Es gibt wohl keine Person, die sich für Rockmusik interessiert und diese Gitarrenakkorde nicht kennt. Vor etwas über 40 Jahren ging dieser Sound um die Welt, begeisterte die Jungen und schockierte die Älteren.
"Highway to Hell" von AC/DC – inzwischen ein Klassiker des Hardrock. Dass er im Westen für Furore sorgte, weiß man. Aber in der DDR?
Ja. Auch in der DDR hat die Platte eine Jugendszene fasziniert. Meine ältere Schwester Ines war Teil davon – für sie war AC/DC ein Tor in eine andere Welt in einer Zeit, in der die Mauer noch hundert Jahre stehen sollte.
„Im zarten Alter von 14 oder 15 Jahren hat mir mein Cousin AC/DC vorgespielt. Und das war etwas ganz Anderes, als was wir früher gehört hatten. Diese klaren Gitarrenriffs, die Drums dazu, das ging einfach unter die Haut. Dazu noch die geniale Stimme von Bon Scott. Da war ich natürlich hin und weg.“
AC/DC - härtestes Rockalbum in der DDR
Dass Ines und viele andere Jugendliche diese Platte überhaupt kaufen konnten, war ungewöhnlich. Das
DDR-Plattenlabel Amiga hatte sie herausgebracht, nur zwei Jahre nach ihrem Erscheinen 1979. Im spärlichen Katalog der Lizenzveröffentlichungen westlicher Bands war es das härteste Rockalbum, das es bis dahin in der DDR zu kaufen gab. Für Ines war es nur der Anfang. Zwei Jahre später entdeckte sie die britische Band Judas Priest.
„Diese doppelten Gitarren, die unter Kopfhörern einem einfach unter die Haut gingen, dann die klare, kraftvolle Stimme von Rob Halford – sowas Geniales.“
Schallplatten des ehemaligen DDR-Labels Amiga: Das brachte zwei Jahre nach Erscheinen zur Freude der Heay-Metal-Fans AC/DC heraus.© IMAGO/Zoonar / Heiko Kueverling
Bald war meine Schwester Teil einer großen Gruppe von Heavy-Metal-Fans in unserem Heimatort Seelow, einer Kleinstadt östlich von Berlin. In einer Clique von zehn bis fünfzehn Leuten war sie in den 80er-Jahren ständig unterwegs in Sachen Heavy Metal. Jetzt ist sie Mitte Fünfzig, seit über 30 Jahren verheiratet, Mutter, sogar auch Oma. Heavy Metal hört sie immer noch – wie die meisten ihrer Freunde von damals.
Viel mehr Heavy-Metal-Fans als Punks
Sie alle gehörten in den 80er-Jahren zu einer großen Subkultur in der DDR. Im Gegensatz zur Punkszene wurde sie aber nach der Wende wenig beachtet. Dabei gab es in der DDR viel mehr Heavy-Metal-Fans als Punks – vor allem auf dem Land. Bei uns im östlichen Brandenburg war es die größte jugendliche Subkultur. Wie auch in vielen Gegenden der BRD wurden die Heavy-Metal-Fans skeptisch beäugt: zu unangepasst, zu laut, ständig betrunken und gewaltbereit, argwöhnten die Erwachsenen.
Im grauen, eintönigen sozialistischen Straßenbild fielen sie ganz besonders auf: lange Haare, Jacken und Hosen aus Leder, Nietengürtel, ärmellose Jeansjacken voller Buttons und Aufnäher und natürlich die Bandshirts mit Monstern oder Skeletten darauf.
„Witzigerweise, das ist jetzt so mein Eindruck, haben die Heavy-Metal-Fans in der DDR auf dieses Äußere sogar noch mehr Wert gelegt als im Westen", erklärt der Historiker Nikolai Okunew. "Und dann noch diese Anzahl an Ketten, an Spikes, an Nieten und so weiter höher gefahren, als es im Westen üblich gewesen wäre.“
Okunew hat sich ausgiebig mit der Metal-Szene in der DDR beschäftigt. Er ist Historiker am Leibnitz-Zentrum und hat mit "Red Metal" eine Doktorarbeit über die Heavy-Metal-Subkultur in der DDR veröffentlicht.
