Haushaltspolitik

Vom Nutzen und Schaden der "schwarzen Null"

Das Foto vom 18.01.2013 in Berlin zeigt die Schuldenuhr des Bundes der Steuerzahler in Berlin.
Inzwischen wieder veraltet: die Schuldenuhr des Bundes der Steuerzahler in Berlin - Stand: 18. Januar 2013. © picture alliance / dpa / Kay Nietfeld
Von Brigitte Scholtes und Michael Braun |
Solides Haushalten schafft Vertrauen bei Investoren. Deshalb nützt die von Wolfgang Schäuble geplante schwarze Null der deutschen Wirtschaft, meint Brigitte Scholtes. Michael Braun hält sie dagegen für ein zweifelhaftes Prestigeprojekt.
PRO: Die schwarze Null nützt der deutschen Wirtschaft
Von Brigitte Scholtes
Warum weg mit der schwarzen Null? Das Ziel ist alles andere als ehrgeizig. Es geht ja nur darum, nicht noch mehr Schulden zu machen. Von Tilgen, von Schuldenabbau ist überhaupt nicht die Rede.
Bisher sind zwar die Zinsausgaben des Bundes gesunken, von gut 38 Milliarden Euro im Jahr 2009 auf rund 32 Milliarden Euro im vorigen Jahr. Das aber nur wegen der niedrigen Zinsen. Die Schulden sind munter gestiegen wie seit 45 Jahren schon, allein voriges Jahr beim Bund um 18 Milliarden Euro auf 1,1 Billionen.
1,1 Billionen Euro. Ein knappes Drittel der Bundesausgaben entfällt auf den Schuldendienst. Und wie viel wird das, wenn die Zinsen mal wieder steigen? Ein gutes Drittel? 40 Prozent? Gar die Hälfte?
Wo soll dann das Geld herkommen für die wesentlichen Ausgaben des Staates? Für Bildung, für Rechtssicherheit, also Polizei und Gerichte, für die Zuschüsse zu den Sozialversicherungen, die Landesverteidigung? Immer weiter so, also mit neuen Schulden die alten Schulden finanzieren?
Das können wir der nachwachsenden Generation nicht zumuten. Ein Leben auf Kosten der Kinder ist ein unverantwortliches Leben. Wer das beiseite wischt, rechnet wohl gar nicht mehr damit, dass der Staat seine Schulden jemals tilgt. Womöglich setzt er auf eine Entwertung von Staatschulden durch Inflation.
Wir brauchen das Vertrauen der Investoren
Dieser Verdacht darf gar nicht erst aufkommen. In einen solchen Staat verlören Geldgeber ihr Vertrauen. Solides Haushalten schafft dagegen Vertrauen bei Investoren.
Dieses Vertrauen brauchen wir. Auch in der Finanzpolitik. Denn von dort strahlt sie aus auf alle Bereiche staatlichen Handelns. Ein unsolide wirtschaftender Staat kann keine Friedensinitiativen stiften, keine Zukunft gestalten, weil über allem ein Damoklesschwert schwebte. Und darauf stünde "Pleite" oder „Inflation".
Die beste Wirtschafts- und Finanzpolitik ist die, die Solidität verheißt: Ausgeglichene Staatshaushalte, viel Vertrauen in stabiles Geld, so muss Politik sein.
Und sie muss dem Bürger möglichst viel Freiheit lassen, Freiheit auch über sein Geld. Es müsste eigentlich jedem einsichtig sein, dass es völlig ineffizient ist, dem Bürger zuerst das Geld über Steuern wegzunehmen und es dann – nachdem das Geld eine lange Buchungstour durch die Staatsbürokratie hinter sich hat – dem Bürger in Form von Zuschüssen und Subventionen zurückzugeben. Die Finanzämter, die das alles umsetzen, die Parlamente, die das alles beschließen müssen, die könnten sich viel Arbeit sparen.
