Martina Hefter: „Hey guten Morgen, wie geht es dir?“

Digitaler Heiratsschwindel

Martina Hefter: "Hey guten Morgen, wie geht es dir?" (Buchcover)
© Klett-Cotta Verlag

Martina Hefter

Hey guten Morgen, wie geht es dir?Klett-Cotta Verlag, Berlin 2024

222 Seiten

22,00 Euro

Von Katharina Teutsch |
Was geschieht, wenn sich zwei Menschen auf Basis echter Sehnsüchte und kolonialer Ausbeutungsverhältnisse treffen? In ihrem Roman erzählt die Autorin von modernen Heiratsschwindlern, ihren Opfern und der gemeinsam geschriebenen Geschichte.
Die deutsche Polizei warnt eindringlich vor Liebesbetrügern. Auf ihrer Website heißt es: "'Love Scamming‘ oder auch ‚Romance Scamming‘ ist die moderne Form des Heiratsschwindels. Betrügerinnen und Betrüger erstellen auf Social Media Plattformen oder Dating-Portalen gefälschte Profile und spielen ihrem Gegenüber die große Liebe vor. Am Ende verfolgen sie jedoch nur ein einziges Ziel: Sie wollen an das Geld Ihrer Opfer gelangen!“
Daraus lässt sich literarisches Kapital schlagen, muss sich die aus dem Allgäu stammende Autorin und Tanzperformerin Martina Hefter gedacht haben. In ihrem neuen Roman „Hey guten Morgen, wie geht es Dir?“ schickt sie ihre Heldin in die Welt der Fakeflirts.

Doppelleben mit dem Love-Scammer

Juno Isabella Flock ist eine Frau Mitte fünfzig, wohnhaft in Leipzig, Tänzerin in der freien Szene. Tänzerin ohne räumliches Orientierungsvermögen allerdings, die mit einem Mann zusammenlebt, der an einer schweren Form von Multipler Sklerose erkrankt ist.
Eine Frau, die sich immer wieder in den Tanzsaal flüchtet, um dort Schwerelosigkeit zu erleben. Ein Mann, für den eine Fahrt mit dem ICE zu einer Hochleistungsübung wird, die er ohne seine Frau kaum bewerkstelligen könnte. Juno und Jupiter heißen die beiden im Roman.
Harmlos ausgedacht ist das nicht: Im Leben der Autorin gibt es ihren Ehemann, den Autor Jan Kuhlbrodt, der an eben jener Krankheit leidet. Während Jupiter in seinem Pflegebett liegt, beginnt Juno im Nebenzimmer ein Doppelleben mit ihrem Love-Scammer – und zwar im vollen Bewusstsein der Künstlichkeit der Situation. Denn nicht nur der Heiratsschwindler mit dem schicken Profilbild eines weißen höheren Angestellten konstruiert eine Scheinwelt. Auch Juno nutzt den Austausch, um eine andere zu sein.

Menschliche Bedürftigkeit kommt ans Licht

Es ist nicht die Qualität der Dialoge, mit denen die Autorin punktet. Eher die völlige Abwesenheit von Originalität, die auf ernüchternde Weise unsere Bedürftigkeit ans Licht bringt. Was mag es sein, dass Frauen scharenweise in die Netze solcher Schwindler gehen lässt, hinter denen sich meistens keine weißen Mittelschichtler aus Europa verbergen, sondern arme schwarze Männer aus Afrika?
So wie auch Benu aus einer mittelgroßen nigerianischen Stadt im Süden des Landes, in der ab 23 Uhr der Strom ausgeschaltet wird, weswegen sich die Videocalls, zu denen die beiden bald übergehen, bei Kerzenschein abspielen.
Benu, der sich inzwischen als der zu erkennen gibt, der er wirklich ist, wird in dieser Pose zum Zeugen einer falschen Identität. Juno ist für ihn eine Frau mit vielen Liebhabern, ohne Ehemann, eine erfolgreiche Tänzerin in ihren besten Jahren, kurz: eine Frau zum Verlieben!

Ödnis ist Programm

Martina Hefter hat ihren Text choreografisch angelegt. Sie umspielt verschiedene Versionen einer Persönlichkeit, verschiedene Zustände, verschiedene moralische Standpunkte in einer Sprache, die Momente von Ödnis genauso wenig scheut wie die Love-Scammer sie scheuen: abgestandene Komplimente, Pseudotiefsinniges über die Sterne, Dröges über das Tanztraining. Seltsamerweise bleibt die Ödnis in diesem Roman dann allerdings Programm.
Weder Benus Geschichte oder wenigstens seine Perspektive wird erzählt (Er wechselt nur eines Tages die Nummer), noch die einer Frau, die ihren kranken Mann pflegt und hier ein anderes Konzept der Liebe lebt. Auch ist dies kein Text über die Sprache des Körpers geworden. Da kann Juno noch so oft ihre langen Tanzbeine loben. Das alles wäre nur halb so wild, wenn Hefter nicht auch noch Kapitalismus- und Machtkritik treiben wollte.

Fazit: Der Roman löst sein Versprechen nicht ein

Das Ballett wird kursorisch reflektiert als Institution, die „kolonialer“ war „als die stärkste Kolonialmacht“, weil es immer an weiße Körperideale geknüpft war. Das Thema ist abendfüllend, wird einem hier aber nur kurz reingereicht. Der Text will ganz offensichtlich eine Tastbewegung sein, die Posen, Attitüden und Verhältnisse untersucht. Dabei kommt sie über kritische Skizzen nicht hinaus.
Die Polizei rät Opfern von Love-Scamming übrigens, auf ihr „Bauchgefühl“ zu hören. Dieser Roman füttert sein Publikum erst an und lässt dann die Mägen knurren.
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