"Man hat wieder Personal"
Ob Pfleger, Butler oder Putzkraft: etwa 3,6 Millionen Haushalte in Deutschland beschäftigen Hilfspersonal. Und anders als früher hat inzwischen auch die Mittelschicht keine Skrupel mehr, sich bedienen zu lassen - oft für wenig Geld.
Ein ganz normaler Feierabend irgendwo in Deutschland. Am Tisch sitzt Marie Meier* mit ihrem sechsjährigen Sohn. Der jüngere Bruder jagt dem Hund hinterher, bis dieser sich ins Körbchen rettet.
Marie ist 39 Jahre alt und verheiratet. Ihr Mann Hans arbeitet Vollzeit in der 40 Kilometer entfernten Großstadt. Marie macht gerade eine zweite Ausbildung, ebenfalls in Vollzeit. Die beiden Söhne - einer davon behindert - gehen gemeinsam in den Kindergarten in der nächstgelegenen Stadt. Hund Polly kommt tagsüber allein zurecht. Damit der Familienalltag funktioniert, sei alles genau geplant und abgestimmt:
"Also, ich mache morgens die Kinder fertig, mein Mann bringt sie zum Kindergarten. Ich fahre zu meiner Ausbildung und habe da meine acht, neun Stunden und dann fahr ich zum Kindergarten, hol die Kinder ab. Manchmal kaufe ich noch vorher ein, wenn ich es schaffe oder manchmal auch mit den Kindern. Dann fahren wir nach Hause, spielen noch etwas oder gucken Buch an und denn so ab 18.30 Uhr dürfen die Kinder Fernsehen gucken und dann versuche ich hier so ein bisschen Haushalt zu schaffen oder der Hund braucht auch ein bisschen Aufmerksamkeit."
Für Berufstätige mit Kindern wird Zeit zur knappen Ressource
Vater Hans hat Pizza mitgebracht. Das zeitaufwendigere Kochen fällt heute Abend zugunsten einer längeren "Gute-Nacht"-Geschichte aus. Gegen 21 Uhr sind die Kinder endlich im Bett. Jetzt beginnt die "zweite" Schicht: Maries Schulaufgaben warten und der Haushalt macht sich auch nicht von allein. Sie putzt die Küche, er kümmert sich um die Wäsche. Es ist ein modernes Familienmodell, das die Meiers leben. In jeder zweiten Partnerschaft mit Kindern arbeiten heute entweder beide Eltern voll oder einer Vollzeit und der andere Teilzeit. Das "Alleinverdiener-Modell" war für Marie keine Option. Dass Zeit zur knappen Ressource wird, war ihr klar:
"Es nützt nichts, wenn ich dann rumjammere, oder dass ich es blöd finde, dass ich irgendwas nicht geschafft habe. Ich bin mittlerweile auch so, dass ich Dinge delegiere."
Regelmäßig kommt eine Kinderfrau, Freunde springen ein, die Großeltern helfen. Mit diesem Unterstützungssystem kommt die Familie gut zurecht. Es genügt jedoch eine Winzigkeit, um alles durcheinanderzubringen. Dann sei Improvisationstalent gefragt, erzählt Marie, wie bei ihrer letzten Zwischenprüfung. Beide Jungen hatten Rota-Viren, litten an Brechdurchfall. Einer musste ins Krankenhaus.
"Bin also morgens, kam die Schwiegermama, hat mich per Handschlag abgelöst, ich bin zu meiner Prüfung gerast, habe meine Prüfung abgelegt und bin dann zurück ins Krankenhaus gerast."
Der gestresste Mittelstand sucht sich Hilfe
"Es gibt so etwas wie den gestressten Mittelstand", sagt Christoph Bartmann, Autor von "Die Rückkehr der Diener":
"Alleinerziehende mit Kindern, Doppelverdiener mit wenig Zeit für Familie und den Haushalt, die dann irgendwie relativ weitreichende Entscheidungen treffen müssen, was wollen sie selbst machen und was geben sie in fremde Hände? Also wofür reicht die eigene Energie? Was wollen sie selber tun im Bereich Kochen, im Bereich Bügeln und Waschen, im Bereich aufräumen und Putzen und was wollen sie lieber nicht selber machen?"
