Hausprojekte

Wir kaufen uns einen Plattenbau

Abendlicher Himmel über der Frankfurter Allee - Höhe Magdalenenstraße - in Berlin
Abendlicher Himmel über der Frankfurter Allee - Höhe Magdalenenstraße, wo sich eines der Hausprojekte des Miethäusersyndikats befindet. © picture alliance / dpa / Soeren Stache
Von Anja Nehls |
Eine Alternative für Menschen, die beim Wohnen andere Wege gehen wollen, sind die Hausprojekte des Miethäusersyndikats. Die Häuser werden gemeinschaftlich über eine GmbH gekauft, ihre Bewohner sind immer Mieter. Eines davon ist in einem Plattenbau im Berliner Bezirk Lichtenberg.
Der Mietenmarkt in Berlin ist angespannt, Wohneigentum fast unerschwinglich. Eine Alternative für Menschen, die andere Wege gehen wollen, sind die Hausprojekte des Miethäusersyndikats. Das hat sich vor mehr als 20 Jahren in Freiburg gegründet und bisher über 100 Projekte in Deutschland entwickelt.
Die Häuser werden gemeinschaftlich über eine GmbH gekauft. Das Syndikat berät die Projektgruppen und wird Mitgesellschafter. Das Syndikat berät ausdrücklich keine Baugruppen, bei denen es darum geht, privates Eigentum zu erwerben. Das Modell ist auch nicht vergleichbar mit Genossenschaften, bei denen mit Eigenkapital ein Miteigentumsanteil erworben werden muss.
Die Bewohner der Hausprojekte sind immer Mieter. Derzeit bezahlen 2500 Bewohner im Jahr fast fünf Millionen Euro Miete. Ihre Häuser sind unverkäuflich, sie sichern über Solidarbeiträge – besonders, nachdem ein Haus über Mieten abbezahlt wurde – neue Projekte und organisieren ihr Wohnen selbst.
"Wir machen das Projekt aus politischen Gründen"
In Berlin gibt es 16 solcher Hausprojekte, eines davon in einem Plattenbau im Berliner Bezirk Lichtenberg. Das Haus ist Teil des ehemals dort angesiedelten Verwaltungskomplexes des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR. Vor ca. vier Jahren wurde es gekauft, im Mai sind die ersten Bewohner eingezogen. Anja Nehls stellt das Projekt vor:
"Ja - also wir haben sechs Stockwerke, es gibt verschiedene Wohnkonzepte auf jedem Stockwerk, im ersten z.B. ist das komplette Stockwerk eine Wohnung, da wohnen zwölf Leute zusammen mit Kindern..."
S.H.* kennt sie alle, alle 60. So viele Menschen wohnen hier in der Platte, Magdalenenstraße 19 in Berlin-Lichtenberg. Vor ein paar Jahren noch wollte hier niemand leben, jetzt ist die Gegend Sanierungsgebiet und die Investoren geben sich die Klinke in die Hand. Im Haus Magdalenenstraße 19 gibt es große und kleine Wohngemeinschaften, ganz große und ganz kleine Wohnungen – allesamt zum Schnäppchenpreis.
"Wir machen das Projekt aus politischen Gründen, aber auch um günstigen Wohnraum zu schaffen und der berühmten Berliner Verdrängung entgegenzuwirken. Das bedeutet, dass wir hier eine Nettokaltmiete von 4,70 Euro haben."
Aron Bruckmiller wohnt zusammen mit sechs Mitbewohnern in einer WG im dritten Stock. Möglich macht den günstigen Mietpreis eine ganz spezielle Konstruktion. Eigentümer des Hauses ist eine GmbH.
Nur bis zum zweiten Stock ist der Plattenbau gedämmt
In dieser GmbH gibt es zwei Gesellschafter. Den Hausverein, bestehend aus allen Bewohnern, und das Miethäusersyndikat. Seit 20 Jahren ist das eine nicht kommerziell organisierte Beteiligungsgesellschaft zum gemeinschaftlichen Erwerb von Häusern. Das Ziel des Verbunds ist es, Wohnraum zu erhalten, den möglichst alle Menschen bezahlen können. An über hundert Hausprojekten in Deutschland ist das Mietshäusersyndikat beteiligt, 16 davon in Berlin, sagt Martin Hagemeier vom Syndikat:
"Das heißt wir kommen mit gebündelter Erfahrung, mit Theorie und Wissen, wie schaffe ich ein Hausprojekt, wie schaffe ich es an Häuser ranzukommen, wie finde ich die. Alles andere müssen ziemlich viel die Projekte machen Zum anderen kommen wir mit der Erfahrung der Finanzen und der technischen Abläufe. Das heißt, wenn ich eine Quadratmeter-Miete habe will, die später bezahlbar ist, wie viel darf ich investieren, wie viel kann ich investieren."
