Münchens ungeliebter Gigant muss saniert werden
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Museum von Weltrang in schwieriger Lage: Noch trauert das Haus der Kunst in München um seinen Ex-Direktor Okwui Enwezor. Der Umgang mit der eigenen NS-Geschichte, aktuellen Finanzproblemen und der überfälligen Sanierung sind auch nicht einfach.
Es ist düster in der Haupthalle. Die Stimmung passt zur Schwere ihrer Vergangenheit und zur finanziellen Krise, die das Haus im vergangenen Jahr durchlaufen hat.
"Wir sehen jetzt im Moment den Zustand des Hauses angenähert an den Originalzustand von 1937", erklärt Anton Köttl. "Das bedeutet, die Fassungen der Säulen, die Andeutungen der Balkone, die Ausstattung mit dem Blutwurstmarmor, wie wir ihn nennen, also mit dem Marmor aus Saalburg, Thüringen."
Ein Abend im Haus der Kunst: Anton Köttl verantwortet die Gebäude- und Ausstellungstechnik – und führt eine Gruppe Interessierter durch das Gebäude, das Hitler zu Ehren der sogenannten "Deutschen Kunst" erbauen ließ – um dieser die sogenannte "entartete Kunst" jüdischer oder oppositioneller Künstler entgegenzustellen.
In der Nachkriegszeit übertünchte man hier vieles weiß, versteckte den Klotz mit seinen Säulen hinter hohen Pappeln.
Transparenterer Umgang mit der Geschichte
Mittlerweile geht man hier anders mit der Geschichte um. Transparenter. So gut es eben geht. Düster ist es hier vor allem aus einem ganz banalen Grund.
"Sie sehen da oben Acrylplatten. Die wurden da oben eingebaut nach einem starken Hagelschlag, 1987, eingebaut mit Sondergenehmigung der Feuerwehr. Es war aus finanziellen Gründen nicht möglich, dort oben wieder das schöne Glas einzubauen, das ursprünglich mal mattiert in verschiedenen Grün- und Blautönen für wunderschönes Tageslicht gesorgt hatte."
Seit 25 Jahren arbeitet Anton Köttl hier. Seit 25 Jahren heißt es für den Ausstellungstechniker: Bitte keine großen Reparaturen mehr. Bald wird saniert.
"Da sieht man, was man mit Silikon und Gaffer-Tape auch alles machen kann."
Die Sanierungspläne ziehen sich hin, mal wieder. Dabei gibt es schon seit etwa 15 Jahren Pläne, um endlich die veraltete Elektrik zu erneuern. Es gab auch einen Architektenwettbewerb – und vor drei Jahren einen Sieger: Den Stararchitekten David Chipperfield.
"Chipperfield hat eine Mannschaft zur Verfügung gestellt, die jetzt seit vielen Jahren immer wieder hingehalten wird, die sowohl an die Politik als auch an das Haus der Kunst immer wieder Forderungen gestellt hat, die dann nicht erfüllt worden sind. Man hat sie warten lassen. Sie kommen immer wieder frisch und fröhlich zu uns und bieten ihre Mitarbeit an, aber man muss Vorleistung bringen. Das ist jetzt ganz lange Zeit nicht passiert."
Vom Freistaat Bayern lange vernachlässigt
Jahrelang vernachlässigt der Freistaat Bayern ein Museum, dessen bauliche Standards 1937 zwar hoch waren – mittlerweile aber in die Jahre gekommen sind. Das massive Gemäuer mag 1000 Jahre halten, Lüftung und Elektrik eher nicht. Das verwundert, denn in der Kunstwelt hat das Haus der Kunst einen guten Ruf.
"Es ist ohne Zweifel eines der bedeutendsten Zentren der Gegenwartskunst der Welt. Nicht nur wegen der Größe seines Programms, sondern auch, weil es dafür steht, dass die Kunst unserer Zeit ein zentraler Teil seiner Identität sein sollte – trotz seiner frühen Vergangenheit."