Die frei zur Verfügung stehende Zeit sei eher geschrumpft denn gewachsen, sagt Bartmann. Deshalb tendieren viele Deutsche dazu, Aufgaben im Haushalt und in der Familie in fremde Hände zu geben. Outsourcing heißt das, ein Begriff, den man aus der Wirtschaft kennt:
"Auf die eine oder andere Weise nehmen alle deutschen Haushalte Hilfsdienste in Anspruch. Wenn sie jetzt den Radius von Hilfsdiensten erweitern und das ganze Lieferwesen dazuzählen, dann müssten sie mir den einen deutschen Haushalt nennen, der noch nie eine Pizza bestellt hat, und die gibt es praktisch gar nicht. Also, alle tun das."
Die unter Stress und Zeitdruck Leidenden machen einen permanenten häuslichen Ablasshandel, um Zeit zu gewinnen. Christoph Bartmann:
"Das ist so ein bisschen wie Verschmutzungsrechte, CO2-Bilanz. Wenn man das und das angespart hat, kann man sich auf der anderen Seite wieder irgendetwas erlauben. Und so ist man im Haushalt permanent dabei, Gerechtigkeit dadurch herzustellen, dass man sich Rechte erwirbt, und diese Rechte kann man dann sozusagen wieder verkaufen. Für die kann man sich dann auf der anderen Seite gewisse Freiheiten holen, weil ja der Haushalt ein permanentes Krisengebiet ist."
"Ich glaube, Unterstützung kann man fast nie genug haben", meint etwa Marie Meier. "Es hat mal jemand gesagt, dass Zeit der eigentliche Luxus der Gesellschaft ist. Und das ist auch so. Durch solche Hilfen verschafft man sich diesen Luxus, weil man sich Zeit verschafft für andere Dinge."
Christoph Bartmann sagt: "Man möchte vor allem von der Zeit, die man mit eher blöden Arbeiten im Hause verbringt, die möchte man sozusagen umtauschen gegen sogenannte Qualitätszeit."
Mal zum Friseur gehen ohne zwei quengelnde Jungen im Schlepptau oder ein Buch lesen - dafür nutzt Marie Meier die gewonnene Zeit. Aber auch, um mit der Familie schwimmen zu gehen - ohne schlechtes Gewissen, weil sich zuhause die Wäsche türmt. Oder um ungestörte Zweisamkeit zu genießen.
Ohne haushaltsnahe Dienstleistungen keine höhere Erwerbsbeteiligung
Die Hausfrau als Dienstleister des Mannes, so sah man das früher nicht nur in der Werbung: Arbeiten wie Kochen, Putzen, Einkaufen, Bügeln, Waschen – die Frau des Hauses erledigte sie pflichtgemäß, klaglos und unbezahlt. Dabei strahlte sie noch und sah zufrieden aus. Und selbstverständlich wurde erwartet, dass sie die Kinder ordentlich erzieht und die Eltern und Schwiegereltern im Alter pflegt. Eine gute Ausbildung war nicht so wichtig.
Seit den 1970er-Jahren hat sich das geändert. Allerdings wurden Frauen lange - trotz guter Abschlüsse - oft nur in kleinteilige Arbeitsverhältnisse übernommen oder waren nicht berufstätig. Heute wirbt die Wirtschaft um Frauen, das bringt der demografische Wandel so mit sich. Hinzu kommt, dass das Erstgeburtsalter von Frauen auf über 30 Jahre stieg. Das bedeutet, dass die Kinder oft noch nicht aus dem Haus sind, während sich bei den Eltern schon Unterstützungsbedarf zeigt. Man könne deshalb nicht über die höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen reden, ohne die haushaltsnahen Dienstleistungen mitzudiskutieren, sagt Uta Meier-Gräwe, Professorin für Wirtschaftslehre des Privathaushalts und Familienforschung. Sie hat untersucht, wie viel Zeit Eltern mit unbezahlter Arbeit verbringen:
"Wir haben uns genau angeschaut, wer macht wie viel über drei Tage? Wie viel für das Schlafen? Wie viel für Essen? Wie viel für Erwerbsarbeit? Wie viel für Wegezeit? Wie viel Care-Arbeit? Hausarbeit? Und es stellt sich raus, dass insbesondere, wenn Kinder in Familien leben, wir eine Re-Traditionalisierung von Geschlechterrollen haben."