Stasi observierte die Fans ausgiebig
Unter anderem hat er sich durch Berge von Akten der Staatssicherheit gewühlt. Denn die hatte die Metal-Fans mit ihrem auffälligen Aussehen und der vermeintlichen Gewaltbereitschaft schnell negativ eingestuft und ausgiebig observiert.
Die detaillierten Aufzeichnungen hätten ihm sehr geholfen, viele Praktiken der Szene und die kleinen Grenzüberschreitungen zu rekonstruieren, sagt Okunew. Überhaupt war diese Subkultur nur möglich, weil ab Mitte der 80er-Jahre die staatliche Macht allmählich zerfiel.
„Und die Leute sich deswegen mehr leisten können, also von der Norm abzuweichen, anders auszusehen als das staatssozialistische Idealbild eines Jugendlichen. Es ist nicht so gewesen, dass die SED gesagt hat. ‚Okay, unsere Jugendlichen dürfen jetzt so aussehen‘, sondern sie hatten im Prinzip keine Kontrollmöglichkeiten mehr.“
Aus Berlin habe es zum Beispiel keine offiziellen Anweisungen mehr gegeben, wie mit dem Phänomen umzugehen sei. Das blieb den lokalen Verantwortlichen überlassen. Und die reagierten ganz unterschiedlich auf die Jugendlichen und ihr provozierendes Aussehen.
Fans steckten viel Mühe in ihr Aussehen
Im Grunde sahen die Metal-Fans in der DDR nicht viel anders aus als in der BRD. Aber sie haben mehr Zeit, Geld und Mühe in ihr Aussehen und das Fan-Sein gesteckt. In bestimmten Aspekten haben sie Heavy Metal ganz anders erlebt. Ein paar haben mir für diese Sendung von ihrem Fan-Sein und gleichzeitig auch vom Alltag in den letzten Jahren der DDR erzählt.
Ich in meiner Ausgehuniform: Lederjacke, Jeansweste mit Stickern dran, den Lederhut und meine Streifenhose vor einem Poster von Judas Priest in meinem Jugendzimmer.
Heavy-Metal-Fan Ines über ein altes Foto
Das Outfit besorgen: Das war die erste Herausforderung.
Alles, was Heavy-Metal-Fans erst wie solche aussehen lässt, gab es in den Geschäften der DDR nicht zu kaufen. Wer Zeit und Geld hatte, fuhr zum Einkaufen nach Ungarn, denn dort gab es damals schon T-Shirts von Bands, Nieten, Aufnäher oder Anstecker. Die wichtigste Quelle waren aber Verwandte oder Bekannte aus der BRD – ein großes Glück, wer sie hatte. In unserer Familie gab es Tante Helga aus Offenbach.
„Wir haben uns immer sehr viel geschrieben und als sie mitbekam, dass ich auf Heavy Metal stehe, hat sie angefangen, mir Streifenhosen zu schicken, eine Jeansjacke, und das Highlight war natürlich eine Lederjacke, damit war man natürlich ganz weit vorne“, erinnert sich Ines.
Ines´ Wohnung in der Nähe von Rheine im Münsterland. Sie hat einen Karton aus dem Keller geholt, Erinnerungen an ihre Heavy-Metal-Jugend in der DDR, die sie aufgehoben hat: Poster von Judas Priest, Autogramme diverser Bands, Anstecker, die in der DDR "Sticker" hießen, und natürlich Fotos.
„Ich in meiner Ausgehuniform: Lederjacke, Jeansweste mit Stickern dran, den Lederhut und meine Streifenhose vor einem Poster von Judas Priest in meinem Jugendzimmer.“
Großeltern besorgten die Kleidung im Westen
Um an die richtige Kleidung zu kommen, waren natürlich auch Großeltern wichtig, die in den Westen reisen durften.
„Meine Oma, die ist in den Westen gefahren zu ihrer Schwester, die hat mir eine Lederhose mitgebracht und eine Lederjacke, Nietengürtel, also richtig original. Ich weiß nicht, wie die alten Damen das gemacht haben, aber die hat mir immer alles mitgebracht“, sagt Michaela Burkhardt, sie war Sängerin der Band Plattform. Für viele Frauen in der Szene war sie eine Art Stil-Ikone.
