Hauptverlierer ist Europa
Der Ausgang der italienischen Parlamentswahlen könnte die gesamte EU in Bedrängnis bringen, befürchtet Angelo Bolaffi, ehemaliger Leiter des italienischen Kulturinstituts Berlin. Zwei Drittel der Italiener hätten keinen Sinn für Europa sowie für die Europapolitik und die Sparpolitik.
Korbinian Frenzel: Unklar ist das, was die Italiener sich da zusammengewählt haben: Nase vorn für Mitte Links in der einen Kammer, Patt mit Berlusconi in der anderen, und darüber hinaus gibt es dann noch 25 Prozent für einen Komiker, für Beppe Grillo.
Es ist eine Parlamentswahl, die Rätsel aufwirft - wie soll das Land daraus eine Regierung bilden, eine stabile Regierung, zumal die so dringend notwendig wäre angesichts all der Probleme, die Italien hat?
Vielleicht kann uns Angelo Bolaffi helfen, ein bisschen Licht in dieses Chaos zu bringen. Lange Jahre war er in Berlin, unter anderem an der FU Berlin und zuletzt als Leiter des italienischen Kulturinstitutes. Guten Morgen!
Angelo Bolaffi: Ja, schönen guten Morgen!
Frenzel: Ist dieses Wahlergebnis eine Katastrophe für Ihr Land oder nur eine halbe? Immerhin, es hätte ja auch Berlusconi gewinnen können.
Bolaffi: Nein, ich sehe keine Katastrophe. Ich meine, Berlusconi hat mächtig nachgeholt, aber immerhin hat er mehr als die Hälften der Stimmen verloren. Die Liga hat noch mehr Stimmen verloren, die Linke Partei PD hat ein Drittel der Stimmen verloren.
Das Problem: Das Parlament ist unregierbar, man müsste eigentlich schon eine neue Wahl ansetzen. Aber dafür bräuchte man ein neues Wahlgesetz, aber in diesem Parlament kommt kein neues Wahlgesetz zustande. Insofern, im Moment, ich kann wirklich nicht sehen, wie man damit fertig werden kann. In Zukunft ...
Frenzel: Ist denn dieses Wahlergebnis Ausdruck dessen, wie Sie auch Ihr Land erleben, ist es wirklich so gespalten, wie dieses Wahlergebnis es auch zeigt, zwischen links und rechts, oder vielleicht muss man besser sagen, zwischen Vernunft und Populismus.
Bolaffi: Prinzipiell ist ein Protest gegen die Politik, gegen das Parteisystem. Wenn man sieht, dass Beppe Grillo und seine Partei, die sogenannte Bewegung mit fünf Sternen, erste Partei geworden ist - auf einen Schlag -, erste Partei im Parlament, das bedeutet, dass ein Drittel der Wähler, und davon zwei Drittel kommen aus dem linken Lager, haben nur gedacht, jetzt Schluss mit der alten Politik. Wenn ich das sagen darf, leck mich am Arsch, mir ist egal, was passiert, aber endlich mal weg mit euch.
Frenzel: Haben Sie für diese Haltung Verständnis angesichts dessen, wie Sie auch die italienische Politik erleben?
Bolaffi: Nein, ich habe kein Verständnis, aber ich bin sozusagen ein ziemlich alter Mensch, aber die Leute, zum Beispiel die Erstwähler, die jungen Leute, eine Generation, die total vernachlässigt worden ist, die mit der Politik überhaupt nichts anfangen kann, wenn überhaupt schon zur Wahl geht, dann hat zugestimmt für jemanden, der einfache Sprüche, einfache Lösungen irgendwie in Aussicht stellt, einfach Schluss mit dem Alten. Es ist interessant, dass auch in den Reihen der PD, der linken Partei ein Oberbürgermeister von Florenz, Renzi, der eigentlich die Wahl hätte gewinnen können. Er hatte so eine Haltung, vernünftiges, soziales leck mich am Arsch. Das heißt, ich bin gegen alle, aber habe eine bessere Idee. Aber dieser Oberbürgermeister hat sich nicht durchgesetzt, und die PD hat den Sieg verpasst, den sie eigentlich schon in der Tasche hatte.
Frenzel: Herr Bolaffi, was machen wir mit diesem Wahlergebnis? Ist Italien damit unregierbar, oder könnte man sich nicht doch eine Situation vorstellen, wo sich die politischen Kräfte jetzt zusammenraufen und sagen, wir arbeiten zusammen?
