Adriano Mannino und Nikil Mukerji forschen als Philosophen an der Ludwig-Maximilians-Universität München und haben unlängst das Buch "Covid-19: Was in der Krise zählt – Über Philosophie in Echtzeit" (Reclam) veröffentlicht, das sich auch mit den Risiken der Massentierhaltung befasst. Am Solon Center for Policy Innovation der Parmenides Stiftung entwickeln die Autoren Strategien zur Umsetzung einer nachhaltigen Risikopolitik in der liberalen Demokratie.
Unsere Doppelmoral des Fleischessens
04:31 Minuten
Wir begrenzen Tierversuche und hätscheln unsere Hunde, trotzdem halten wir Nutztiere unter schlimmsten Bedingungen. Das ist heuchlerisch. Eigentlich müssten wir auch die Massentierhaltung beenden, meinen Adriano Mannino und Nikil Mukerji.
"Replace, Reduce, Refine" – das 3R-Prinzip hat die Gesetzeslage zu Tierversuchen stark geprägt: Tierversuche sind durch Alternativen zu ersetzen, ihre Anzahl ist zu reduzieren und die Versuche sind so zu verfeinern, dass die Tiere möglichst wenig leiden.
Der biomedizinischen Forschung ist es verboten, auch nur ein Tier zu töten, wenn sie nicht nachweisen kann, dass dazu keine Alternativen existieren. Dieser Nachweis ist gegenüber einer Ethikkommission zu erbringen, die jeden Tierversuch beurteilt. Die Zahl der Versuchstiere beläuft sich in Deutschland auf rund drei Millionen pro Jahr.
Massenschlachtungen sind ethisch nicht zu rechtfertigen
Die Landwirtschaft dagegen tötet jedes Jahr mehr als 700 Millionen Tiere. Es handelt sich um gesunde Tiere, die nach einem kleinen Bruchteil ihrer Lebenserwartung geschlachtet werden. Im Gegensatz zur medizinischen Forschung muss die Landwirtschaft dabei keinerlei Nachweis erbringen, dass die Tiertötungen alternativlos und notwendig sind.
Die Frage muss erlaubt sein: Warum eigentlich erfordert nicht auch jede Schlachtung das Placet einer Ethikkommission? Warum gilt das 3R-Prinzip nur für die Forschung? Das scheint hochgradig widersprüchlich: In der medizinischen Forschung stehen Gesundheit und Leben von Menschen auf dem Spiel, die Fleischproduktion dagegen dient nur unserer Gaumenfreude.
Die Frage muss erlaubt sein: Warum eigentlich erfordert nicht auch jede Schlachtung das Placet einer Ethikkommission? Warum gilt das 3R-Prinzip nur für die Forschung? Das scheint hochgradig widersprüchlich: In der medizinischen Forschung stehen Gesundheit und Leben von Menschen auf dem Spiel, die Fleischproduktion dagegen dient nur unserer Gaumenfreude.
Mitunter wird eingewandt, der Fleischkonsum sei ein vitales Bedürfnis des Menschen und ein notwendiger Bestandteil unserer Ernährung. Die wissenschaftliche Empirie spricht nicht dafür: Eine fleischfreie Ernährung ist möglich.
Und selbst wenn man Fleisch für gesundheitlich notwendig hält, so muss man einräumen, dass unser Fleischkonsum derzeit weit über dem gesundheitlichen Optimum liegt. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt eine Reduktion um rund zwei Drittel. Daraus folgt: Mindestens zwei Drittel der über 700 Millionen Schlachttiere werden völlig unnötig getötet. Das ist aus ethischer Sicht nicht zu rechtfertigen.
Massentierhaltung verletzt Rechte von Tieren und Menschen
Würde das 3R-Prinzip – im Sinne einer ethischen und rechtlichen Minimalforderung – auch auf die Landwirtschaft angewandt, müsste sich also sehr viel ändern. Die Doppelmoral reicht weit: Aktuell ist es völlig legal, zehn Schweine auf der Fläche eines Autoparkplatzes zu halten. Wären es Hunde, wäre der Straftatbestand der Tierquälerei unstrittig erfüllt. Schweine sind mindestens so sensibel und nachweislich intelligenter als Hunde, sodass die aktuelle Praxis erst recht als Tierquälerei einzustufen ist.
Nicht zuletzt drängt sich im gegenwärtigen Kontext die Bemerkung auf, dass die aktuellen Bedingungen der Fleischproduktion nicht nur tierquälerisch, sondern auch menschenrechtlich problematisch sind. Wie die Fälle Tönnies und Wiesenhof gezeigt haben, erhöhen Massenschlachtungen das Epidemierisiko. Dasselbe gilt für die Massentierhaltung hinter den Massenschlachtungen, die virale und bakterielle Epidemien begünstigt.
Nicht zuletzt drängt sich im gegenwärtigen Kontext die Bemerkung auf, dass die aktuellen Bedingungen der Fleischproduktion nicht nur tierquälerisch, sondern auch menschenrechtlich problematisch sind. Wie die Fälle Tönnies und Wiesenhof gezeigt haben, erhöhen Massenschlachtungen das Epidemierisiko. Dasselbe gilt für die Massentierhaltung hinter den Massenschlachtungen, die virale und bakterielle Epidemien begünstigt.
Weil die Massentierhaltung unnötig ist und letztlich Milliarden Menschen einem Pandemierisiko aussetzt, kann hier durchaus von einer Menschenrechtsverletzung gesprochen werden.
Über Reformbedarf besteht ethisch-politischer Konsens
Wer nur das Konsumverhalten im Blick hat, gelangt zu dem Schluss, dass weitreichende Reformen schwer durchsetzbar wären. Billigfleisch aus Massentierhaltung wird schließlich stark nachgefragt. Doch dieser Schluss wäre voreilig, denn in repräsentativen Umfragen zeigt sich auch: Die Bürgerinnen und Bürger sind großmehrheitlich gegen die Massentierhaltung und für die Einführung einer hohen Fleischabgabe.
Wir haben es hier mit einem weitverbreiteten, psychologisch gut belegten Phänomen zu tun: Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach. Daher darf eine demokratische Politik die Menschen nicht als Konsumentinnen und Konsumenten zum Maßstab ihrer Reformen erheben, sondern muss sie als Bürgerinnen und Bürger ernst nehmen. Als solche sind wir nicht selten zu Veränderungen bereit, die sich in unserem faktischen Konsumverhalten noch nicht abbilden. Es ist Zeit, dass die Politik dies erkennt.