„Es wurde auch viel genäht von meiner Mutter. Wir hatten so einen Zebrastoff, und da hat sie mir so einen ganz langen Mantel bis zum Knöchel daraus gemacht. Unten drunter dann so eine ganz enge Leggins mit einem Haufen Nieten und ein Oberteil und dann dieser lange Mantel aus diesem Zebrastreifen. Sah schon toll aus.“
Während im Westen in der 68er-Zeit der Generationenkonflikt tobte, wenn die Kinder mit einem Parka zu Hause auftauchten, half im Osten zehn Jahre später die Mutter bei der Kreation von Metal-Kleidung. Selbermachen war verbreitet. Die Metal-Fans in der DDR haben nicht nur viel genäht, sondern auch T-Shirts bemalt und bedruckt, in alle möglichen Accessoires Nieten gehämmert oder weiße Jeans mit Lineal und Textilmalfarbe in Streifenjeans verwandelt.
T-Shirts - selbst gemacht!
„Ich habe selber T-Shirts gemalt. Das war alles nur schwer zu kriegen, es gab ja nicht mal schwarze T-Shirts also ohne was drauf. Ich hab auch manchmal Aufträge angenommen aber ich war immer viel zu faul, hätte da viel Geld mit verdienen können, die Leute haben Schlange gestanden bei mir.“
Marco Riemer, 48 Jahre alt, wohnt in Gusow, einem Nachbardorf von Seelow. Er gehörte zu einer Gruppe Metal-Fans, die auf härtere Bands wie Kreator oder Napalm Death standen.
Provozieren war schon wichtig. Heute interessiert es niemanden mehr, wenn man als Mann mit langen Haaren und mit Nietenarmbändern oder sowas rumläuft. Aber früher haben sich alle umgedreht.
Marco Riemer stand auf härteren Metal
Für unser Treffen hat er alte Fotos aus der DDR- und Wendezeit herausgesucht.
„Da gab es auch ein Foto von mir, wo ich mit Nieten behangen von oben bis unten, wo wir uns diese Spikesarmbänder gemacht haben, so aus der Apotheke diese Lederarmbänder geholt, die eigentlich für ein Überbein waren, sechs, sieben Zentimeter breit, und von den Laufschuhen diese Spikes aus dem Sportgeschäft geholt und dann da raufgeschraubt.“
Über den großen Bildschirm laufen hunderte Bilder: Jugendliche in Metal-Kleidung, mit langen Haaren, meist dauergewellt, unzählige Partys und Konzerte, viel Bier und cooles Posen für die Kamera.
„Provozieren war schon wichtig. Heute interessiert es niemanden mehr, wenn man als Mann mit langen Haaren und mit Nietenarmbändern oder sowas rumläuft. Aber früher haben sich alle umgedreht. Auf jeden Fall war das cool, wenn man so im Mittelpunkt stand.“
Platten aus dem Westen als heiße Raritäten
An die Musik zu kommen, war die zweite Herausforderung.
Bis auf rund einhundert Lizenzveröffentlichungen von Amiga gab es in den Geschäften der DDR keine Platten von Rock- und Pop-Bands aus dem Westen. Sie waren heiß begehrte Raritäten. Um sie zu bekommen, waren, wie bei der Kleidung, Kontakte in die BRD nötig, Reisen nach Ungarn oder Großeltern, die in den Westen reisen durften. Unsere Tante Helga hat ein paar Mal im Jahr ein Paket geschickt – und meistens war auch eine Platte von Judas Priest für Ines drin.
„Da warst du natürlich mega happy. Das war was Besonderes. Du hast sie gehegt und gepflegt. Hast aufgepasst, dass kein Kratzer, immer schön mit dem Tuch und wenn man sie rausgenommen hat, ganz vorsichtig. Dass nur nichts passiert, weil du weißt ja nicht, kriegst du sie nochmal?“, sagt Ines.
Tontechnik aus der DDR: Sich zum Überspielen von Kassette oder Vinyl auf Kassette zu treffen, war eine Hauptbeschäftigung der Metal-Fans.© picture alliance / akg-images / Kurt Hartmann
Am meisten verbreitet waren Kassetten. Sich zum Überspielen von Kassette oder Vinyl auf Kassette zu treffen, war eine Hauptbeschäftigung der Metal-Fans.