Natürlich muss ein Staat auch investieren, in Bildung, Straßen, Kanäle. Aber dazu muss er keine Schulden machen. Jedenfalls ein Staat wie Deutschland nicht. Denn sonst ufert er aus. Beispiele? Gerne zwei:
Sektsteuer und Steuern für Autofahrer
Die Sektsteuer wurde 1902 eingeführt, um die kaiserliche Kriegsmarine zu finanzieren. Mittlerweile gibt es keinen Kaiser mehr, auch keine kaiserliche Kriegsmarine mehr. Aber die Schaumweinsteuer blieb. Hoffentlich kostet ihre Eintreibung nicht mehr als der Ertrag von monatlich rund 30 Millionen Euro.
Oder nehmen wir den Autofahrer: Jährlich fließen durch Mineralölsteuer, Kfz-Steuer und Lkw-Maut mehr als 50 Milliarden Euro in die Staatskasse. Aber weniger als die Hälfte, nur knapp 20 Milliarden, werden wieder in die Straße investiert.
Auch jetzt heißt es wieder, die Schuldenbremse, noch gar nicht richtig angezogen, müsse gelöst werden, um dringend notwendige Investitionen zu bezahlen. Warum? Das Geld wäre doch da, würde es nicht für die Mütterrente und demnächst, wenn die Beitragsreserven der Rentenkasse verfrühstückt sein werden, für vorgezogene Altersrenten auszugeben.
Manchmal hat man den Verdacht, Schulden werden nur gemacht, damit die, die Geld übrig haben, was zum Anlegen haben, damit sie also Staatsanleihen kaufen können. Diese Zinsausgaben müssen nicht sein. Ein schlanker Staat könnte auch ohne Schulden investieren, sogar in der aktuellen Situation.
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) stellt am 02.07.2014 vor der Bundespressekonferenz in Berlin den Regierungsentwurf für den Bundeshaushalt 2015 und für den Finanzplan 2014 bis 2018 vor.
Wolfgang Schäuble skizzierte im Juli 2014 den Weg zu einem ausgeglichen Haushalt ohne Neuverschuldung.© dpa / Wolfgang Kumm
CONTRA: Die schwarze Null schadet der deutschen Wirtschaft
Von Michael Braun
Die "schwarze Null", das klingt zunächst einmal einleuchtend: Wer mehr Geld ausgibt, als er einnimmt, der erhält irgendwann die Quittung dafür. Sprich: Die kommenden Generationen müssen schauen, wie sie den Schuldenberg abtragen. Doch diese "schwarze Null" ist zu einem reinen Prestigeprojekt des Bundesfinanzministers geworden. Um den ersten ausgeglichenen Haushalt seit 1969 zu erreichen - den hatte Franz-Josef Strauß damals geschafft - trickst und schönt er.
Da gibt der Bund nur noch knapp 10 Milliarden Euro im Jahr für den Erhalt von Straßen und Brücken aus, während es in den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts noch zwischen 11 und 14 Milliarden Euro waren. Es fehlen also mehrere Milliarden Euro im Jahr, um den Wertverfall aufzuhalten. Kosten wurden ausgelagert, vermehrt etwa in öffentlich-private Partnerschaften. Da ist der Bund die Lasten erst einmal los, die Verpflichtungen aber hat er in die Zukunft verschoben, ohne dass diese im Haushalt als direkte Schulden ausgewiesen werden müssen. Es gibt viele weitere Beispiele. Die schwarze Null ist also eher eine rote Null.
Außerdem verschließt die Bundesregierung die Augen davor, dass mit eisernem Sparen jetzt in der Zukunft eher das Gegenteil bewirkt wird. Denn wenn man am falschen Ende spart, verschiebt man die Ausgaben ebenfalls nur in die Zukunft. Beispiel Infrastruktur: Marode Brücken müssen saniert werden, Straßen und Autobahnen sind ebenfalls zu großen Teilen in schlechtem Zustand. Auch die IT-Netze müssen dringend ausgebaut werden.
