Hautevolee an den Elbhängen
Weniger "plaudertaschenhaftig" als die literarische Vorlage: Die Dresdner Familiengeschichte aus den letzten sieben Jahren der DDR erntet in der Inszenierung von Wolfgang Engel am Staatsschauspiel Dresden Lob.
In gleich zwei Spielfassungen geht einer der erfolgreichsten Romane jüngerer Zeit an den Theaterstart. "Der Turm", Uwe Tellkamps vielfach ausgezeichnetes Gesellschaftspanorama aus den letzten Jahren der schon dem Untergang geweihten DDR, wird demnächst in Wiesbaden und danach in Potsdam vom bewährten Thomas-Mann-Bearbeiter John von Düffel szenisch umgesetzt.
Den ersten Versuch der Dramatisierung hat aber Armin Petras, im Hauptberuf Intendant des Maxim-Gorki-Theaters in Berlin und dort fast zeitgleich mit der eigenen Inszenierung der "Blechtrommel” von Günter Grass bühnenpräsent, gemeinsam mit Jens Groß besorgt. Der ist Haus-Dramaturg am Staatsschauspiel Dresden und bereitete im Vorjahresherbst, zum Auftakt der Intendanz von Wilfried Schulz, bereits "Adam und Evelyn” für die Uraufführungsinszenierung von Julia Hölscher auf, den Vorwenderoman von Ingo Schulze. Wie damals ist auch jetzt "Der Turm” schon wieder ein Ereignis.
Intendant Schulz hatte ja im Vorjahr noch beschwichtigen müssen, "Der Turm”, erschienen 2008, komme nicht gleich in der ersten Spielzeit zur Premiere. Aber gleich danach. Versprochen. Die Inszenierung wurde geradezu sehnsüchtig erwartet.
Die großbürgerliche Hautevolee an den Elbhängen, im Stadtteil "Weißer Hirsch” vor allem, gilt als historische Spezialität der Stadt. Mit ihr überlebte eine gesellschaftliche Spezies, die in der DDR so eigentlich gar nicht mehr vorgesehen war: das Groß- und Bildungsbürgertum in den Familien von Ärzten und Wissenschaftlern, Schriftstellern und Intellektuellen.
Ihre Geschichten und ihre Geschichte in den letzten Jahren der DDR erzählt Tellkamp auf gut 1000 Seiten, und es ist ja auch seine Geschichte. Die Busfahrer weisen bei Dresdner Stadtrundfahrten im Doppeldeckerbus darauf hin, in welcher Konditorei Tellkamps Familie Hoffmann die Quarkkeulchen zu kaufen pflegte.
Tellkamps Geschichte(n) kennt auch der Regisseur Wolfgang Engel sehr gut – er war seit 1980 und bis knapp über das Ende der DDR hinaus Hausregisseur am Dresdner Staatschauspiel. In Vorwende- und Wendezeiten spielte er gemeinsam mit dem Dresdner Ensemble eine wichtige Rolle in der Dynamik des Umsturzes. "Wir treten aus unseren Rollen” - in Dresden, bei und mit Engel, begannen selbstbewusste Künstler sich in den Wendeprozess einzumischen. Engels "Turm”-Inszenierung ist dieses Beteiligt-Sein unbedingt und über sehr weite Strecken anzumerken.
Noch einmal verdichtet er die erzählten Bilder der gesellschaftlichen Enge, die sich auf Geheiß der staatlich-parteilichen Funktionsträger ausgebreitet hat; und versucht zu erklären, inwieweit und bis zu welchen Grenzen die Intellektuellen aus "Weißer Hirsch” eine Art Unabhängigkeit behaupten konnten oder wollten.
Die Präsenz der Lauscher ist allgegenwärtig, schon im Bühnen-Bild von Olaf Altmann, der das Bühnen-Portal des Dresdner Staatsschauspiel mit einer Hausfassadenkonstruktion aus neun Balkonen gefüllt hat. Wann immer auf einem dieser Balkone irgendwer irgendetwas Geheimes oder Intimes mitzuteilen hat – sicherlich hört nebenan jemand zu.
Die begabte, aber von der Kulturbürokratie an der Veröffentlichung in der DDR gehinderte Schriftstellerin, deren Lektor und die Schriftsteller-Kollegen der opportunistischen und/oder parteilinientreuen Sorte; die Mediziner rund um Richard Hoffmann, den zentralen Patriarchen der Geschichte; die Kinder dieser Familien, deren Lebenswege sich nie wirklich frei entwickeln können, deren Horizont aber immer weit ist, auf Fernsicht gestellt sozusagen.
Tellkamps Panorama ist bei Engel, Petras und Groß eine Sammlung lebenspraller, berührender Bild-Geschichten. Und nur manchmal kommen wir ein wenig durcheinander durch die gelegentlichen Mehrfach- und Doppel-Besetzungen im Ensemble. Nur manchmal auch wirkt die massive Beredsamkeit, um nicht zu sagen Plaudertaschenhaftigkeit des Romans auf der Bühne ein wenig zähflüssig.
Wie so oft schon in jüngerer Zeit prägt sich aber Christine Hoppe ein, aber auch Benjamin Pauquet als jüngster Hoffmann, also quasi im Selbstporträt des Autors Tellkamp, Benjamin Höppner als Onkel Meno und Holger Hübner als Oberhaupt der Sippe – generell ist dem Ensemble insgesamt ein großer, dichter, berührender Abend gelungen. Und einige sind ja dabei, die auch schon mit Engel die Jahre des Umbruchs durchlebten. Damals. Damals?