„Da habe dann ich diese Leute aus Strausberg kennengelernt und die haben alles gehabt“, erinnert sich Marco Riemer. „Das war einfach Wahnsinn. Da habe ich mein Tapedeck eingepackt und bin übers Wochenende nach Strausberg und dann haben wir nur Kassetten überspielt. Da musste man ja noch eins zu eins, nicht so wie heute, Stick rein und rüberkopiert. Und dann hatten wir manchmal schon so viel getrunken, dass wir die A-Seite doppelt überspielt haben oder eine Seite komplett vergessen.“
Heavy Metal im Jugendradio DT64
Für alle, die keine Westkontakte und auch sonst noch kein Netzwerk hatten, gab es zum Einstieg im Radio die Sendung "Tendenz Hart bis Heavy". Heavy Metal im DDR-Radio – das gab´s auch! Immer samstags im
Jugendradio DT64.
„Da haben wir uns meistens mit zwei, drei Mann zusammengefunden, dass wir das wirklich immer aufnehmen konnten, weil einmal war mehr für eine dabei dann wieder was für den anderen. Aber erst mal aufnehmen. Was man hat, hat man. Und da haben wir uns jeden Samstag drauf gefreut“, erzählt Ines.
„Die Leute kriegten ja keine Platten zu kaufen. Und auf dem Schwarzmarkt 150 Mark Ost für eine Platte, das hat natürlich auch nicht jeder zahlen können und nicht jeder zahlen wollen. Deswegen waren viele darauf angewiesen, was im Radio mitzuschneiden. Und das war unsere eigentliche Aufgabe, die sozusagen mit aktueller Musik zu versorgen“, erinnert sich Jens Molle, der die Sendung ab 1988 mit moderiert und die härtere Sparte abgedeckt hat.
Die Sendung lief ab 1986, ein Jahr später beim neuen Jugendsender DT64 am Samstagnachmittag. Weil der Moderator Matthias Hopke sich für sie einsetzte und auch die damalige Intendantin offen dafür war. Historiker Nikolai Okunew erzählt von einem Treffen der beiden.
„Und im Prinzip die beiden machen das miteinander aus und sagen: ‚Wir brauchen Heavy-Metal-Sendungen in der DDR. Davon gibt es viele Fans, die mögen diese Musik, die haben mit der DDR nicht viel am Hut. Und wenn wir wollen, dass die unser Radio hören wollen, müssen wir diese Tendenz einrichten."
Das hatte ihm der 2021 verstorbene Matthias Hopke erzählt. Er hatte anfangs die Sendung allein moderiert und mit viel Hingabe probiert, möglichst alle Hörerwünsche zu erfüllen. Denn die waren ein zentraler Teil der Sendung.
Wir hatten bei Heavy-Metal-Sendungen das Glück, dass die so gut wie nie abgehört wurden, weil die Leute, die das gemacht haben, konnten mit Heavy Metal gar nichts anfangen. Also das heißt, wenn da zwei Minuten Musik gelaufen sind, haben die gesagt: ‚Okay, hier, geh mit deinem Band weg. Tschüss. Vielen Dank. Stimmt so.‘
DT64-Moderator Jens Molle
An aktuelle Platten zu kommen, war auch für die Radioleute eher aufwendig, erinnert sich Jens Molle.
„Wir hatten umfangreiche Bekanntschaften. So sind wir einigermaßen aktuell an Zeug gekommen. Ich weiß noch, es war mal eine Platte von Sodom, ein Live-Album, das haben wir eine Woche nachdem es in der BRD erschienen ist, auf dem Tisch gehabt. Also, ein Kumpel, der schwerbehindert war, der nach Westberlin fahren konnte, hat die Platte geholt und hat sie uns als allererstes, bevor er sie überhaupt gehört hat, hat er sie uns gegeben, damit wir eine saubere Kopie davon machen können.“
Eigentlich hätte jedes benutzte Band und jeder gespielte Titel genehmigt werden müssen.