Im Schnitt kümmern sich Mütter täglich rund fünfeinhalb Stunden um Haushalt und Familie, Väter rund drei Stunden. Und man kann es kaum glauben: Beide Zahlen sind seit der Jahrtausendwende fast gleich geblieben. Eine Umverteilung von Haus- und Sorgearbeit innerhalb der Partnerschaft hat in den letzten Jahren kaum stattgefunden, resümiert Meier-Gräwe.
"Deswegen brauchen wir einfach so eine Form des Auslagerns von Sorge- und Hausarbeit, die man eben früher selber gemacht hat. Und die Frage ist ja, ist das der Untergang des Abendlandes? Ich finde nicht. Es kommt nur darauf an, wie man das organisiert und wie die Leute, die dann als Dienstleisterinnen arbeiten, eben auch bezahlt werden, was die für Bedingungen am Arbeitsplatz haben. Welche Lohnbedingungen usw."
Nach Schätzungen des Instituts der Deutschen Wirtschaft beschäftigen ca. 3,6 Millionen deutsche Haushalte eine Haushaltshilfe. Christoph Bartmann: "Da gibt es alle möglichen Spielarten von legaler oder illegaler Beschäftigung."
"Heute ist das Mindestvolumen bei 20 Stunden pro Woche"
Hamburg-Osdorf, ein Stadtteil im Bezirk Altona mit schicken Einfamilienhäusern und noblen Villen. Im Botanischen Garten und den vielen anderen Parks sieht man Spaziergänger, Müßiggänger und Hundesitter. Im alten Bahnhofsgebäude residiert die Agentur Straub.
"Wir sind eine Personalvermittlung und wir sind spezialisiert auf die Vermittlung von Hauspersonal und bedienen alles, was ein Privathaushalt braucht", sagt Marketa Straub. Ob Haushälterin, Gärtner, Nanny, Chauffeur, persönliche Assistentin oder Butler - für Inhaberin Marketa Straub, eine studierte Betriebswirtschaftlerin, ist das kein Problem. Die Nachfrage sei groß:
"Also, wir haben zu Beginn eher den normalen Haushalt gehabt. Für uns war ein Kunde, der zweimal in der Woche fünf Stunden Personal benötigte, ein Großauftrag. Das ist heute eher etwas, was wir nicht bedienen. Heute ist das Mindestvolumen, was wir sagen, 20 Stunden in der Woche. Und die meisten Kunden liegen zwischen 20 und 40 Stunden in der Woche pro Mitarbeiter, den sie benötigen. Wir haben auch Kunden, wo zum Beispiel eine alleinstehende Dame zehn Mitarbeiter in Vollzeit beschäftigt."
Die Personalvermittlerin spricht zurückhaltend über ihre Klientel. Diskretion habe Priorität. Man respektiere die Privatsphäre der Kunden. Auf der Referenzliste im Netz finden sich Namen von prominenten Unternehmern und Sportlern. Wer richtig wohlhabend ist, kann sich gutes Personal leisten. Aber auch gutsituierte Mittelstandsfamilien greifen auf die Dienste der Agentur zurück.
"Also, zum Beispiel im Kindermädchenbereich vermitteln wir in der Regel Erzieherinnen. Es gibt auch Bewerberinnen, die Kinderpflegerin gelernt haben oder Sozialpädagogik studiert haben. Im hauswirtschaftlichen Bereich greifen wir gerne auf Hotelfachleute zurück. Die haben gelernt, sich auf Kundenwünsche einzustellen. Die haben ein... Dienstleisterherz nennen wir das. Es gibt natürlich auch die Hauswirtschafterin, Hauswirtschaftsmeisterin. Aber ich vermittle auch Quereinsteiger. Wenn mich jemand überzeugt, dass er wirklich Spaß an Hausarbeit hat und uns auch fachlich überzeugt, dann geben wir auch Quereinsteigern eine Chance."