Bolaffi: Ich mache mir große Gedanken, weil das Problem - der Hauptverlierer in dieser Wahl ist sozusagen Europa, weil, wenn ich richtig sehe, zwei Drittel der Wähler, die gewählt haben, haben keinen Sinn für Europa, für die Europapolitik, für die Sparpolitik und so weiter und so fort. Leider Monti – Entschuldigung ich habe jetzt für Monti gestimmt, insofern bin ich ein Montianer -, ist sehr knapp aus der Wahl gekommen.
Das heißt, die Wähler haben kein Verständnis für eine verständige Politik. Ob das eine Gefahr für den Euro ist ... es könnte sein. Ich kann mir vorstellen, dass irgendwie eine Regierung zustande kommt, aber dass Italien der kranke Mann Europas wird. Ob seine Krankheit Europa ansteckt, das lässt sich abwarten, aber die Gefahr besteht.
Frenzel: Herr Bolaffi, können Sie mir eins erklären, ich frage mich das immer wieder beim Blick auf Italien: Ein Land, das derartig gern über Politik debattiert, das so leidenschaftlich Politik betreibt, warum hat das eine so derartig schwierige - um es mal vorsichtig zu sagen - politische Klasse?
Bolaffi: Weil die politische Klasse ist wie die Gesellschaft. Italien ist eine verkrustete, veraltete Gesellschaft, hat keine Innovation seit mindestens 20 Jahren. Es ist nicht nur die Industrie, die zurückgeblieben ist, nicht nur die Produktivität des Landes, auch die Produktivität der Politik ist zurückgeblieben. Im Grunde genommen hat eine neue Solidarisierung der Politik mit der Gesellschaft - die neuen Kräfte kommen nicht rein, nicht nur in der Gesellschaft, auch in der Politik, die bringen keine neue Idee, ist das Ergebnis, ist sozusagen diese Müdigkeit der Zukunft gegenüber, die in Protest sich umschlägt.
Frenzel: Ist das ein Ergebnis der Berlusconi-Jahre oder ist das ein Gesamtproblem, das auch die politische Linke betrifft?
Bolaffi: Nein, das ist sicher ein Ergebnis, im Grunde genommen, jetzt haben wir fast 20 Jahre Berlusconi-Politik mit einigen Unterbrechungen. Insofern, ich kann sagen, dass die Hauptverantwortung Berlusconi trägt. Aber eine große Verantwortung trägt auch die Linke oder die vernünftigen Kräfte, die nicht in der Lage gewesen sind, eine zukunftsorientierte Öffnung für die jüngere Generation zu bieten.
Frenzel: Das sagt Angelo Bolaffi, ehemals Leiter des italienischen Kulturinstitutes in Berlin. Ich danke Ihnen für dieses Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Links bei dradio.de:
Wahlen in Italien -
Die Parteien und ihre Kandidaten im Überblick
Italien nach der Wahl wieder unregierbar? -
Mitte-Links-Bündnis siegt, aber ohne Mehrheit im Senat
"Italien wäre sehr schnell in akuter Not" - EU-Politiker Wolf Klinz über die Folge einer populistischen Regierung in Rom
Es ist eine Parlamentswahl, die Rätsel aufwirft - wie soll das Land daraus eine Regierung bilden, eine stabile Regierung, zumal die so dringend notwendig wäre angesichts all der Probleme, die Italien hat?
Vielleicht kann uns Angelo Bolaffi helfen, ein bisschen Licht in dieses Chaos zu bringen. Lange Jahre war er in Berlin, unter anderem an der FU Berlin und zuletzt als Leiter des italienischen Kulturinstitutes. Guten Morgen!
Angelo Bolaffi: Ja, schönen guten Morgen!
Frenzel: Ist dieses Wahlergebnis eine Katastrophe für Ihr Land oder nur eine halbe? Immerhin, es hätte ja auch Berlusconi gewinnen können.
Bolaffi: Nein, ich sehe keine Katastrophe. Ich meine, Berlusconi hat mächtig nachgeholt, aber immerhin hat er mehr als die Hälften der Stimmen verloren. Die Liga hat noch mehr Stimmen verloren, die Linke Partei PD hat ein Drittel der Stimmen verloren.
Das Problem: Das Parlament ist unregierbar, man müsste eigentlich schon eine neue Wahl ansetzen. Aber dafür bräuchte man ein neues Wahlgesetz, aber in diesem Parlament kommt kein neues Wahlgesetz zustande. Insofern, im Moment, ich kann wirklich nicht sehen, wie man damit fertig werden kann. In Zukunft ...
Frenzel: Ist denn dieses Wahlergebnis Ausdruck dessen, wie Sie auch Ihr Land erleben, ist es wirklich so gespalten, wie dieses Wahlergebnis es auch zeigt, zwischen links und rechts, oder vielleicht muss man besser sagen, zwischen Vernunft und Populismus.