„Wir hatten bei Heavy-Metal-Sendungen das Glück, dass die so gut wie nie abgehört wurden, weil die Leute, die das gemacht haben, konnten mit Heavy Metal gar nichts anfangen. Also das heißt, wenn da zwei Minuten Musik gelaufen sind, haben die gesagt: ‚Okay, hier, geh mit deinem Band weg. Tschüss. Vielen Dank. Stimmt so.‘ Und deswegen konnten wir da ein paar Sachen machen, die einfach unterm Radar gelaufen sind. Die hat keiner mitgekriegt.“
Moderation musste abgesegnet werden
Anders war es beim gesprochenen Wort: Die gesamte Moderation musste vorgeschrieben und von einem Redakteur abgesegnet werden. Neben der Musik zum Mitschneiden hatte die Sendung noch eine zweite wichtige Funktion: Sie war das einzige überregionale Medium für Heavy Metal, das Konzerttermine veröffentlichte.
Biest gehörte Ende der 1980er-Jahre zu den erfolgreichsten Heavy-Metal-Bands der DDR.© Deutschlandradio / Katja Hanke
Die Band Biest war eine von rund 120 Heavy-Metal-Bands in der DDR, die jedes Wochenende kleine oder größere Konzerte gaben. Selbst auf Dörfern fanden immer wieder Konzerte statt, wie in Gusow bei Marco Riemer. An sein allererstes erinnert er sich gut.
„Biest haben uns absolut umgehauen, diese harte Musik und dann die Leute, die alle durchdrehen vor der Bühne. War einfach der Wahnsinn. Die haben Metallica und Slayer und solche Sachen gecovert. Ich habe viele Songs das erste Mal von Ostbands gehört, bevor ich die Originalsachen gehört habe.“
Dass die meisten Bands Coversongs spielten, war völlig normal.
„Das Publikum wollte unbedingt internationale Titel hören. Die waren ja ausgehungert, weil sie durften nicht die Großen sehen.“ Sven Rappoldt ist Bassist der Berliner Band "Metall". 1982 gegründet war sie eine der ersten Heavy-Metal-Bands in der DDR.
„Jede Band hat ja so eine Kategorie gehabt, es wollte ja nicht jeder das Gleiche spielen. Also Metall ist in der Richtung, sag ich mal, so Manowar und Judas Priest gelaufen. Wenn man so die alten Tourkalender anguckt: Wir haben ja zwanzig Mal im Monat gespielt. Also wir haben davon gelebt im Grunde genommen.“
Ende der Achtziger gehörte "Metall" zu den zehn bekanntesten Metal-Bands in der DDR. Obwohl sie weiter auch Cover spielten, kamen mit der Zeit mehr eigene Titel dazu.
Die meisten Konzerte gab es in der Provinz
Nur wenige Heavy-Metal-Bands hatten die Möglichkeit, ihre Titel in einem Studio aufzunehmen – wie vieles andere, gab es auch zu wenige Tonstudios in der DDR. Der Titel "Easy Rider" war ein kleiner Hit, er wurde oft im Radio gespielt, und die Band trat damit auch im Fernsehen auf.
Konzerte gab es zwar auch in den größeren Städten, die meisten fanden aber am Stadtrand und in der Provinz statt, oft in kleinen Sälen, die zu Gaststätten oder Dorfkneipen gehörten.
„In Sachsendorf waren viele Konzerte. Man ist zuerst in die Gaststätte reingekommen und wie es zu Ostzeiten auch so ‚in‘ war, dass die Leute, die von der LPG kamen, noch ihre Arbeitsanzüge an hatten mit Dreck und alles dran. Die haben vorne in der Gaststätte gesessen und wir sind dann da durchmarschiert und alle haben geguckt, Kinnlade runter, haben uns angestarrt. Dann ist man in den Saal, meistens standen die Tische noch so zur Tafel, mit Tischdecken und so weiter. Wurde natürlich nachher alles, wo es losging, weggeschoben“, erzählt Marco Riemer.
Viele Bands verlagerten ihre Konzerte lieber in die Provinz, weil dort das Polizeiaufgebot nicht so groß war und Kontrollen seltener waren. Vor allem die privaten Betreiber freuten sich über das gute Geschäft: Diese Konzerte waren immer gut besucht, von trinkfreudigen Gästen obendrein. Selbst um zu kleinen Konzerten zu kommen, haben die Metal-Fans einiges auf sich genommen, schon die Anreise war Teil des Spaßes.