In der Ecke des Büros von Frau Straub steht tatsächlich ein Bügelbrett - für den Realitätscheck.
"Vorbügeln muss man bei uns, weil Bügelfertigkeiten ein sehr wichtiges Kriterium für die meisten Kunden ist."
Die Agentur schult das angehende Hauspersonal und bildet es weiter. Bewerberinnen habe sie genug - Anzeigen müsse sie nicht schalten. Es habe sich herumgesprochen, dass man hier zu guten Konditionen sehr gute Arbeitsstellen bekomme. Und so habe sie auch keine hohe Fluktuation – weder beim Personal noch bei ihren Klienten, sagt Marketa Straub.
"Ich bin absolut der Meinung, dass langfristige Beschäftigungsverhältnisse das sind, was unsere Bewerber anstreben. Bei unseren Kunden geht es darum, eben keine Fluktuation zu haben. Sie müssen sich vorstellen: Ihre Mitarbeiter wissen alles über Sie. Sie wissen, welche Gewohnheiten Sie haben. Sie wissen, wann Sie schlechte Laune haben. Es bildet sich ein Vertrauensverhältnis und deswegen will man Hauspersonal nicht wechseln."
Rundum-Sorglos-Paket für die Jobnomaden
"Vielleicht gehen wir mal kurz in diese Richtung hier. Wir haben hier jetzt noch den 'Italiener' im Haus, gehört nicht zu uns dazu, aber wir arbeiten zusammen und hier ist noch ein kleine Lounge."
Unweit des Frankfurter Bankenviertels, in Nachbarschaft vieler großer Hotels steht ein modern eingerichtetes Haus. Im "iPartment" kann man "wohnen auf Zeit", erklärt Hausmanager Patrick Bursa bei einem Rundgang. 73 Apartments gibt es - in den Kategorien XS bis XL für eine Monatsmiete zwischen 1190 und 2950 Euro.
"Überall haben wir Naturholzfußboden, dann Fußbodenheizung im Bad, Glasdusche, Regendusche – das ist eigentlich in allen Appartements so."
Alle 14 Tage - auf Wunsch auch wöchentlich - reinigt eine Putzmannschaft die Wohnungen, wechselt Bettwäsche und Handtücher. Defekte Glühbirnen tauscht der Hausmanager selbst aus. Im Foyer werden Pakete und schmutzige Hemden entgegengenommen. Das Motto des alternativen Wohnkonzeptes zum Hotel lautet "Let's stay home". Umsorgt sollen sich die Mieter fühlen, sagt Patrick Bursa.
"Die Klientel ist ganz verschieden. Meistens sind es Projektmitarbeiter, die für ein Projekt nach Frankfurt kommen. Oft kann es mal der Bankensektor sein oder auch aus der IT. Wir haben Selbständige im Haus, und die kommen meistens kurzfristig hin und wissen manchmal selber noch nicht genau, wie lange sie eigentlich bleiben. Also, manchmal gibt es einen Vertrag über vier Monate und dann wird es immer noch mal verlängert oder verkürzt. Also, das ist ganz flexibel. So sind wir auch."
Neben Frankfurt gibt es auch in Köln, Berlin, Hamburg und in der Schweiz solche Häuser, in denen moderne Jobnomaden wohnen können. Die Nachfrage sei gut, man habe auch Dauergäste.
"Die schätzen eben die Vorteile vom Apartmenthaus bzw. haben halt ein bisschen mehr noch ihre eigenen vier Wände. Können eben ihre Sachen einfach hierlassen, auch übers Wochenende. Müssen nicht ein- und auschecken wie im Hotel."
Patrick Bursa ist gelernte Hotelfachkraft, hat Hospitality Management studiert. Mit diesem Abschluss könnte er auf Kreuzfahrtschiffen, in Casinos oder Freizeitparks arbeiten. Er hat sich hierfür entschieden, nicht zuletzt, weil er für seine Dienstleistung gut bezahlt wird. Als eine Art Diener sieht er sich allerdings nicht.
"Es ist schon so die Gastgeberrolle, dass man Wünsche erfüllt, dass man verantwortlich ist für ein ganzes Haus. Gerade die Verantwortung, die hat mich gereizt, und das macht mir Spaß."
