Heidelberger Stückemarkt

Die Sieger stehen fest

Der Schriftzug "Theater Heidelberg" ist am 17.11.2012 in Heidelberg (Baden-Württemberg) an der Außenfassade des Theatergebäudes zu sehen.
Spielstätte des Theaterfestivals © picture alliance / dpa / Uwe Anspach
Von André Mumot |
Der 31. Heidelberger Stückemarkt vergibt gleich sechs Preise für die unterschiedlichsten Formen neuer Gegenwartsdramatik und zeigt sich dabei zukunftsoffen.
Es ist schon ein wenig bizarr, dass derjenige, der in diesem Jahr den Autorenpreis des Heidelberger Stückemarkts gewinnt, nicht zur Preisvergabe anwesend ist, weil er zur selben Zeit in Berlin die Konferenz "Theater und Netz" mitorganisiert - aber auch nicht per Skype live hinzugeschaltet werden kann, da es keine W-Lan-Verbindung in den altehrwürdigen Theaterhallen gibt.
Zumal Ulf Schmidt, der 1966 in Braunschweig geboren wurde, Internet- und Theatertheoretiker ist, Werbetexter und Postdramatiker, und sich von seinen Zuschauern wünscht, sie mögen bei der Aufführung seines neuen Werks die Handys anlassen, hin und herwandeln zwischen den parallelen Handlungsorten, fotografieren, twittern und sich vernetzen, was das Zeug hält.
Finanzmarktsrhetorik und Kapitalismusjargon
Mit der Entscheidung, seinem "Marienthaler Dachs" den mit 10.000 Euro dotierten Hauptpreis zu verleihen, hat sich die Jury aus Kritikern, Theatermachern und Dramaturgen, sehr zukunfts- und fortschrittsoffen gezeigt - vielleicht jedoch auch in einem etwas allzu vorauseilendem Gehorsam. Das Stück ist gewiss das radikalste der sieben Wettbewerbsbeiträge, ist schon im Umfang gewaltig und in der Form seiner parallel organisierten Aktionen hochkomplex.
Der Inhalt aber begnügt sich mit einem schier endlosen Herumkalauern durch die Sprachformen der Finanzmarktsrhetorik und des Kapitalismusjargons: Vater Staat und Mutter Konzern und Andi Arbeit heißen die Figuren, und im Gasthaus, das natürlich mit "Die Wirtschaft" betitelt ist, macht das Milchmädchen die Rechnung auf.
Eine aufgeheizte Verzweiflungsstudie
Immerhin entschied man sich, spontan noch einen Nachwuchspreis mit 2500 Euro nachzuschieben, der an den 1986 geborenen Daniel Foerster und sein Stück "Tanzen tanzen!" ging, eine aufgeheizte Verzweiflungsstudie über Menschen die sich durch die Großstadtpartynächte treiben lassen und nicht wissen, wohin mit sich und ihren Nöten.
Der großartigste Text des Wettbewerbs, das federleichte und sprachlich wie inhaltlich überaus treffende "Tierreich" des Berliner Autorenduos Nolte Decar, in dem mit hingehaucht witzigen Momentaufnahmen schlicht davon erzählt wird, wie es sich anfühlt, jung zu sein, ging unverständlicher Weise leer aus.
Das Publikum, das per Abstimmung einen eigenen Preis vergeben darf (und damit 2500 Euro), überging gleich alle deutschen Autoren und hielt sich an das diesjährige Gastland. "Der Patriarch" des Finnen Juha Jokela ist, im deutlichen Gegensatz zu den von den Jurys ausgezeichneten Stücken, ein naturalistisch konventionelles Konversationsdrama, eine tückische Gesellschafts- und Generationenkomödie, die schon bei ihrer szenischen Lesung derartig viel Vergnügen bereitete, dass aus dem Zuschauerraum dringlich nach einer Aufführung verlangt wurde.
Eigenwillig träge, verschwitzte, unheimliche "Animal-Farm"-Adaption
Das Internationale Autorenpreis wiederum ging an die Finnin Pipsa Lonka, die mit "These Little Town Blues Are Melting Away" ein humorvoll warmherziges Erzählstück verfasst hat, in dem kauzige Rentner voll tragikomischer Würde dem klimabedingten Untergang ihrer Heimatregion beiwohnen müssen.
Vielfältig geht es zu beim Stückemarkt, und auch bei seiner 31. Ausgabe hat es Heidelberg geschafft, ein beeindruckendes Gastspiel- und Autorenspektrum abzubilden, was sich nicht zuletzt in der Preisvergabe widerspiegelt. So geht der diesjährige Jugendstücke-Preis an die eigenwillig träge, verschwitzte und latent unheimliche "Animal-Farm"-Adaption der Performer von "Show Case Beat le Mot", und der Nachspielpreis, mit dem Zweit- und Drittaufführungen neuer Stücke gewürdigt werden, an ein echtes Kuriosum: "Eine Schneise" des Österreichers Händl Klaus ist eine sprachverrückt groteske Moritat, die Regisseur Stefan Otteni fürs Staatstheater Nürnberg in eine hochkomische Urmenschen-Begegnung verwandelt.
Die deutschsprachigen Theater können also reichlich schöpfen aus diesem Markt - und müssen sich keineswegs auf die ausgezeichneten Beiträge beschränken. Denn wie Holger Schulze, Intendant des Heidelberger Theaters, zum Abschluss noch einmal betonte: "Will man Autoren fördern, gibt es nur eins. Man muss sie spielen, spielen, spielen."
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