„Wir haben uns in Seelow im Bahnhof getroffen, in der Bahnhofskneipe, und sind dann in 'n Zug eingestiegen, da haben schon die Wriezener dringesessen, da haben wir uns dann getroffen, in Dolgelin angekommen und dann sind wir nach Sachsendorf gelaufen. Zurück genauso. Danach sind alle besoffen die Straße lang geschlendert nach Dolgelin, und da haben wir dann geschlafen oder rumgesessen, blödes Zeug gequatscht auf dem Bahnhof, bis dann die Züge wiederkamen. Da war man noch viel zu Fuß unterwegs.“
„Dann ging es ja auch mit dem Zug und mit dem Bus. Richtung Dresden sind sie alle eingestiegen. Wir sind in Seelow losgefahren, dann in Frankfurt ungefähr zehn bis fünfzehn, dann Cottbus nochmal zehn bis fünfzehn und dann war man schon eine gute Horde gewesen. Und das war natürlich cool, wenn in Dresden die Türen aufgingen vom Zug und der ganze Bahnhof war voller Heavy-Metal-Fans“, erinnert sich Ines.
Nur wenige Frauen in Heavy-Metal-Bands
Auch im Heavy Metal der DDR waren Musik, Texte und der ganze Habitus sehr männlich. Doch es gab in der Szene auch viele Frauen. Auf den Konzerten machten sie oft die Hälfte aus. Auf der Bühne standen sie aber selten.
Wo ich so angefangen habe, waren die alle sehr skeptisch, weil der Heavy Metal ja sehr männergeprägt ist.
Michaela Burkhardt, Sängerin von Plattform
Michaela Burkhardt war eine der wenigen Frauen in einer Heavy-Metal-Band.
„Wo ich so angefangen habe, waren die alle sehr skeptisch, weil der Heavy Metal ja sehr männergeprägt ist, und dann komme ich auf einmal und die ersten beiden Konzerte, da war ich ganz schön aufgeregt, habe das aber irgendwie alles gepackt und dann kam immer mehr die Akzeptanz, weil ich eben auch die Sachen gut gesungen habe und gut verkauft habe vor allem auch. Und die Band auch so hinter mir stand. Und dann wurde ich immer bekannter. Also eigentlich zog ich dann das Publikum.“
„Michaela Burkhardt von Plattform, die rockte total die Bühne. Die fand ich total gut: tolle Stimme und auch ihre Shows, was sie anhatte“, sagt Ines.
Von 1985 bis 1989 war Burkhardt Sängerin von Plattform. Die Band bekam viel Aufmerksamkeit – vielleicht auch wegen der charismatischen Frontfrau. Plattform spielten neben den kleinen Konzerten in der Provinz auch auf den großen Bühnen wie im Friedrichstadtpalast und waren oft im Fernsehen, vor allem mit "Heavybraut".
„Ich hatte sehr viele Frauen, die meine Fans waren und die auch mitgereist sind, überall wo wir waren, waren die eben dann auch. 20 bis 50, die wirklich immer dabei waren. Man kannte die dann schon, hat dann auch Bier mit ihnen getrunken und die durften dann auch in die Garderobe, also waren eine richtige Familie dann praktisch.“
Viele Fans waren immer dabei
Auch "Metall" aus Berlin hatten viele Fans, die der Band hinterher reisten und immer dabei waren.
„Dann sind wir zum Beispiel nach Freienwalde gefahren und auf der Autobahn, so wie Tramper, standen die schon da: ‚Kiek mal, Achim steht da, der will bestimmt zu uns.‘ Da haben wir den eingeladen. Und so wurde der LKW immer voller und am Ende kam man schon mal mit zwanzig, dreißig Mann an. Wir haben da sozusagen jeden aufgesammelt, der auf der Landstraße langgelatscht ist“, erzählt Sven Rappoldt.
Die größte Gefahr, von Polizei oder Sicherheitskräften behelligt zu werden, bestand für die Metal-Fans auf dem Weg zu den Konzerten, sagt Historiker Nikolai Okunew, vor allem für die, die mit dem Zug unterwegs waren. Die Transportpolizei sah es nicht gern, dass die Jugendlichen mit ihrem auffälligen Aussehen in großen Gruppen umherreisten. Sie schikanierte sie regelmäßig und probierte sie davon abzuhalten, zu den Konzerten zu kommen.