Eine Millionen hat das Haus hier gekostet, eine weitere wurde investiert. Nur bis zum zweiten Stock ist der alte Plattenbau gedämmt und weiß verputzt, für die grauen Etagen darüber hat das Geld nicht mehr gereicht. Jeder hat hier mit angepackt – irgendwie zwischen Zweckgemeinschaft und Freundeskreis, meint Kai Krüger:
"Diese Gruppe hat sich zusammengefunden, weil dieses Haus gefunden wurde und es viel größer war als wir als Projektgruppe aus dem Freundeskreis. Und deshalb haben wir uns dann ganz schnell auf die Suche nach anderen Projektgruppen gemacht und sind in einem ziemlichen Hauruckverfahren fusioniert. Wir haben ganz kurz abgesprochen, die grundsätzlichen Richtlinien wie wir so wohnen wollen."
Und dann gemeinsam umgesetzt. Außen entsteht gerade ein kleiner Kinderspielplatz, Innen liegen Parkett oder Laminat, Linoleum, Teppich oder Fliesen – ganz nach Wunsch oder handwerklichem Geschick der Bewohner. Die Räume sind alle exakt 16 Quadratmeter groß, regelmäßig, rechts und links des Flures. Nur ganz vereinzelt wurden Wände herausgenommen, zu teuer, denn alle Wände hier sind tragend. Der alte Plattenbau war ein ehemaliges Bürogebäude der Stasi, sagt Kai Krüger:
"Die meisten haben ganz entsetzt geguckt, haben Jahre gebraucht, um damit zurechtzukommen. Tatsächlich nur aufgrund der total miserablen Wohnungssituation in Berlin haben sie das in Kauf genommen. Und inzwischen freuen sie sich über ein total schönes Haus, was ja auch wirklich von den Architekten sehr gut umgebaut wurde und total gemütlich ist. Es war für viele Leute, die haben richtig hart geschluckt, als sie das Haus gesehen haben."
"Das ist ein Risiko für die Kapitalgeber"
Kai Krüger lebt mit sieben Erwachsenen und einem Baby in einer 230-Quadratmeter-Wohnung. Mehrere Bäder, Küche, Arbeitszimmer, ein eigenes Zimmer 250 Euro warm. Momentan promoviert er in Wirtschaftsgeschichte. Akademiker und Arbeitslose, Ältere und Jüngere, Handwerker und Studenten leben hier zusammen. Eigenkapital war nicht nötig.
Finanziert wurde durch Bankkredite, KfW-Förderung, und über eine halbe Millionen Euro Direktkredite, mit deren Hilfe wiederum Bankkredite eingeworben werden konnten. Viel Arbeit für die Projektgruppe, meint Martin Hagemeyer:
"Das heißt bei größeren Wohnprojekten gibt es meistens eine Finanz AG, die sich um die Organisation der Direktkredite, der Nachrangdarlehen kümmert. Und es ist dann Aufgabe der Gruppen, Freunde, Bekannte, Verwandte oder auch andere Menschen anzusprechen, inwiefern sie bereit sind, das Projekt zu unterstützen."
Häufig unterstützen Menschen, die bereits woanders in einem vom Miethäusersyndikat - Projekt leben. Die Kreditgeber sind Überzeugungstäter:
"Das ist ein Risiko für die Kapitalgeber. Also wir nennen das pauschal Direktkredite. Korrekterweise sind es Nachrangdarlehen, die nach einem Bankkredit, wenn überhaupt, ns Grundbuch eingetragen werden. Dadurch sind die Nachrangdarlehen schlechter abgesichert. Im Insolvenzfall wird erst die Bank bedient und dann die weiteren Darlehensgeber, die nachrangig kommen. Das muss man den Leuten auch vermitteln."
"Streitereien - aber auch ganz wunderbare Momente"
Dafür ist das Haus dann auf Dauer dem Kapitalmarkt entzogen. Weil das Syndikat als Gemeinschaft aller Hausprojekte Mitgesellschafter ist kann das Haus de facto nicht verkauft werden. Sollten die Kredite mit der geringen Miete irgendwann abbezahlt sein, werden mit dem Geld andere Hausprojekte unterstützt. Eine stolze Hausbesitzerin will S.H.* auch gar nicht sein.
"Im Gegenteil, also es hat ja hier niemand Eigentum und es ist z.B. auch anders bei einer Genossenschaft, wo es ja schon darauf angelegt ist, einen Anteil zu besitzen mehr oder weniger, das ist hier überhaupt nicht so. Wir sind alle Mieterinnen und wir haben Wohnraum eben nicht nur für uns geschaffen, sondern auch für Leute, die hier einziehen wollen, wenn jemand von uns hier nicht mehr wohnt."
Im Erdgeschoss sollen Vereine, politische Gruppe und Initiativen einziehen. Im Versammlungsraum im Hof gibt es Kultur und gemeinsame Feste. Alle zwei Wochen trifft sich die Hausgemeinschaft diskutiert und stimmt ab – über Hochbeete, Fahrradständer, Dämmungen und Kredite. Fast wie eine große Familie:
"Also natürlich gibt es viele Streitereien, aber es gibt auch ganz viele, ganz wunderbare Momente zusammen, also so ist das halt."
(*) Wir haben den Namen der O-Ton-Geberin auf ihre Bitte hin anonymisiert.
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