Hedonismus-Träume, Krankheit, Tod
Das extravagante Intellektuellen-Milieu im Paris der 80er-Jahre, Homosexualität und die Aids-Seuche - das sind die Elemente, aus denen der 29-jährige Tristan Garcia sein literarisches Debüt gestrickt hat. In Frankreich hat das Buch viel Aufsehen erregt und wurde hochgelobt, nun erscheint die deutsche Übersetzung.
Angesichts amerikanischer Panorama-Romane wie etwa Jonathan Franzens "Korrekturen" oder seines jüngsten Epos’ "Freiheit" ist ein wenig aus dem Blick geraten, dass der Urvater des modernen Gesellschaftsromans Franzose war. Wir reden von Balzac, könnten jedoch auch dessen Nachfolger Zola oder Marcel Proust nennen, die mit sozialer und psychologischer Sensibilität den Verbindungen zwischen dem Einzelnen und seiner Umwelt nachspürten.
Das ist ein wenig in Vergessenheit geraten angesichts gegenwärtiger Literatur á la francaise, die sich – ähnlich wie auch die Filmproduktion in unserem Nachbarland – der melancholisch fein abgezirkelten Binnensicht ungleich mehr widmet als dem konkreten Blick auf gesellschaftliche Umbrüche. Ausnahmen wie Michel Houellebecq bestätigen diese Regel, und es scheint, als sei auch der enorme Erfolg, der nun Tristan Garcias Debütroman "Der beste Teil der Menschen" beschieden ist, Teil dieses Phänomens. Das hochgelobte Buch des 1981 in Toulouse geborenen Philosophielehrers ist beides: Chronique intime und Mentalitätsporträt.
Erzählt wird die Geschichte von drei Männern und einer Frau, die sich im Paris der 80er-Jahre kennenlernen und bis weit hinein in das neue Jahrtausend miteinander in Freundschaft, Konkurrenz und Hassliebe verbunden sind. Willi ist ein junger Provinzflüchtling, der in der Seine-Metropole nun endlich seine Homosexualität ausleben kann, Dominique ein charismatischer Schwulen-Aktivist und der jüdische Jean-Michael eine literarische Nachbildung des berühmten Salon-Intellektuellen Bernard-Henri Lévy.
Nicht exaltiert in diesem Kreis scheint einzig die Journalistin Elisabeth zu sein. Sie wird bald Zeugin, wie die beginnende Aids-Seuche alle eskapistischen Hedonismus-Träume in Krankheit und Tod erstickt.
Vor dreißig Jahren konnte ein Romancier wie Yves Navarre noch den heuchlerischen Konventionen einer konservativen Gesellschaft den Prozess machen. Tristan Garcia, dem quasi mit der Gnade der späten Geburt Versehenen, ist diese Interpretation inzwischen nicht mehr möglich - was der Ehrlichkeit des Buchs zugute kommt. Urbane Intellektuelle, so eine der Lektüre-Lektionen, lieben nämlich tatsächlich anders – auch wenn man sie angesichts all ihrer pseudo-philosophisch veredelten Eifersüchteleien, elaborierten Boshaftig- und Kleinlichkeiten lieber nicht persönlich kennenlernen möchte.
Überdies erfährt der Leser viel über die permanent menschelnden Hintergründe französischer Debattenkultur, die eben nicht nur in den Augen kühler Angelsachsen ein ziemlich schwurbliges Konglomerat aus Pathos, Halbwissen und blendender Rhetorik ist.
So erfreulich es ist, dass Tristan Garcia dieses Gruppenbild mit Dame nun keineswegs in überzuckerter Sprache erstehen lässt, so schade ist es, dass er als Alternative einen fast durchgängig saloppen Ton gewählt hat, der den hier verhandelten Tragödien nicht immer gerecht wird. Fast hätte man sich gewünscht, dass der skrupulöse Übersetzer – immerhin der Romancier Michael Kleeberg – ein wenig von seiner eigenen, so betörenden Sprache eingeschmuggelt hätte.