„Also Tambach-Dietharz oder Torgelow-Drögeheide, wenn da 150 Heavy-Metal-Fans aus Berlin und aus größeren Städten einfallen, dann fällt das erst mal auf. Und Polizei und Staatssicherheit waren durchaus in der Lage, wenn sie es wollten, ab und an solche Konzerte zu verhindern“, weiß Nikolai Okunew.
„Diese Transportpolizei von der Bahn, die haben uns immer irgendwie angemacht wegen irgendwas, wegen dem Nietengürtel oder so. Die wollten uns schikanieren irgendwie. Wir haben denen nicht ins Bild gepasst und die haben ja auch ihre Anweisungen gehabt“, sagt Marco Riemer.
Staatliche Überwachung gehörte in der Heavy Metal-Szene zum Alltag.
Dadurch, dass sie weiter zur Arbeit gegangen sind und dieses Dasein im Kollektiv auch hingenommen haben, fehlt so ein weiterer wichtiger Zugriffsmechanismus des Staates auf die Heavy-Metal-Fans.
Historiker und DDR-Metal-Experte Nikolai Okunew
„Bei Konzerten, sag ich mal, jeder Fünfte hatte schwarze Schuhe an. Und das waren auch Leute, die hatten bestimmte Anoraks an, und da hat man gewusst. Der Laden ist mit Staatssicherheit voll ohne Ende. Die haben gemerkt: ‚Oh, die Bands, die ziehen ja Leute ohne Ende und da müssen wir mal kontrollieren‘", sagt Sven Rappoldt rückblickend.
Die kleinen Tabu-Brüche der Metal-Fans
Wie andere Subkulturen hat die Staatssicherheit auch die Heavy-Metal-Szene engmaschig überwacht. Schon allein ihr vermeintlich gefährliches Aussehen machte die Metal-Fans zu potenziellen Staatsgegnern. Die Akten dokumentieren detailliert viele kleine Tabubrüche, sagt Nikolai Okunew. Es gab durchaus Fälle, in denen mit "stalinistischer Gewalt" gegen die Metal-Fans vorgegangen wurde, im Allgemeinen haben die Sicherheitsorgane ihnen aber weniger nachgesetzt als zum Beispiel den Punks.
„Das muss man natürlich auch wieder regional differenzieren, aber der Punkt ist: Heavy-Metal-Fans gingen weiter zur Arbeit, die verweigerten den Militärdienst nicht, in der Regel, und dieses ganze Zeichensystem, was sie sich aneigneten, also diese ganzen Monster und so, die waren nicht auf dem Koordinatensystem des Staatssozialismus“, sagt Nikolai Okunew.
„Bei den Punks ist das ja ein ganz anderes Zeichensystem, was eben explizit politisch ist. Dadurch, dass sie weiter zur Arbeit gegangen sind und dieses Dasein im Kollektiv auch hingenommen haben, fehlt so ein weiterer wichtiger Zugriffsmechanismus des Staates auf die Heavy-Metal-Fans. Die kriegen die nicht mehr zu greifen, die stehen bei der Arbeit, aber die machen halt dann irgendwie ihr Ding.“
Sie haben sich mit der DDR arrangiert, ohne sich mit ihr zu identifizieren, sagt Okunew, sie haben sich dem Staat entzogen, ohne offen mit ihm zu brechen. Heavy Metal war ihr Vehikel, um nach Feierabend und am Wochenende der sozialistischen Realität zu entfliehen.
Eingeschworene Gemeinschaft in der DDR
Als Subkultur waren sie eine eingeschworene Gemeinschaft in der DDR.
„Der Zusammenhalt, der war genial“, sagt Ines. „Dass man jedes Wochenende zusammen was unternehmen konnte, irgendwo hinfahren und wenn es nach Berlin war, dann im Bahnhof pennen und morgens um vier weiter mit der S-Bahn Richtung Strausberg. Da hat jeder auf jeden aufgepasst.“
„Die Leute waren ja, weil sie auch kein Material hatten, zum Beispiel mit Klamotten, man hat sich mehr mit den Fans unterhalten: ‚Wo hast du das jetzt her?‘ Oder ‚wie habt ihr das geschafft, mit den Titeln im Rundfunk reinzukommen?‘ und so 'ne Geschichten. ‚Wo habt ihr aufgenommen?‘, weil es gab ja bloß drei, vier Studios. Der Austausch war größer“, erzählt Sven Rappoldt.
