Haus der Wannseekonferenz

Das zähe Ringen um einen Gedächtnisort

08:19 Minuten
Besucher der Ausstellung stehen vor Informationstafeln
Blick in die neue Dauerausstellung der Gedenkstätte Haus der Wannseekonferenz im Januar 2020. © imago/Jürgen Ritter
Von Gunnar Lammert-Türk |
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Die Gedenkstätte Haus der Wannseekonferenz ist aus der hiesigen Gedächtniskultur nicht wegzudenken. Umso verblüffender, dass der Historiker Joseph Wulf Jahrzehnte dafür kämpfen musste. Die Gründung der Stätte im Jahr 1992 hat er nicht mehr erlebt.
Der Historiker Gerd Kühling nennt einen der Gründe, warum es in den 1960er-Jahren nicht zur Gründung einer Forschungs- und Gedenkstätte im Haus der Wannseekonferenz kam:
"Man wollte Akten sammeln auf der ganzen Welt, aus Archiven in aller Welt, auch aus Ostblockarchiven. Da gab es natürlich auch Widerstände seitens der westdeutschen Eliten. Man hatte die Angst, dass das Material, was jetzt aus osteuropäischen Staaten zur Verfügung gestellt werden würde, dass dieses Material letztlich nur weitere Menschen in der Bundesrepublik belasten würde."

Ein Gasthaus für US-Armeeangehörige

"Internationales Dokumentationszentrum zur Erforschung des Nationalsozialismus und seiner Folgeerscheinungen" hätte diese Stätte heißen sollen. Der deutsch-polnische jüdische Historiker Joseph Wulf hatte sich darum bemüht. Er hatte bereits manchen noch lebenden Beteiligten an der Judenvernichtung ermittelt und namhaft gemacht. Und das würde auch sein Dokumentationszentrum in der Villa am Großen Wannsee tun. Das Haus war ab Sommer 1945 von der amerikanischen Besatzungsmacht als Gästehaus für Armeeangehörige genutzt worden.
Außenansicht einer großen Villa
Die Villa am Wannsee von außen. Hier befindet sich heute die Gedenkstätte Haus der Wannseekonferenz.© imago/Jürgen Ritter
"1946 wird es an den Berliner Magistrat übergeben", erzählt Gerd Kühling. "Der gibt dieses Haus dann an das August-Bebel-Institut der SPD. Und das ABI nutzt das Haus als Heimvolksschule für SPD-Mitglieder, die dort geschult werden. Und dann müssen sie es gezwungenermaßen abgeben, weil ihnen die laufenden Kosten über den Kopf wachsen. Und dann kommt der Bezirk Neukölln ins Spiel."

Ein Schullandheim hatte in den 50ern Vorrang

Der nutzt das Haus ab 1952 als Schullandheim. 1952 riegelt die DDR West-Berlin vom Umland ab - das Grundstück direkt am Wannsee bekommt gewinnt in dieser Situation einen besonderen Wert als Ort der Erholung für die Kinder aus dem dicht bebauten Stadtbezirk Neukölln. Der SPD-geführte West-Berliner Senat war zunächst offen für das Vorhaben des Dokumentationszentrums, ist aber nicht bereit, dafür das als Schullandheim genutzte Haus und Grundstück zur Verfügung zu stellen. Hochkarätige internationale Unterstützer der zu gründenden Forschungs- und Gedenkstätte machen Druck - wie Nachum Goldmann, der Präsident des Jüdischen Weltkongresses.
"Als Nachum Goldmann am 9. November 1967 bei einem Treffen in Berlin dem Regierenden Bürgermeister einen Scheck in Höhe von fünf Millionen US-Dollar anbietet, bleibt der Senat bei seiner Haltung", sagt Gerd Kühling. "Mit diesem Geld, so war der Plan, sollte die Aktion Sühnezeichen in dem riesengroßen Garten der Wannseevilla ein modernes Bungalow-Dorf für die Kinder bauen. Die Kinder hätten den gleichen See, den gleichen Wald, die gleiche gute Luft und das Dokumentationszentrum hätte das Haus der Wannseekonferenz. Aber auch darauf geht der Senat nicht ein."