Der inzwischen verstorbene ehemalige Direktor Okwui, hier im Interview 2017, hat das Haus der Kunst in den vergangenen Jahren stark geprägt. Das Museum hat keine eigene Sammlung, sondern reflektiert in Wechselausstellungen Schlaglichter der neueren Kunst. Der gebürtige Nigerianer hat die Documenta 11 in Kassel kuratiert und plant gerade an seiner Venedig-Biennale, als man ihn nach München ruft. Ein großer Wurf.
Enwezor macht die Kunstwelt fit für die postkoloniale Sichtweise, die nicht nur Europa und Nordamerika im Fokus hat. Gerade zeigt das Haus der Kunst mit der Retrospektive des Ghanaers El Anatsui die größte Einzelausstellung, die ein Afrikaner in Europa jemals hatte.
"Ich glaube, dass ihm gelungen ist, das Haus der Kunst nicht nur als deutsches Problem oder aus der deutschen Perspektive zu sehen", sagt Bice Curiger, "die ja auch irgendwo vorbildlich die Geschichte aufgearbeitet hat – nach dem Krieg oder sagen wir mal nach den 70er Jahren dann. Er zeigte auch, dass es ein globaleres Problem ist."
Die Schweizerin Bice Curiger hat ebenfalls schon eine Biennale in Venedig kuratiert – und leitet inzwischen das Van Gogh-Museum in Arles. Sie führt einen Expertenrat, der sich um die Zukunft des Hauses der Kunst kümmern soll. Denn vor einem Jahr steht das Museum plötzlich kurz vor der Zahlungsunfähigkeit. Wegen seiner Krankheit zieht sich Okwui Enwezor ganz zurück.
Ausstellungen aus Geldmangel abgeblasen
Schnell holt man Bernhard Spies, den langjährigen Direktor der Bundeskunsthalle als Interims-Geschäftsführer. Der bläst erst einmal zwei wichtige Ausstellungen ab – aus Geldmangel:
"Also, wenn Sie in den veröffentlichten Zahlen im Bundesanzeiger nachgucken, lag der Verlust Ende 2017 bei einer Million. Das ist eine gewaltige Belastung. Und wir sind dabei, gemeinsam mit dem Freistaat, dieses Defizit jetzt auch abzubauen."
Offenbar hat Enwezor für seine hochgelobte Überblicksausstellung "Post-War" zur globalen Kunst der 60er und 70er Jahre viel mehr Leihgaben geordert als er ausstellen kann. Transport- und Versicherungskosten machen die Ausstellung dreimal so teuer wie veranschlagt. Alte Rechnungen flattern weiter ins Haus, notiert hat die Ausgaben niemand. Offenbar fehlt es Enwezor, dem großen Visionär der globalen Kunst, an betriebswirtschaftlichem Talent.
Doch als gemeinnützige GmbH, die vor allem dem Freistaat Bayern gehört, habe es auch einen Aufsichtsrat gegeben, moniert die bayerische Landtagspolitikerin der Grünen. Susanne Kurz:
"Wenn ich dann als Freistaat sehe, in meiner Funktion in den Kontrollgremien, dass so etwas passiert. Da gibt es ja jährliche Prüfberichte, die von Wirtschaftsprüfern nochmal geprüft werden, da finde ich, dass in den Ministerien die Fachleute natürlich früher einschreiten müssten. Das bedeutet, natürlich ist man auch dafür verantwortlich, was man ausgibt. Aber die Hand auf der Haushaltskasse hat eigentlich jemand anders."
Wer ist schuld an dem Finanzdebakel?
Sowohl das Kultusministerium als auch das Finanzministerium, das damals ein gewisser Markus Söder führt, sitzen im Aufsichtsrat – und lassen das Museum offensichtlich beinahe ins finanzielle Aus tappen. Aus Angst vor dem großen Skandal im Jahr der Bundestagswahl 2017? Aus Fahrlässigkeit?
Der neue Kunstminister Bernd Sibler von der CSU will zum Finanzdebakel unter seinem Vorgänger Ludwig Spaenle nichts mehr sagen: "Ich will nicht zurückblicken. Wir haben die Dinge aufgearbeitet, wir haben sie größtenteils gelöst. Wir haben in der letzten Woche den Haushalt beschlossen. Wir haben hier die Finanzlücken fürs Haus der Kunst schließen können. Das heißt, wir stehen an einem absoluten Neuanfang, der Blick zurück bringt nichts. Ich merke mir die Fehler, die in der Vergangenheit gemacht worden sind, damit sie nicht mehr passieren. Aber jetzt geht der Blick nach vorne."