"Man schämt sich nicht, Personal zu haben"
Noch Anfang des 20. Jahrhunderts waren Diener, wie man sie aus der englischen Fernsehserie "Downton Abbey" kennt, Ausdruck von Reichtum, ein Statussymbol, ein Alleinstellungsmerkmal der Oberschicht. Das änderte sich nach dem Ersten Weltkrieg, als viele der Angestellten in Fabriken gingen, weil sie dort bessere Jobs erwarteten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in der aufstrebenden Mittelschicht die Hausfrau zum weiblichen Ideal. Man dachte dann, dass das Hauspersonal aussterben würde, sagt Christoph Bartmann, Autor des Buches "Die Rückkehr der Diener – Das neue Bürgertum und sein Personal". Weit gefehlt - das Personal ist zurück: als flexibler Dienstleister. Christoph Bartmann:
"Also, man hat wieder Personal, man schämt sich nicht für Personal. Und die Mittelschicht, die so ein bisschen die Oberschicht nachahmt, macht das auch. Aber nicht im Sinne von 'wir entfalten unseren Lebensstil, und der ist nun mal gut situiert und wir können uns alles leisten und wir zeigen es', sondern 'wir sind bedürftig'. Sozusagen das Narrativ der Mittelklasse ist: 'Wir brauchen das, weil wir sonst die Sache nicht gewuppt bekommen'."
In den letzten Jahrzehnten ist ein riesiger Dienstleistungssektor entstanden. Der Bedarf an Personal scheint das Angebot allerdings zu übersteigen. Auf dem Land, wo Kitas oft am frühen Nachmittag schließen, in Großstädten, wo die Familien fehlen - überall werden Babysitter, Kinderfrauen und Leih-Omas händeringend gesucht. Das Gleiche gilt für Pflegekräfte. Lieferdienste suchen Fahrer, Reinigungsfirmen Personal. Eine Entlastung ist nicht in Sicht. Christoph Bartmann sieht zudem eine Zunahme sogenannter Bequemlichkeitsdienste:
"Wo ich sage, es handelt sich eigentlich um Bequemlichkeitsverlangen, was sich dann in diesen starken Trend zum Online-Essensbestellungen, Lieferdienste aller Art und so artikuliert. Das ist dieses ganze Regime des Smartphones mit dem Wischen und Klicken und dem App und sage, he, die Tüte Chips, warum jetzt noch wie früher in den Supermarkt laufen? Die lass ich mir ins Haus kommen. Das ist sehr amerikanisch, aber das ist jetzt hier auch gang und gäbe in Deutschland."
Das Bestellen im Internet habe irgendwie ein Oben und Unten geschaffen: Oben ist, wer bestellt und zahlt. Unten ist, wer die Treppe herauf hastet und liefert.
"Wie sind die Arbeitsverhältnisse hinter den Kulissen dieser Dienstleistungen? Das ist auch wieder eine Frage von Aufwand. Wie genau will man es wissen?"
"Man ist der moderne Diener"
"Moin. Die Post. Und ein Paket habe ich für Sie."
Klaus Müller* ist einer der mehr als 100.000 Dienstleister, die Pakete ausfahren und zustellen. Seine Arbeit habe nichts mehr vom einstigen Postboten-Image, der beim Kunden ein Schwätzchen an der Tür hält. Das liege nicht nur daran, dass er nicht bei der Post, sondern bei der DHL Home Delivery angestellt sei, für weniger Lohn, weniger Urlaub arbeite, kein 13. Monatsgehalt bekomme und eine höhere Wochenarbeitszeit habe.
"Also, die Touren werden immer kompakter, weil immer mehr Leute dazu übergehen, Sachen einfach zu bestellen. Und vor allen Dingen werden die Pakete schwerer. Also, es ist für Katzenstreu und Hundefutter, Gartenmöbel - ich habe alles Mögliche schon gesehen. Also, wir machen bis 31,5 Kilo und mittlerweile ist es auch ziemlich ausgereizt. Also selbst auf privaten Touren ohne Firmen, wo schwere Pakete üblich sind, hat man häufig 20, 30 Sendungen, die über 20, 25 Kilo wiegen."