Kein Interesse, NS-Orte kenntlich zu machen

Der Grund für die Unnachgiebigkeit des Senats lag nicht allein darin, dass sich auf dem Grundstück des Hauses der Wannseekonferenz das Neuköllner Schullandheim befand. Es bestand einfach kein Interesse daran, exponierte Orte nationalsozialistischer Verbrechen als solche kenntlich zu machen. So bot der Senat dem Verein zum Aufbau des Dokumentationszentrums neutrale, unbelastete Orte als Alternative an. Das lehnte Joseph Wulf ab. Dem West-Berliner Rundfunksender RIAS sagte er am 25. November 1967:
"Es gibt unzählige Foundations, die sich nie auf deutschem Boden engagieren wollten, und die wollten nur sich engagieren, wenn wir in dem Haus sind. Und da komme ich zu Ihrer Frage, weil Sie gesagt haben, warum wir gerade in dem Haus sein wollen. Wir würden nie die internationale wissenschaftliche Kooperation haben ohne das Haus am Wannsee und wir werden nie die Gelder bekommen."

1972 gab es die erste Gedenktafel

Joseph Wulf hatte weltweit Kontakte zu Archiven und Historikern hergestellt. Viele von ihnen wie auch ausländische Organisationen, die die Aufarbeitung des Holocaust unterstützen wollten, banden ihr Engagement an den Ort, an dem am 20. Januar 1942 die Durchführung der Judenvernichtung beraten worden war. Ende 1967 teilte der West-Berliner Senat offiziell mit, dass er die Villa am Wannsee nicht für das Dokumentationszentrum freigebe.
Fünf Jahre später wandte sich einer der Mitstreiter von Joseph Wulf noch einmal an den Senat. Es war der Jurist Robert Kempner, der für die amerikanischen Ankläger bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen tätig war und dessen Mitarbeiter das Protokoll der Wannseekonferenz 1947 gefunden hatte. "Und er schreibt dem Berliner Senat, es müsste doch auf die Geschichte dieses Hauses auch mal hingewiesen werden", erklärt Gerd Kühling. "Und dann wird auf diese Initiative von Kempner Ende 1972 eine Gedenktafel am Haus angebracht."
Das ist erstmal alles.

"Du kannst dich bei den Deutschen tot dokumentieren"

Im Januar 1982 organisiert der (inzwischen CDU-geführte) Senat eine Gedenkfeier zum 40. Jahrestag der Wannseekonferenz, in der Villa, in der sie stattgefunden hatte. Noch einmal wird das von Mitstreitern Joseph Wulfs geforderte Dokumentationszentrum erwähnt. Vier Jahre später – inzwischen hat Richard von Weizsäcker als Bundespräsident seine berühmte Rede zum 8. Mai als Tag der Befreiung gehalten - beschließt der Senat, nun doch im Haus der Wannseekonferenz eine Gedenkstätte einzurichten.
Nun findet sich problemlos ein Ersatzgebäude für das Schullandheim. 1992, zum 50. Jahrestag der Wannseekonferenz, wird die Gedenkstätte eröffnet. Ihr Initiator, Joseph Wulf, lebt da schon lange nicht mehr. Erschöpft und enttäuscht nahm er sich nach dem Tod seiner Frau am 10. Oktober 1974 das Leben. Wenige Wochen zuvor schrieb er an seinen Sohn David:
"Ich habe hier 18 Bücher über das Dritte Reich veröffentlicht. Und das alles hatte keine Wirkung. Du kannst dich bei den Deutschen tot dokumentieren. Es kann in Bonn die demokratischste Regierung sein. Und die Massenmörder gehen frei herum, haben ihr Häuschen, und züchten Blumen."

"Vergiss die sechs Millionen nicht!"

50 Jahre, ein halbes Jahrhundert, hat es gedauert, bis sich das änderte. Die Taten, die Schreibtischtäter und die willigen Vollstrecker, aber auch das Geschick der von ihnen um Leben und Heimat Gebrachten dokumentiert nun die Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz.
Ihre Bibliothek ist nach Joseph Wulf benannt. Was ihn, den einstigen Gestapohäftling und Auschwitzüberlebenden, antrieb, hatte er täglich vor Augen. Daran erinnerte sich später Peter Heilmann, einer der Stellvertreter seines Vereins für den Aufbau des internationalen Dokumentationszentrums:
"Wulf hatte über seinem Schreibtisch nur einen Satz zu stehen in Hebräisch: 'Vergiss die sechs Millionen nicht!'"
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