Ein Denkraum feiert 25. Geburtstag
In den 25 Jahren seines Bestehens hat das Berliner Haus der Kulturen bundesweite Aufmerksamkeit erlangt. Gefeiert wird das Jubiläum auch mit dem "Anthropozän"-Projekt. Es ist eine planetare Bestandsaufnahme unseres Zeitalters.
Auf riesigen Video-Screens breiten sich Umwelt-Experten in endlosen Statements aus, plaudernd in durchweg gediegenem Ambiente. Panoramaaufnahmen zeigen geräumige Kuhställe, unterbrochen vom hektischen Treiben der Arbeiter in den blitzsauber gefliesten Melkständen. Eine andere Kamera ist auf die hektisch flackernden Anschlüsse von Datenleitungen gerichtet, Symbol für eine unvorstellbare Menge Terrabyte, die damit um den Globus gejagt werden.
Das sind nur wenige, einigermaßen verwirrende Eindrücke aus dem "observatory", einer von drei technisch aufwendigen Ausstellungen im HKW, dem Haus der Kulturen der Welt. Damit werden die Ergebnisse, das über zwei Jahre hier in Berlin angehäufte Wissen aus dem Projekt "Anthropozän" für die Öffentlichkeit in Szene gesetzt.
"Das sieht ganz billig aus – wenn man fest angestellte C4-Professoren hat. Für diese Projekte stellen wir Gruppen zusammen, die die Gegenstandsbereiche, die Fragestellungen erforschen – und müssen die bezahlen!"
Konkurrenz zu universitären Exzellenzclustern
Wer mit Bernd Scherer spricht, bekommt den Eindruck, dass der Chef des HKW dabei ist, weltweit parallele Forschungsstrukturen zu installieren. Als Konkurrenz zu universitären Exzellenzclustern mit ihren hochspezialisierten Fragestellungen, die dem Laien oft genug abseitig, überflüssig erscheinen. Trotzdem – oder gerade deshalb – könnte das Kulturinstitut darauf zurückgreifen, müsste nur die Forschungen akademischer Disziplinen zusammenführen und dieses Wissen "vulgarisieren", wie die Franzosen ganz ohne negativen Beiklang sagen.
Diese sachgerechte Popularisierung aber bleibt das banale Alltagsgeschäft der Wissenschaftsredaktion. "Anthropozän": Das Haus der Kulturen der Welt präsentiert ein großes Projekt, das mit der Beteiligung von Künstlern über die Wissenschaft hinausweisen will – aber den Betrachter eher vor Bilderrätsel stellt.
Vielleicht weiß Winston Churchill Rat? Der Staatsmann in heißen wie in kalten Kriegen ist auf einer Schwarzweiß-Fotografie zu sehen, ganz allein an Bord eines Minenräumers. Verkörpert er vielleicht so etwas wie einen Idealtypus aus dem Anthropozän? Nicht so ganz. Bernd Scherer verrät, was mit der historischen Aufnahme aus dem Jahr 1943 sichtbar wird – respektive: was der Besucher sehen soll, hineininterpretieren muss:
"Neuaufteilung der Erde, legale Konstruktionen, um Erdölreservoirs zu sichern für die Nationalstaaten. Wo deutlich wird – und was wir jetzt stärker noch herausarbeiten wollen – wie sich Erdgeschichte mit Kulturgeschichte, politischer Geschichte verbinden."
"Unsere Aufgabe ist, einen politischen Diskurs möglich zu machen"
Anthropozän als die ausschließlich menschgemachte Epoche der Erdgeschichte, dieses Phänomen offenbart sich – gemessen an Zahl und Größe der Bilder in dieser Ausstellung –am ehesten aus der Perspektive des Militärs, nämlich in Satellitenaufnahmen. Dieses "bildgebende" Verfahren aber bedarf – man denke an den folgenschweren Bombereinsatz im afghanischen Kunduz – der gewissenhaften Interpretation.
Und so muss sich Scherer bei der Eröffnung vom Künstler eine geschlagene Viertelstunde ein einziges Foto erklären lassen, das Europa und die Nachbarkontinente in verschiedenen Rotschattierungen zeigt. Denn der Philosoph rüstet sich für die Zukunft seines Hauses:
"Unsere Aufgabe ist, einen politischen Diskurs möglich zu machen. Es ist nicht unsere Aufgabe, diesen politischen Diskurs zu führen. Aber, und das ist das Avancierte, deutlich zu machen, dass wir eigentlich neue Begrifflichkeiten brauchen: wir brauchen neue Formen der Wissensproduktion, wir brauchen dann auch neue Formen des Handelns."
Große Worte, sehr allgemein gehaltene Gedanken. Wir befinden uns im Denkraum einer großen deutschen Kulturinstitution. Mit welchen zukunftsweisenden Erkenntnissen verlassen wir den Raum der Bilder und der aufwendig illustrierten Datenflut? Der betriebene Aufwand war groß, die intellektuelle Ausbeute ist bislang eher kläglich. Haus der Kulturen der Welt: Vielleicht ist es nicht gut, wenn der Name eines Hauses einen allzu betörend guten Klang hat. Denn dann schauen die Mittelgeber nicht so genau hin, wenn sie im schnöden parlamentarischen Alltag viel Geld für ein Kulturprojekt bereitstellen sollen.
Nach "Anthropozän" ist der nächste "Denkraum" bereits beschlossene Sache: "100 Jahre Gegenwart" heißt das bündige Konzept, mehr brauchte es nicht, um den Bundestag zur Bewilligung von 15 Millionen Euro zu bewegen. Ohne detaillierte Haushaltsvorlage, ohne ausformulierten Projektantrag. Manchmal hat die Politik doch etwas übrig für Kultur. Sollen wir wohl denken.