Auch bei seinem Arbeitgeber herrscht Personalmangel, nicht nur wegen der schlechteren Bezahlung. Es fehlen einfach Menschen, die bereit sind, die Dienstleistungen auszuführen - also die Bestellung in den 5. Stock zu schleppen, die man mit einem bequem-einfachen Klick angefordert hat. Dieser chronische Personalmangel führe zu höheren Krankenständen, sodass noch weniger Zusteller arbeiten, sagt Klaus Müller.
"Und jedes Mal, wenn eine Paketspitze kommt - Amazon hat da diese Prime- ochenenden oder so was wie 'Black Friday' -, dann geht der Laden eigentlich direkt über Kopf. Also, da kann man schon mit einplanen, jedes Mal wenn das passiert, dann stehen da so viele Pakete, dass man nicht mehr dagegen ankommt und dann passiert so etwas wie nach dem letzten Weihnachten, dass sie teilweise noch Monate später Pakete aufräumen."
Auch Müller bestellt mal im Internet, weil er aus Zeitgründen nicht zum Einkaufen kommt. Schließlich sei er, der Dienstleister, auch Teil der Dienstleistungsnutzer. Was ihn störe, sei die Haltung zu seiner Arbeit, die Art des Umgangs mit den Zustellern.
"Ich finde, es entsteht so eine Art Erwartungshaltung. Gerade die Jüngeren sind oft so: Da steht oben ein 20-Jähriger und lässt sich von der Kollegin zwei große Säcke à 25 Kilo hochschleppen, ohne einen Finger zu rühren. Da ist es tatsächlich so, dass die ältere Generation oft eher noch so ist: 'Ich komme Ihnen entgegen'- also, da ist die Erwartungshaltung nicht zu hoch. Da merkt man einfach, diese Unterschiede, wie in dieser Dienstleistungsgeschichte sich einfach das gewandelt hat. Es ist für die Leute selbstverständlicher, sich bedienen zu lassen. Man ist der moderne Diener."
Die Tücken der Plattformökonomie
Mehr als 3,35 Milliarden Kurier-, Express- und Paketsendungen wurden 2017 in Deutschland verschickt, 6,1 Prozent mehr als im Jahr davor. Und diese Menge muss irgendwie verteilt werden – nicht nur von Postboten oder Dienstleistern wie Klaus Müller. Immer mehr so genannte Gig-Arbeiter sind unterwegs - vor allem in den Großstädten. Diese Fahrradkuriere werden pro Auftrag bezahlt. Sie stehen auf Plätzen, an Straßenecken und warten auf einen Auftrag. Der kommt via Smartphone und dann radeln sie los – mit ihrem eigenen Fahrrad, ohne Versicherung und Altersvorsorge. Geht das Fahrrad kaputt, ist das ihr Problem. Fast alles kann man sich heute im Internet schnell und anonym bestellen - selbst die Putzfrau. Auch hier habe eine Art Auslagerung von Problemen stattgefunden, meint Christoph Bartmann.
"Das Verhältnis zwischen dem Dienstleister und dem Auftraggeber hat sich weitestgehend anonymisiert. Es ist auch interessant, dass die Bezahlung von diesen anonymen Dienstleistern, die uns über irgendeine Plattform ins Haus kommt, die interessiert uns weniger als die Bezahlung, die wir verhandeln mit jemanden, den wir kennen und der bei uns putzt."
Der Plattformkapitalismus suggeriert dem Kunden, man buche einen Service, keine Person. Aus Frau Schmidt, die früher unsere Wohnung putzte, deren Kinder wir kannten und auch die kleine Problemchen ihres Mannes, wird so eine anonyme Helferin, ein "Helpling" sozusagen, vom gleichnamigen Reinigungsunternehmen vermittelt.
"Ich glaube, die Plattformen sind insofern genial, als sie wissen, dass wir ein Problem mit diesen Dienstleistungen haben und sie machen sie sozusagen "clean". Man kann sich die Fotogalerien auf "Helpling" oder solchen Plattformen angucken: Das sind alles junge, gut aussehende Leute, agil und dynamisch. Das sind jetzt nicht irgendwelche Knechte, sondern die haben auch richtig Lust, bei dir zu Hause Ordnung zu machen. Das ist ein großer Schwindel, ein Beitrag zur Herstellung vom guten Gewissen."
