eröffnung im Jahr 2018 landen."
Und das wäre dann die fünfte Verschiebung.
Kurzer Rückblick: Wir schreiben den 5.September 2006. Fünf Männer mit fünf Spaten lächeln in die Kamera: Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee, Flughafenchef Rainer Schwarz, Bahnchef Hartmut Mehdorn, Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit, Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck. Im Radio klang das damals so:
"Reichlich Sonnenschein beim ersten Spatenstich für den Flughafen Berlin-Brandenburg International im Dahme-Spreewald-Kreis. Nach 15 Jahren Planung und Gerichtsverfahren haben die Planer etwas mehr als fünf Jahre bis zur Fertigstellung im Oktober 2011 veranschlagt. Zwei Milliarden Euro soll das 2000 Fußballfelder große Flughafenareal kosten."
Nicht 2011, sondern vielleicht 2018, nicht zwei, sondern vielleicht sechs Milliarden Euro – so sieht es aktuell beim BER aus. Die jahrelangen Verzögerungen haben die Kosten explodieren und eine Menge Blütenträume platzen lassen. Den Hauptnutzern am BER – der Fluggesellschaft Airberlin und der Deutschen Bahn - sind Schäden in Millionenhöhe entstanden. Der unterirdische Flughafenbahnhof ist seit fünf Jahren betriebsbereit – seitdem müssen täglich fünf bis sechs leere Züge durch den Geisterbahnhof gefahren werden, um ihn ausreichend zu belüften. Das Nachsehen hatten auch die Mieter am BER – Gastronomen und Geschäftsinhaber, die längst ihre Kaffeemaschinen, Fritteusen und Spielzeug-Trabbis aufgestellt hatten.
Nie eine Entschädigung erhalten
Auch Busunternehmer Karsten Schulze hatte einen Traum: Die Genehmigung für einen Shuttle-Verkehr zwischen dem BER und dem Berliner Stadtteil Steglitz verhieß ein gutes Geschäft.
"Ja, wir hatten mal einen Traum. Wir wollten eine Linie zum Flughafen BER fahren, vom Rathaus Steglitz. Haben drei Fahrzeuge dafür angeschafft. 750.000 Euro investiert. Und mussten dann leider Gottes, nachdem wir schon Messfahrten gemacht haben, am 8. Mai erfahren, dass die Eröffnung am 3. Juni 2012 nicht stattfinden wird."
Karsten Schulze musste seine Busse wieder verkaufen und das Personal entlassen. Eine Entschädigung hat der Unternehmer nicht erhalten – fehlte doch der Vertrag mit der Flughafengesellschaft, auf den er sich hätte berufen können. Karsten Schulze konnte den Verlust verkraften – als Mittelstands-Beauftragter der IHK Berlin plagen ihn allerdings andere Sorgen.
"Irgendwann kommt der Punkt, und vor dem habe ich große Sorge, wo dieser Flughafen gar nicht mehr wirtschaftlich arbeiten kann, weil der Kapitaldienst, der zu erbringen ist, so groß ist, dass das Ding nie in die schwarzen Zahlen kommt und auf Dauer dem Steuerzahler Berlins, Brandenburgs und des Bundes auf der Tasche liegen wird."
Die Sorgen des Unternehmers werden auch von den Finanzpolitikern im Bund, in Berlin und in Brandenburg geteilt. Allerdings nicht vom Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft. Hauptgeschäftsführer Matthias von Randow dürfte zu den wenigen Optimisten in punkto BER gehören.
"Wenn man sich das mal überlegt, dass in den letzten 10 Jahren sich das Passagieraufkommen verdoppelt hat auf heute rund 30 Millionen Passagiere, kann man sagen, das ist eine Erfolgsgeschichte. Allein im letzten Jahr hat noch einmal das Passagieraufkommen hier an den Berliner Flughäfen um mehr als acht Prozent zugelegt."
Wer sucht, der findet auch noch einen zweiten Optimisten. Es ist der Bürgermeister von Schönefeld Udo Haase – der BER liegt mitten in seiner Gemeinde. Kaum jemand liebt das Fliegen so wie Udo Haase. Flugzeuge auf der Krawatte, Flugzeuge in den Glasvitrinen auf den Rathausfluren. Am liebsten geht er mit Fluglärm ins Bett und lässt sich morgens davon wecken. Haase ist definitiv der Flughafenbürgermeister.
"Der Flughafenbürgermeister, so hat mich noch nie jemand genannt. Auf jeden Fall. So fühle ich mich auch."
Statt blühender Landschaften ist da - Landschaft
Udo Haase ist in Vorleistung gegangen. Im Vorgriff auf den BER und eine dann expandierende Gemeinde Schönefeld hat er eine Grundschule und ein viel zu großes Rathaus auf die grüne Wiese gesetzt. Bei einem Besuch vor sechs Jahren blickte er aus seinem Bürofenster ins Freie und sagte:
"In fünf Jahren werden Sie da nicht mehr hingucken können. Denn in den nächsten Tagen kommen zu mir die nächsten Investoren. Wir wollen über die Bebauung dieser Flächen reden. Und hier sind geplant Büro- und Geschäftshäuser, so dass man den wunderschönen Blick, den man jetzt noch hat, dann nicht mehr haben wird. Aber darüber sind wir nicht traurig."
Probe auf's Exempel sechs Jahre später. Hat Flughafenbürgermeister Haase Recht behalten? Wieder der Blick aus seinem Bürofenster. Zu sehen: grüne Wiese statt der versprochenen Büro- und Geschäftshäuser. Der Aufschwung in Schönefeld lässt auf sich warten. Kein Wunder.
"Als wir det besprochen haben, sind wir beide davon ausgegangen, dass der Flughafen an den Start geht. So wie's mal geplant war, nämlich vor sechs Jahren."
Bürgermeister Haase lässt sich aber nicht entmutigen. Er lädt ein zu einer kleinen Spritztour durch die sechs Ortsteile von Schönefeld – einmal rund um den BER.
Gleich an der nächsten Kreuzung stoppt er das Auto, zeigt auf ein Bauschild. Geplant ist hier ein Geschäftshaus mit Café, Drogerie und Supermarkt – auch das sollte längst fertig sein.
"Der Investor hat gesagt, wir warten erst einmal, bis die Wohnungen hier gebaut sind. Ja, der Wohnungsbau hat aber gesagt, baut erst mal das Kaufhaus. Das ging immer hin und her. Weil der Glaube an den Flughafen war bei beiden nicht so ausgeprägt, wie man sich das hätte wünschen dürfen. Aber nach so vielen Verschiebungen kann man das auch niemandem übel nehmen. Wichtig ist für uns, dass hier im September der Bau beginnt."
Weiter geht's zum S-Bahnhof Wassmannsdorf – der steht auch schon seit fünf Jahren ungenutzt herum, wartet auf Fahrgäste vom und zum BER. Auf dem Vorplatz wächst das Gras durch die Ritzen der Betonplatten. Doch: Die Verzögerungen geben uns Zeit, die Infrastruktur weiter auszubauen, sagt Schönefelds Bürgermeister Udo Haase, zum Beispiel den Fahrradweg rund um den BER fertigzustellen. Bei allem Optimismus: Egal ist es dem Flughafenbürgermeister natürlich nicht, wann der erste Flieger am Hauptstadt-Airport startet.
"Nein, auf keinen Fall. Je eher desto besser. Das muss man einfach mal sagen. Weil dann auch eine Sicherheit da ist für die Firmen, weil die am und auf dem Flughafen mit ihren Einrichtungen und Unternehmen tätig werden wollen. Die warten doch alle darauf."