Akhtung Oto!
Akhtung, Zimmerim, Gemainshaft: Das Hebräische enthält hunderte Wörter, die aus dem Deutschen stammen. Nun wurde online das erste Lexikon der deutschen Lehnwörtern veröffentlicht.
"Es reicht wenn einer drauf drückt ..."
Ludwig Eichinger, der Direktor des Instituts für Deutsche Sprache, bittet Uriel Adiv, mit einem Mausklick den grünen Startknopf zu drücken. Adiv ist der Autor des Online-Lexikons. Sekunden später zeigt das Portal auf der großen Leinwand die deutschen Lehnwörter im Hebräischen an. Ein bewegender Moment. Denn fast zehn Jahre Arbeit liegen dahinter, in denen Adiv nach den Wörtern suchte und sie akribisch zu sammeln begann. Über 1.500 Begriffe hat er inzwischen zusammengetragen. Anlass für ihn war eine Ausschreibung vom Deutschen Goethe-Institut im Jahr 2006. Das Institut suchte damals das ausgewanderte deutsche Wort in der ganzen Welt.
"Ich habe da gesagt, na ja, ich sende nicht ein Wort ein, sondern ich werde jetzt mehrere suchen. Ich glaube, ich habe eine Liste von zehn geschickt. Und das war für mich der Anfang, mich wirklich mit der Sache zu beschäftigen: Warum gibt es so viele deutsche Wörter im Hebräischen?"
Uriel Adiv ist Simultandolmetscher und in beiden Sprachen zu Hause, im Hebräischen wie im Deutschen. Er lebt in Jerusalem, wo er geboren wurde, besucht aber noch heute regelmäßig Berlin, wo er vor über dreißig Jahren in Architektur promovierte. Schon damals, in Israel, waren ihm im Sprachbereich "Architektur und Bauwesen" Wörter aufgefallen, die deutsch klangen.
Hebräische und deutsche Wörter mischten sich schon früh in Palästina
"Wie zum Beispiel Schablone oder Schnurgerüst oder Scheibe. Oder Kant, Oberkant, Unterkant, Oberputz, Unterputz. Die werden bis heute im Hebräischen benutzt."
Hebräische und deutsche Wörter mischten sich schon früh in Palästina, lange vor der Gründung des Staates Israel. Ein Phänomen, das nicht nur in der Architektur zu beobachten sei, sagt Peter Eisenberg, emeritierter Professor für Deutsche Sprache. Eisenberg hatte sich dafür eingesetzt, dass Adivs Projekt am Institut für Deutsche Sprache wissenschaftlich begleitet wird. Besonders die Gruppen jüdischer deutscher Einwanderer seien es gewesen, die deutliche Spuren im Hebräischen hinterließen, sagt er.
"Die Jeckes, die Einwanderer während der Nazizeit oder kurz davor nach Palästina, waren ja als Einwanderergruppe ziemlich isoliert. Und ein großer Teil dieser Einwanderer haben ja trotz ihrer akademischen Bildung teilweise sehr schlecht Hebräisch gelernt oder sehr spät."
Uriel Adiv kann das bestätigen. Noch sehr genau erinnert er sich an seine Kindheit, in der seine Großmutter und auch seine Mutter nur Deutsch mit ihm sprachen. Für ihn war damals die hebräische Sprache eine Entdeckung.
Dem Hebräischen fehlten anfangs viele Worte
"Unten in unserem Haus, wo wir gewohnt haben, war ein Kindergarten. Die Kindergärtnerin hieß Chaja, das weiß ich bis heute noch. Und ich kann mich noch erinnern, dass sie da unten saß mit einem Grammofon und hat richtig gekurbelt und hat mit den Kindern gesungen. Das fand ich total spannend. Durch dieses Grammofon oder durch diese Scheibe, die sich da gedreht hat oder die Kurbel war ich total fasziniert und bin mehr und mehr da geblieben. Ja und dann kam es dazu, dass meine Mutter gesagt hat, okay, jetzt bleibst du mal hier. Und da fing ich an, Hebräisch zu sprechen."
Im Hintergrund stand die Entscheidung der jüdischen Zionisten, das alte Hebräisch, die Sprache der Bibel, wiederzubeleben, um sie als allgemeine Sprache in Palästina einzuführen. Mit dieser Entscheidung, so Eisenberg, sei damals auch ein Problem entstanden: Viele Worte fehlten ganz einfach.
"Das Hebräische war auf Entlehnung angewiesen, in ganz hohem Umfang. Es war eine Sprache, die als Alltagssprache ja gar nicht in Gebrauch war. Und da ist ein großer lexikalischer Sog entstanden weil das ja Ruck-Zuck ging zu einer Sprache, die auch in der Wissenschaft dann mächtig wurde."
Und Wissenschaft bedeutete in Palästina zunächst ganz praktisch das Wissen um den Bau von Häusern und das Betreiben von Landwirtschaft. Kein Zufall also, dass viele der deutschen Lehnwörter, wahrscheinlich sogar die ersten, aus dem Bauwesen stammten, dem Handwerk und der Landwirtschaft, sagt Adiv.
"Die Anfänge lagen bei den Templern. Mitte des 19. Jahrhunderts haben sie Techniken und Maschinerie auch mitgebracht aus Deutschland, aus Süddeutschland. Sachen, die noch unbekannt waren in Palästina. Und naturgemäß sind so eben die Namen dageblieben, haben sich da verankert."
Tief im modernen Hebräisch verankert
Die Templer – nicht zu verwechseln mit dem viel älteren Templerorden aus der Zeit der Kreuzritter – waren eine kleine christlich-charismatische Gemeinde, die aus dem Schwäbischen nach Palästina einwanderte. Mit dem Begriff Tempel wollten sie zum Ausdruck bringen, dass sich ihre Mitglieder als lebendige Bausteine eines Gotteshauses verstanden. Viele waren geschickte Handwerker und Bauleute. Das Spannende daran: Einige deutsche Worte, die in das Hebräische einwanderten, haben bis heute nur dort überlebt. "Schlafstunde" zum Beispiel würde zwar hierzulande noch jeder verstehen, aber nur in Israel gehört es noch zum aktiven Wortschatz: "Schlafstunde".
"Das ist das berühmteste deutsche Wort, würde ich sagen, in der hebräischen Sprache. Aber in Deutschland ist es non existing, gibt es das nicht. Schlafstunde ist es eben das, wo die Jeckes in den 30er Jahren nach Israel gekommen sind und besonders in Tel Aviv, wo es heiß war, haben sie natürlich mittaggegessen und haben sich dann aufs Ohr gelegt zwischen zwei und vier Uhr nachmittags. Und da musste die Ruhe bewahrt werden. Das heißt, die Kinder durften da nicht laut spielen. Und das hat sich so etabliert ähnlich wie das Wort Zimmer, was heute total im Hebräischen verankert ist. Zimmer ist eben das Gästezimmer, also für Touristen. Oder statt Hotel, wenn jemand das privat betreibt. Zimmer und Zimmerim im Plural."
Wer also heute nach Israel reist und dort eine Unterkunft sucht oder sich einfach nur ausruhen will, der braucht nur nach einem Zimmer zu fragen – oder um eine Schlafstunde zu bitten.