Arbeitsbedingungen, Bezahlung, spätere Rente - all das ließe sich so prima verdrängen. Von 12 Euro auf die Hand bleibt weniger als der Mindestlohn übrig, wenn man sich selbst versichern muss. Wissenschaftlerin Meier-Gräwe stört nicht nur die miese Bezahlung, auch dass uns die soziale Zukunft dieser Dienstleisterinnen irgendwann einholen wird.
"Viele brauchen dann Grundsicherung im Alter - das kostet ja alles unsere Steuergelder. Wohngeld, Zulagen für Unterkunft und Heizung, muss ja alles bezahlt werden, wenn die eigenen Rentenanwartschaften nicht ausreichen. Ich finde, dieses 'Arbeiten 4.0' - dafür brauchen wir einfach auch andere Regeln."
Staatlich subventionierte Haushaltshilfen - eine gute Idee?
Unterwegs nach Baden-Württemberg. Hier läuft seit fast zwei Jahren das Pilotprojekt "Haushaltsnahe Dienstleistungen". Uta Meier-Gräwe hat es mit auf den Weg gebracht und wissenschaftlich begleitet.
"Der Privathaushalt ist der schwarzgrau melierte Arbeitsmarkt schlechthin. Da wird einfach ein sehr hoher Anteil schwarz geputzt, schwarz Baby gesittet, Fenster geputzt was auch immer, gekocht usw. Und deshalb wollen wir mal ein Modell ausprobieren, das sozusagen staatlich subventionierte Gutscheine für haushaltsnahe Dienstleistungen ausgibt.
Die Bedingungen dafür: Die Teilnehmer müssen Kinder unter 18 Jahren haben oder pflegebedürftige Angehörige. Sie wollen ihre Arbeitszeit erhöhen oder die Vollzeit wegen der hohen Belastung eigentlich reduzieren. Tanja Dambacher-Berger ist alleinerziehende Mutter von zwei Kindern und Finanzbeamtin in Vollzeit.
"Also früher war es so, ich war dann bei der Arbeit, ich habe meine Kinder versorgt, gekocht, ins Bett gebracht und dann ging halt Haushalt los. Und mein persönlicher Feierabend war halt dann ab 22:00 Uhr, das ist halt jetzt nimmer so."
Als Teilnehmerin am Pilotprojekt bekommt sie nun 20 Stunden im Monat Unterstützung im Haushalt. Pro Stunde zahlt der Staat 12 Euro, den Rest von 8 Euro zahlt sie selbst. Dafür kommt jetzt Anna, von einer lokalen Dienstleistungsfirma. Sie erledigt Arbeiten im Haushalt, auch mal im Garten.
"Ich habe den Dienstleister oder die Anna, die zu mir kommt, kennengelernt und habe Vertrauen. Die haben einen Schlüssel. Sie macht das so, wie ich mir das vorstelle. Wir haben das ganz gut besprochen und ich denke, da ist Kommunikation und Offenheit und Toleranz maßgebend. Und mir fällt es leicht abzugeben, weil ich das als Gewinn sehe. Wenn ich heimkomme, dann habe ich einfach diese Sachen erledigt und kann die Zeit mit Familie und Kinder verbringen. Und das ist ein schönes, entspanntes Gefühl."