Das Risiko einer Kostenexplosion in zehn Jahren
17 Prozent der Wirtschaftsleistung in Deutschland fließen in private und öffentliche Investitionen. Mitte der 90er-Jahre waren das nach Berechnung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung noch 23 Prozent. Und die OECD-Länder geben im Schnitt knapp 20 Prozent dafür aus. Um auf dieses Niveau zu kommen, müsste Deutschland 80 Milliarden Euro im Jahr mehr investieren, es fällt also im internationalen Vergleich zurück.
Heute an Investitionen zu sparen bedeutet aber eine Kostenexplosion in vielleicht zehn Jahren zu riskieren. Dann muss man also weit mehr Geld in die Hand nehmen als jetzt - und das nur, damit heute eine schwarze Null unter dem Strich steht.
Wie in einem normalen Privathaushalt sollte man in guten Zeiten für schlechte vorsorgen und Geld beiseitelegen. Doch wenn sich jetzt die wirtschaftliche Lage eintrübt, dann kann man nicht mehr eisern am Sparkurs festhalten. Denn dann würgt man die Konjunktur noch mehr ab, dann werden Ausgaben gekürzt, nur um eines ausgeglichenen Haushalts willen. Dann steigt wahrscheinlich auch die Arbeitslosigkeit – und damit wieder die Lasten des Staates. Zwanghaftes Sparen jetzt führt also zu mehr Lasten und Schulden in der Zukunft.
Deutschland muss investieren, damit es nicht abgehängt wird
Wegen der Reformen der Vergangenheit steht die deutsche Wirtschaft gut da, aber sie zehrt von dem bisher Erreichten. Deutschland muss investieren, damit es nicht abgehängt wird. Und das sollte auch auf Pump geschehen - solange die Investitionen sinnvoll sind.
2009 etwa hatte die Bundesregierung ein Konjunkturprogramm aufgelegt, um die Auswirkungen der Finanzkrise auf die deutsche Wirtschaft abzufedern. Damals wurden u.a. viele staatlich finanzierte Bauprojekte angeschoben. Diese haben nicht kurz-, aber doch mittelfristig Auswirkungen: Wenn die Infrastruktur gut ist, zieht das etwa Unternehmen an, die von davon profitieren wollen, die sich dann dort und nicht im Ausland niederlassen und Arbeitsplätze schaffen. Das, was der Staat vorfinanziert, erhält er dann in einigen Jahren über höhere Steuereinnahmen zurück.
Das gilt auch für die Ausgaben für Bildung und Bildungsinstitutionen: Wenn man heute Kindergärten und Schulen verkommen lässt und auch nicht ausreichend in die Ausstattung von Hochschulen investiert, hat das Auswirkungen auf die Qualität der Ausbildung. Besser ausgebildete Erzieher und Lehrkräfte aber geben ihr Wissen an die Kindergartenkinder, an die Schüler und Studenten weiter. Hochqualifizierte Fachkräfte aber sind ein wesentlicher Faktor für die Stärke der deutschen Wirtschaft. Das zahlt sich dann zwar nicht in Monaten und Jahren aus, sondern eher in Jahrzehnten. Umgekehrt gilt aber auch: Wer da heute spart, der spart am falschen Ort.
Im globalen Vergleich konkurrenzfähig bleiben
Der Bund muss also wohl wägen, in welche Bereiche es sich zu investieren lohnt. Auf Pump kurzfristigen Konsum finanzieren oder das Geld in Projekte stecken, die keinen nachhaltigen Nutzen haben, das ist nicht sinnvoll. Wohl aber, möglichst viele Menschen so zu qualifizieren, dass sie ordentliche Jobs haben können.
Deutschland ist keine Insel. Die deutsche Wirtschaft muss im globalen Vergleich konkurrenzfähig bleiben. Nicht nur die anderen Industrieländer sind da die Wettbewerber. Auch die Schwellenländer holen auf.
Sollte Deutschland nicht rechtzeitig investieren, dann könnte sich das rächen. Denn diesen Rückstand aufzuholen, dürfte dann immer schwerer werden.
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