Wie wird das alles weit weg im Westen aussehen: in Wiesbaden? Wie in Potsdam, wo es vergleichbare Erinnerungen zu denen in Dresden gibt - mit Babelsberg statt "Weißer Hirsch”? "Der Turm” bleibt eine der großen Herausforderungen dieser Theatersaison.
Den ersten Versuch der Dramatisierung hat aber Armin Petras, im Hauptberuf Intendant des Maxim-Gorki-Theaters in Berlin und dort fast zeitgleich mit der eigenen Inszenierung der "Blechtrommel” von Günter Grass bühnenpräsent, gemeinsam mit Jens Groß besorgt. Der ist Haus-Dramaturg am Staatsschauspiel Dresden und bereitete im Vorjahresherbst, zum Auftakt der Intendanz von Wilfried Schulz, bereits "Adam und Evelyn” für die Uraufführungsinszenierung von Julia Hölscher auf, den Vorwenderoman von Ingo Schulze. Wie damals ist auch jetzt "Der Turm” schon wieder ein Ereignis.
Intendant Schulz hatte ja im Vorjahr noch beschwichtigen müssen, "Der Turm”, erschienen 2008, komme nicht gleich in der ersten Spielzeit zur Premiere. Aber gleich danach. Versprochen. Die Inszenierung wurde geradezu sehnsüchtig erwartet.
Die großbürgerliche Hautevolee an den Elbhängen, im Stadtteil "Weißer Hirsch” vor allem, gilt als historische Spezialität der Stadt. Mit ihr überlebte eine gesellschaftliche Spezies, die in der DDR so eigentlich gar nicht mehr vorgesehen war: das Groß- und Bildungsbürgertum in den Familien von Ärzten und Wissenschaftlern, Schriftstellern und Intellektuellen.
Ihre Geschichten und ihre Geschichte in den letzten Jahren der DDR erzählt Tellkamp auf gut 1000 Seiten, und es ist ja auch seine Geschichte. Die Busfahrer weisen bei Dresdner Stadtrundfahrten im Doppeldeckerbus darauf hin, in welcher Konditorei Tellkamps Familie Hoffmann die Quarkkeulchen zu kaufen pflegte.
Tellkamps Geschichte(n) kennt auch der Regisseur Wolfgang Engel sehr gut – er war seit 1980 und bis knapp über das Ende der DDR hinaus Hausregisseur am Dresdner Staatschauspiel. In Vorwende- und Wendezeiten spielte er gemeinsam mit dem Dresdner Ensemble eine wichtige Rolle in der Dynamik des Umsturzes. "Wir treten aus unseren Rollen” - in Dresden, bei und mit Engel, begannen selbstbewusste Künstler sich in den Wendeprozess einzumischen. Engels "Turm”-Inszenierung ist dieses Beteiligt-Sein unbedingt und über sehr weite Strecken anzumerken.
Noch einmal verdichtet er die erzählten Bilder der gesellschaftlichen Enge, die sich auf Geheiß der staatlich-parteilichen Funktionsträger ausgebreitet hat; und versucht zu erklären, inwieweit und bis zu welchen Grenzen die Intellektuellen aus "Weißer Hirsch” eine Art Unabhängigkeit behaupten konnten oder wollten.
Die Präsenz der Lauscher ist allgegenwärtig, schon im Bühnen-Bild von Olaf Altmann, der das Bühnen-Portal des Dresdner Staatsschauspiel mit einer Hausfassadenkonstruktion aus neun Balkonen gefüllt hat. Wann immer auf einem dieser Balkone irgendwer irgendetwas Geheimes oder Intimes mitzuteilen hat – sicherlich hört nebenan jemand zu.
Die begabte, aber von der Kulturbürokratie an der Veröffentlichung in der DDR gehinderte Schriftstellerin, deren Lektor und die Schriftsteller-Kollegen der opportunistischen und/oder parteilinientreuen Sorte; die Mediziner rund um Richard Hoffmann, den zentralen Patriarchen der Geschichte; die Kinder dieser Familien, deren Lebenswege sich nie wirklich frei entwickeln können, deren Horizont aber immer weit ist, auf Fernsicht gestellt sozusagen.
Tellkamps Panorama ist bei Engel, Petras und Groß eine Sammlung lebenspraller, berührender Bild-Geschichten. Und nur manchmal kommen wir ein wenig durcheinander durch die gelegentlichen Mehrfach- und Doppel-Besetzungen im Ensemble. Nur manchmal auch wirkt die massive Beredsamkeit, um nicht zu sagen Plaudertaschenhaftigkeit des Romans auf der Bühne ein wenig zähflüssig.
Wie so oft schon in jüngerer Zeit prägt sich aber Christine Hoppe ein, aber auch Benjamin Pauquet als jüngster Hoffmann, also quasi im Selbstporträt des Autors Tellkamp, Benjamin Höppner als Onkel Meno und Holger Hübner als Oberhaupt der Sippe – generell ist dem Ensemble insgesamt ein großer, dichter, berührender Abend gelungen. Und einige sind ja dabei, die auch schon mit Engel die Jahre des Umbruchs durchlebten. Damals. Damals?
Wie wird das alles weit weg im Westen aussehen: in Wiesbaden? Wie in Potsdam, wo es vergleichbare Erinnerungen zu denen in Dresden gibt - mit Babelsberg statt "Weißer Hirsch”? "Der Turm” bleibt eine der großen Herausforderungen dieser Theatersaison.