Ein Bewusstsein für den Schaden durch Schwarzarbeit schaffen
Florian Sapper ist Geschäftsführer einer Firma, die sich auf Gebäudereinigung, Hausmeisterservice und Grünpflege spezialisiert hat. Seine Mitarbeiter sind alle sozialversicherungspflichtig angestellt. Das familiär geführte Unternehmen zahlt seinen Angestellten 11 Euro pro Stunde, also etwas mehr als den branchenüblichen Mindestlohn von 10 Euro 30. Es gibt Urlaubs- und Krankengeld. Das alles waren Voraussetzungen, um als Dienstleister bei diesem Projekt mitzumachen. Der 34-jährige Betriebswirt fand vor allem eins gut: die Bekämpfung der Schwarzarbeit. Denn von den schätzungsweise 3,6 Millionen Haushaltshilfen im Land putzen zwischen 2,7 und 3 Millionen unangemeldet. Florian Sapper:
"Leute, die keine Sozialabgaben abführen, die schmälern natürlich auch dieses Gesamtpaket an sozialer Politik. Zum anderen machen die uns auch den Markt kaputt, dass die halt Preise anbieten, die betriebswirtschaftlich gar nicht aufgehen. Und deswegen haben wir eigentlich relativ viel Probleme mit ausländischen Firmen, so Scheinselbstständigen. Und die Schwarzarbeit - wie soll ich das sagen... Dadurch, dass da halt auch Gelder fehlen, wird natürlich auch die Wirtschaftsleistung geschwächt. Dieser Teil, den man jetzt abführt an Sozialabgaben, dient auch der Allgemeinheit. Und wenn dann finanzielle Mittel fehlen, dann fehlt es uns allen an Straßen oder Schulen oder Infrastruktur in den Städten, in den Ländern und auch bundesweit."
Das mittelständische Familienunternehmen sei in der Region verwurzelt, sagt Florian Sapper. Und so kenne er die "Stammtischdiskussionen", dass der Pole von nebenan die gleiche Arbeit nur für die Hälfte macht. Dann versucht er mit den Leuten zu sprechen, sie aufzuklären.
"Und ich denke mal, Schwarzarbeit wird man nicht gänzlich abschaffen können. Aber man muss da schon ein stärkeres Bewusstsein schaffen."
Belgien hat den Schwarzmarkt ausgetrocknet
Für alle Teilnehmer des Modellprojektes - Familien und Unternehmen - war das Ganze ein voller Erfolg. Genau wie in Belgien. Von dort stammt die Idee. Seit 2004 wird hier das Gutschein-Prinzip erfolgreich praktiziert. Uta Meier-Gräwe:
"Jeder belgische Bürger, jede belgische Bürgerin kann sich im Bürgerbüro pro Jahr 1000 subventionierte Gutscheine abholen. D.h. man zahlt selber - jetzt aktuell ist die Summe neun Euro pro Gutschein. Der Gutschein hat aber einen Wert von 23 Euro, sodass man sich mit diesem Gutschein dann in ein zertifiziertes, also nach Qualitätsstandards arbeitendes Dienstleistungsunternehmen wenden kann und diese Gutscheine dort einlöst. Und kriegt eine sozialversicherungspflichtig beschäftige Dienstleisterin. Und das haben sie wirklich sehr ambitioniert gemacht. Und haben in historisch kurzer Zeit von zwei bis drei Jahren praktisch diesen Schwarzmarkt fast komplett ausgetrocknet. Und das ist doch wirklich eine intelligente politische Maßnahme."
Ob es die haushaltsnahen Gutscheine nach Ende der Pilotphase im März 2019 in Deutschland weitergeben wird, ist noch nicht klar. Im aktuellen Koalitionsvertrag steht, dass Zuschüsse für haushaltsnahe Dienstleistungen gezahlt werden sollen. Darauf vertraut Uta Meier-Gräwe. Die emeritierte Professorin hofft, dass dieses Projekt nicht wieder nur eines dieser vielen Modellprojekte bleibt, sondern sogar noch ausgebaut wird und nicht auf berufstätige Frauen begrenzt bleibt.
"Sondern auch für alle Bürger zugänglich zu machen, auch für ältere Menschen, die um ihren Alltag in der vertrauten Umgebung fortsetzen zu können, diese haushaltsnahe Dienstleistung brauchen. Die brauchen nicht immer gleich Pflege, sondern Alltagsentlastung und das wäre dann das Ziel, dass ab 2020 das ganze ins Gesetzgebungsverfahren geht."
Die Expertin für Wirtschaftslehre des Privathaushalts findet das gerade für die Debatte, wie man Frauen am Arbeitsmarkt halten könne, wichtig. Die Finanzierung haushaltsnaher Dienstleistungen gehöre mit dazu.
* Namen auf Wunsch anonymisiert.
Erstsendedatum: 3. Dezember 2018