„Das vielleicht Besondere an Heavy Metal in der DDR war die Hingabe, mit der die Leute das betrieben haben. Das hat mich fasziniert. Die haben viel Zeit investiert, sich Informationen zu beschaffen, Platten zu beschaffen, mit Leuten darüber zu reden, Konzerte zu besuchen. Viel mehr als in anderen Musikrichtungen aus meiner Sicht“, erinnert sich DT 64-Moderator Jens Molle.
Gerade der Mangel in der DDR hat die Gemeinschaft so eng zusammengeschweißt, folgert Nikolai Okunew aus seiner Recherche. Die Gruppe hat alles Wichtige bereitgestellt und geteilt: Platten, selbst gemachte Kleidung und Accessoires, überspielte Musik, Konzertinfos. Diese Tauschnetzwerke haben die Subkultur stabilisiert. Als das Tauschen nicht mehr notwendig war, weil jeder alles selbst kaufen konnte, hat sich die Gemeinschaft größtenteils aufgelöst.
Auflösung der Szene nach dem Mauerfall
Herbst 89: Mauerfall, Wendezeit. Und dann das Ende der DDR.
„Das ist allgemein komplett eingebrochen“, agt Sven Rappoldt. „Also es gab kaum noch Bands, die übriggeblieben sind, weil es waren ja eine Menge nach 'm Westen gegangen, vorher schon auf Ausreiseanträge oder über Ungarn oder als die Mauer direkt aufgegangen ist. Das war sehr hart. Wir waren ja alle verwöhnt, wir konnten ja davon leben. Ich habe 15 bis 20 Mal im Monat gespielt, jetzt hab ich nur noch einen Auftritt, wenn überhaupt. Jeder musste sich natürlich erst mal einen richtigen Job suchen.“
Wie viele andere Bands haben auch "Metall" bald aufgehört: Die Mitglieder hatten andere Jobs und nur noch wenig Zeit, es gab fast keine Veranstaltungsorte mehr und das Publikum wollte sowieso erst mal die großen Bands sehen. Sven Rappoldt hat 1992 in Berlin die Rock-Kneipe "Halford" aufgemacht 2014 sogar seine Band "Metall" wiederbelebt, in komplett neuer Besetzung.
Die Clique von Marco Riemer im östlichen Brandenburg ist in der Wendezeit zwar geschrumpft, blieb aber bestehen. Jetzt fuhren sie in kleiner Runde auf große Konzerte und Festivals.
„Eine Sache, die sehr schade war, als die Mauer gefallen ist, war, dass die Szene sich so gespalten hat in links und rechts, dass viele irgendwie in die rechte Szene abgedriftet sind. Viele sind weggezogen zur Wendezeit. Manche hat man gar nicht mehr gesehen, völlig verschwunden. Es hat sich alles geändert eigentlich. Die Gaststätten haben dichtgemacht, eine nach der anderen. Dann haben wir mit ein paar Leuten irgendwie versucht, was aufzuziehen. Hat auch nichts gebracht.“
Letztendlich ist mit der DDR auch ihre Heavy-Metal-Subkultur verschwunden. Die engen Netzwerke haben sich aufgelöst – oder sind zumindest lockerer geworden. Die Musik haben die meisten der Metal-Fans von damals aber nicht aufgegeben. Sie hat sie die ganze Zeit begleitet, so ist es bei Marco Riemer und auch bei Ines. In der Wendezeit hat sie ihr erstes Kind bekommen, hat geheiratet und ist nach Westdeutschland gezogen. Von der Szene hat sie nichts mehr mitbekommen, die Musik aber trotzdem weiter gehört.
„Der Heavy Metal hat mein ganzes Leben geprägt und wird es auch weiterhin. Nach wie vor lieb ich Judas Priest und Doro Pesch, versuche auch mal zu Konzerten zu fahren. Das wird sich nicht ändern.“
Das Ticket für ein Judas Priest-Konzert in diesem Sommer in Oberhausen hängt schon an der Pinnwand in der Küche.