Heftige Debatten im Romantik-Städtchen

Von Wolfgang Martin Hamdorf |
In Zeiten einer der schwersten Finanz- und Wirtschaftskrisen ein Filmfestival in Spanien zu eröffnen, das sich darüber hinaus einem so wenig kommerziellen Thema wie dem politischen Film widmet, ist gewagt. In der kleinen andalusischen Stadt Ronda ist man dieses Wagnis eingegangen. Das Festival "Politischer Film für das 21. Jahrhundert " versucht, Film und aktuelle politische Diskussionen auf einen Nenner zu bringen.
"Ich glaube in einer so bedrohlichen und gefährlichen Weltlage wie jetzt ist es sehr gut, wenn wir Filmemacher uns mit anderen zusammensetzen und diskutieren."

Der 78-jährige Film- und Theaterregisseur Román Chalbaud ist einer der charismatischen Regisseure des sehr politischen lateinamerikanischen Films der 1960er- und 1970er-Jahre. In Ronda stellte er seinen neusten Film vor, nach einem Drehbuch, das er in den 60er-Jahren schrieb und nie realisieren konnte. Zu den "anderen", den Nichtfilmemachern in Ronda zählten neben Pilar del Rio, der Witwe des Literaturnobelpreisträgers Jose Saramago und dem Richter Balthasar Garzón auch der ehemalige Direktor des Internationalen Währungsfonds Michel Camdessus. In einem dreistündigen Kolloquium über die aktuelle weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise forderte er eine neue weltweite Ethik.

"Ich glaube, wir können nicht mehr nur mit den alten demokratischen Tugenden aus dem 19. Jahrhundert weitermachen. Wie in meinem Land dieses 'Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit', das wir selbst dort doch so wenig praktizieren, ich glaube, wir müssen Demokratie weltweit organisieren, denn nicht nur die Weltwirtschaft ist in der Krise, sondern der ganze Planet stößt an seine Grenzen."

Ronda ist ein Festival heftiger Debatten, der Widersprüche und der unterschiedlichen Generationen, vom Altmarxisten bis zum jungen Abgeordneten der konservativen Volkspartei. Es geht um Film und Politik, um politischen Film für das 21. Jahrhundert - und das an einem Ort, der in erster Linie für Folklore und das romantische Andalusien des 19. Jahrhunderts steht. Die Filme werden im ehemaligen Dominikanerkonvent gezeigt, einst Sitz der Inquisition. Und das romantische Bergdorf Ronda selbst scheint so weit entfernt wie nur möglich von den aktuellen politischen und sozialen Krisen dieser Welt.

Mit dem Programm, mit Filmen und Diskussionen will Festivalleiterin Piluca Baquero besonders ein junges Kinopublikum ansprechen, das mit dem Begriff "politisches Kino" sonst wenig anfangen kann:

"Wir wollen keine großen Pamphlete, keine komplizierten Retrospektiven, wir wollen lebendige Filme, die von Problemen erzählen, die uns alle angehen und trotzdem den Zuschauer anziehen."

Auf der Leinwand über dem alten Kirchenaltar laufen 46 Spiel- und Dokumentarfilme, von ersten Kurzfilmen bis zu den alten Meistern, von den Schlachten der Vergangenheit bis zu den sozialen Bewegungen der Gegenwart, von der Banken- und Finanzkrise über den Nahostkonflikt bis zu ganz unterschiedlichen Facetten der Vergangenheitsbewältigung.

Dabei geht es in erster Linie um persönliche Schicksale und weniger um den didaktischen Überblick. So erzählt ein kolumbianischer Spielfilm wie der Bürgerkrieg das Leben dreier Dorfkinder zerstört und ein holländischer Dokumentarfilm begleitet zwei Jugendliche aus den Golanhöhen nach Damaskus. Der Begriff "politischer Film" wird ganz unterschiedlich bewertet. Der 48-jährige israelische Regisseur Samuel Maoz lehnt das Etikett für seinen Spielfilmdebüt "Lebanon", eine autobiografische Geschichte von jungen israelischen Panzersoldaten im Libanon, ab:

"Für mich ist 'Lebanon' ein völlig unpolitischer Film, weil ich einfach nicht glaube, dass ein rein humanistischer Antikriegsfilm politisch sein kann. Der politische Film braucht doch immer Gute und Böse und in meinem Film gibt es das nicht, der Krieg ist der Böse und alle anderen sind eigentlich Opfer."

Oft sind es bekannte politische Hintergründe, vor denen die Filmemacher individuelle Schicksale erzählen. Der deutsche Regisseur Florian Cossen präsentierte in Ronda sein Spielfilmdebüt "Das Lied in mir" über eine junge Deutsche, die plötzlich mit der Wahrheit konfrontiert wird, dass ihre wirklichen Eltern Opfer der argentinischen Militärdiktatur waren. Für Florian Cossen schlägt das Festival eine Brücke zwischen politischen Themen und einem breiten Publikum:

"Also, was ich ganz spannend finde, ist, dass es für mich oft eigentlich ein Etikett ist, so ein bisschen von Ausschlussware, also eigentlich oft der Stempel herrscht. Wenn politisches Kino, dann ist das ein Kino, was eh keiner sehen will, was nie ins Kino kommen wird und wo eigentlich die politisch Aktiven sich untereinander die Filme zeigen. Und was ich hier ganz spannend finde, nicht nur, weil an den einen Preis ja auch eine Kinoförderung für Spanien gekoppelt ist, dass ich das doch eigentlich ausschließen muss."

Insgesamt 60.000 Euro der Preisgelder gehen an den möglichen spanischen Verleiher und so werden vielleicht einige der hier gezeigten Filme in die spanischen Kinos kommen. Die interessante Mischung in Ronda aus Politik und Kino, aus Filmvorführungen und Diskussionen scheint auch mit einem deutlich geringeren Etat als in anderen Festivals zu funktionieren. Ob es im nächsten Jahr eine Wiederholung gibt, hängt auch davon ab, wie Spanien die aktuelle Wirtschafts- und Finanzkrise übersteht.