Bolaffi: Prinzipiell ist ein Protest gegen die Politik, gegen das Parteisystem. Wenn man sieht, dass Beppe Grillo und seine Partei, die sogenannte Bewegung mit fünf Sternen, erste Partei geworden ist - auf einen Schlag -, erste Partei im Parlament, das bedeutet, dass ein Drittel der Wähler, und davon zwei Drittel kommen aus dem linken Lager, haben nur gedacht, jetzt Schluss mit der alten Politik. Wenn ich das sagen darf, leck mich am Arsch, mir ist egal, was passiert, aber endlich mal weg mit euch.
Frenzel: Haben Sie für diese Haltung Verständnis angesichts dessen, wie Sie auch die italienische Politik erleben?
Bolaffi: Nein, ich habe kein Verständnis, aber ich bin sozusagen ein ziemlich alter Mensch, aber die Leute, zum Beispiel die Erstwähler, die jungen Leute, eine Generation, die total vernachlässigt worden ist, die mit der Politik überhaupt nichts anfangen kann, wenn überhaupt schon zur Wahl geht, dann hat zugestimmt für jemanden, der einfache Sprüche, einfache Lösungen irgendwie in Aussicht stellt, einfach Schluss mit dem Alten. Es ist interessant, dass auch in den Reihen der PD, der linken Partei ein Oberbürgermeister von Florenz, Renzi, der eigentlich die Wahl hätte gewinnen können. Er hatte so eine Haltung, vernünftiges, soziales leck mich am Arsch. Das heißt, ich bin gegen alle, aber habe eine bessere Idee. Aber dieser Oberbürgermeister hat sich nicht durchgesetzt, und die PD hat den Sieg verpasst, den sie eigentlich schon in der Tasche hatte.
Frenzel: Herr Bolaffi, was machen wir mit diesem Wahlergebnis? Ist Italien damit unregierbar, oder könnte man sich nicht doch eine Situation vorstellen, wo sich die politischen Kräfte jetzt zusammenraufen und sagen, wir arbeiten zusammen?
Bolaffi: Ich mache mir große Gedanken, weil das Problem - der Hauptverlierer in dieser Wahl ist sozusagen Europa, weil, wenn ich richtig sehe, zwei Drittel der Wähler, die gewählt haben, haben keinen Sinn für Europa, für die Europapolitik, für die Sparpolitik und so weiter und so fort. Leider Monti – Entschuldigung ich habe jetzt für Monti gestimmt, insofern bin ich ein Montianer -, ist sehr knapp aus der Wahl gekommen.
Das heißt, die Wähler haben kein Verständnis für eine verständige Politik. Ob das eine Gefahr für den Euro ist ... es könnte sein. Ich kann mir vorstellen, dass irgendwie eine Regierung zustande kommt, aber dass Italien der kranke Mann Europas wird. Ob seine Krankheit Europa ansteckt, das lässt sich abwarten, aber die Gefahr besteht.
Frenzel: Herr Bolaffi, können Sie mir eins erklären, ich frage mich das immer wieder beim Blick auf Italien: Ein Land, das derartig gern über Politik debattiert, das so leidenschaftlich Politik betreibt, warum hat das eine so derartig schwierige - um es mal vorsichtig zu sagen - politische Klasse?
Bolaffi: Weil die politische Klasse ist wie die Gesellschaft. Italien ist eine verkrustete, veraltete Gesellschaft, hat keine Innovation seit mindestens 20 Jahren. Es ist nicht nur die Industrie, die zurückgeblieben ist, nicht nur die Produktivität des Landes, auch die Produktivität der Politik ist zurückgeblieben. Im Grunde genommen hat eine neue Solidarisierung der Politik mit der Gesellschaft - die neuen Kräfte kommen nicht rein, nicht nur in der Gesellschaft, auch in der Politik, die bringen keine neue Idee, ist das Ergebnis, ist sozusagen diese Müdigkeit der Zukunft gegenüber, die in Protest sich umschlägt.
Frenzel: Ist das ein Ergebnis der Berlusconi-Jahre oder ist das ein Gesamtproblem, das auch die politische Linke betrifft?
Bolaffi: Nein, das ist sicher ein Ergebnis, im Grunde genommen, jetzt haben wir fast 20 Jahre Berlusconi-Politik mit einigen Unterbrechungen. Insofern, ich kann sagen, dass die Hauptverantwortung Berlusconi trägt. Aber eine große Verantwortung trägt auch die Linke oder die vernünftigen Kräfte, die nicht in der Lage gewesen sind, eine zukunftsorientierte Öffnung für die jüngere Generation zu bieten.
Frenzel: Das sagt Angelo Bolaffi, ehemals Leiter des italienischen Kulturinstitutes in Berlin. Ich danke Ihnen für dieses Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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