Und so ausdifferenziert das Beziehungsgewebe zwischen den vier Personen, so selbstreferentiell ist letztlich das gesellschaftliche Umfeld einer hauptstädtischen Elite. Dies allerdings wäre womöglich weniger diesem illusionslos spiegelnden Roman als der künstlich hochgezüchteten Pariser Geisteswelt anzulasten. Wie auch immer: "Der beste Teil der Menschen" mag zwar nicht der beste französische Roman seit Jahren seit – der lehrreichste aber ist er gewiss.
Besprochen von Marko Martin
Tristan Garcia: Der beste Teil der Menschen
Aus dem Französischen von Michael Kleeberg
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt a.M. 2010
318 Seiten, 19,90 Euro
Das ist ein wenig in Vergessenheit geraten angesichts gegenwärtiger Literatur á la francaise, die sich – ähnlich wie auch die Filmproduktion in unserem Nachbarland – der melancholisch fein abgezirkelten Binnensicht ungleich mehr widmet als dem konkreten Blick auf gesellschaftliche Umbrüche. Ausnahmen wie Michel Houellebecq bestätigen diese Regel, und es scheint, als sei auch der enorme Erfolg, der nun Tristan Garcias Debütroman "Der beste Teil der Menschen" beschieden ist, Teil dieses Phänomens. Das hochgelobte Buch des 1981 in Toulouse geborenen Philosophielehrers ist beides: Chronique intime und Mentalitätsporträt.
Erzählt wird die Geschichte von drei Männern und einer Frau, die sich im Paris der 80er-Jahre kennenlernen und bis weit hinein in das neue Jahrtausend miteinander in Freundschaft, Konkurrenz und Hassliebe verbunden sind. Willi ist ein junger Provinzflüchtling, der in der Seine-Metropole nun endlich seine Homosexualität ausleben kann, Dominique ein charismatischer Schwulen-Aktivist und der jüdische Jean-Michael eine literarische Nachbildung des berühmten Salon-Intellektuellen Bernard-Henri Lévy.
Nicht exaltiert in diesem Kreis scheint einzig die Journalistin Elisabeth zu sein. Sie wird bald Zeugin, wie die beginnende Aids-Seuche alle eskapistischen Hedonismus-Träume in Krankheit und Tod erstickt.
Vor dreißig Jahren konnte ein Romancier wie Yves Navarre noch den heuchlerischen Konventionen einer konservativen Gesellschaft den Prozess machen. Tristan Garcia, dem quasi mit der Gnade der späten Geburt Versehenen, ist diese Interpretation inzwischen nicht mehr möglich - was der Ehrlichkeit des Buchs zugute kommt. Urbane Intellektuelle, so eine der Lektüre-Lektionen, lieben nämlich tatsächlich anders – auch wenn man sie angesichts all ihrer pseudo-philosophisch veredelten Eifersüchteleien, elaborierten Boshaftig- und Kleinlichkeiten lieber nicht persönlich kennenlernen möchte.
Überdies erfährt der Leser viel über die permanent menschelnden Hintergründe französischer Debattenkultur, die eben nicht nur in den Augen kühler Angelsachsen ein ziemlich schwurbliges Konglomerat aus Pathos, Halbwissen und blendender Rhetorik ist.
So erfreulich es ist, dass Tristan Garcia dieses Gruppenbild mit Dame nun keineswegs in überzuckerter Sprache erstehen lässt, so schade ist es, dass er als Alternative einen fast durchgängig saloppen Ton gewählt hat, der den hier verhandelten Tragödien nicht immer gerecht wird. Fast hätte man sich gewünscht, dass der skrupulöse Übersetzer – immerhin der Romancier Michael Kleeberg – ein wenig von seiner eigenen, so betörenden Sprache eingeschmuggelt hätte.
Und so ausdifferenziert das Beziehungsgewebe zwischen den vier Personen, so selbstreferentiell ist letztlich das gesellschaftliche Umfeld einer hauptstädtischen Elite. Dies allerdings wäre womöglich weniger diesem illusionslos spiegelnden Roman als der künstlich hochgezüchteten Pariser Geisteswelt anzulasten. Wie auch immer: "Der beste Teil der Menschen" mag zwar nicht der beste französische Roman seit Jahren seit – der lehrreichste aber ist er gewiss.
Besprochen von Marko Martin
Tristan Garcia: Der beste Teil der Menschen
Aus dem Französischen von Michael Kleeberg
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt a.M. 2010
318 Seiten, 19,90 Euro