Es interessiert sich aber doch noch jemand für die Vergangenheit. Nämlich der bayerische Oberste Rechnungshof. Er untersucht das Verhalten der Ministerien intern – und darf sich noch nicht zu Details äußern. Die damals beteiligten Minister Söder und Spaenle wollen auf Anfrage zu ihrer Rolle nichts sagen.
Ein Leuchtturm der unbequemen Avantgarde
Nun soll 2020 ein erster Kostenvoranschlag zur Sanierung des Hauses der Kunst vorliegen. Dafür, dass das so lange dauert, dürfte nicht nur das Finanzdebakel eine Rolle spielen. Sondern auch, dass es sich in der bayerischen Museumslandschaft beim düsteren Haus der Kunst um einen Leuchtturm der äußerst unbequemen Avantgarde handelt. 2015 zeigte man hier die Kunst der "Genialen Dilletanten".
Die Westberliner Avantgarde, die in den 80ern gerne auch mit Nazi-Ästhetik provozierte, dürfte es sich damals nicht erträumt haben, einmal Hitlers Idealmuseum zu bespielen. Okwui Enwezor hat auch für diese westdeutschen Popkultur-Revivals eine Ader.
Für die Ausstellung des inzwischen verstorbenen Malers der deutsch-deutschen Moderne, Jörg Immendorff, beauftragt er den Autor Feridun Zaimoglu damit, ihn in Textfragmenten im Ausstellungskatalog wieder auferstehen zu lassen:
"Bringt es uns einen Verlust, wenn wir auf Gelehrsamkeit verzichten? Uns fehlt es an Grotten, in die wir uns wie die Siebenschläfer zurückziehen können."
Das Haus der Kunst ist eine Grotte, zweifellos. Aber goutieren diese Kunst auch viele Münchner? Am Abend der Lesung des bekannten Schriftstellers im Herbst 2018 bleiben viele Plätze leer. Scheitert das Museum am lokalen Publikum?
Bice Curiger, Museumsleiterin in Arles und im Expertenrat, stärkt dem Museum den Rücken: "Besucherzahlen ist nicht gleich Ausstrahlung. Das muss man sich immer wieder vor Augen führen. Die Ausstrahlung vom Haus der Kunst ist sehr, sehr groß gewesen, und wird es auch noch ein Weilchen bleiben, wenn man das Haus gut führt. Und Ausstellungen, die eine große Ausstrahlung hatten oder haben werden – haben nicht immer die höchsten Besucherzahlen."
Wieder wird ein großer Name gesucht
In diesen Wochen berät eine Findungskommission darüber, wer das Haus der Kunst leiten soll – nach klaren Vorgaben des Kunstministers. Eine Transparenzoffensive, die auch die Opposition schätzt. Wieder wird ein großer Name gesucht, noch in diesem Sommer soll er feststehen. Neben dieser künstlerischen Leitung soll eine kaufmännische Leitung Finanzskandale wie die der vergangenen Jahre verhindern.
Und die Sanierung des Gebäudes? Interimsleiter Bernhard Spies ist zuversichtlich, doch Ausstellungstechniker Anton Köttl hat immer noch eine Befürchtung. Sie speist sich aus der Erfahrung der vergangenen Jahrzehnte: "Es gibt immer andere Projekte, die sich ein Politiker ans Revers heften will, die dann wichtiger sind als ein Haus der Kunst zu renovieren."
Im kommenden Jahr werden wohl auch die Kosten des geplanten Münchner Konzertsaals bekannt. Ein Prestigeprojekt der CSU. Es kann also sein, dass der Landtag die Sanierung des Hauses der Kunst weiter verschiebt, zugunsten der Isarphilharmonie.
Immerhin, im Bauamt werde jetzt rege am Sanierungsplan gearbeitet, heißt es aus dem Museum. Im Haus der Kunst könnte es vielleicht doch bald wieder heller werden.