Wenig innovatives Theater aus der Ukraine
Der Heidelberger Stückemarkt gehört zu den traditionsreichsten Nachwuchsfestivals im Theaterbereich. In diesem Jahr war die Ukraine Gastland. Doch das Theater aus dem osteuropäischen Land kommt bisweilen verstörend nationalistisch daher, wie einige Aufführungen zeigten.
Natürlich konnte der Auftritt ukrainischer Theaterkünstler in Heidelberg kaum abgehen ohne kämpferisch-antirussische Töne und Positionen. In der allgemeinen Beschwörung des "Kriegszustands" rutschten aber auch Bemerkungen durch, die staunen lassen - etwa vom Dramatiker Wolodymyr Snihurtschenko.
Er vermittelte Echos der leidigen Debatte über die Frage, wer denn nun schlimmer gewesen sei, Stalin oder Hitler, und er zitierte sogar eine (ihm anscheinend eher sympathische) Theorie aus der Jelzin-Zeit, der zufolge nur der Zweite Weltkrieg Stalins Weltherrschaft verhindert habe. Als müsse die Welt dem Nazi-Reich im Grunde dankbar sein, dass es dieses hegemoniale Streben aufgehalten habe ...
So richtig sympathisch, etwa als Partner Europas, wirkt die Ukraine zuweilen eher nicht in den Wortmeldungen auch der Kultur-Repräsentanten von dort. Snihurtschenkos Theatertext über "Das Nordlicht" kam zwar formal verblüffend, inhaltlich aber auch reichlich kryptisch daher – im Gespräch zwischen Mutter und Sohn.
"Fresst Stalin, fresst Stalin, Brüder!"
"Begrabt Eure Kinder!"
"Ich bin ein kleiner Hitler, Mama ..."
"Schlaf, mein Junge."
"Begrabt Eure Kinder!"
"Ich bin ein kleiner Hitler, Mama ..."
"Schlaf, mein Junge."
So viel ist klar geworden am ukrainischen Wochenende in Heidelberg – der Umbruch ist noch lange nicht abgeschlossen. Fest eingemauert in den Privilegien überkommener Nomenklaturen beschäftigen sich die staatlichen Bühnen eher trist mit dem Überleben; und die wenigen neuen Häuser (wie das Dakh-Theater aus Kiew) sowie die ersten freien Projektgruppen sind noch konzentriert auf die Dokumentation sowohl des Umbruchs seit der Zeit des Maidan als auch, verständlicherweise, der Kämpfe um die Vormacht im östlichen Landesteil.
Schwarz-weiß-Sicht
Natalja Vorozhbyt etwa, eines der zentralen Talente, zeigt eine extra für Heidelberg kreierte Doku-Performance, in der ein Sanitäter (natürlich) der Regierungstruppen einem Separatisten zum Überleben verhilft. Möglicherweise gibt’s zwar auch separatistische Sanitäter, die Regierungssoldaten retten, aber der Blick der offiziellen Ukraine ist vor allem schwarz und weiß, kennt nur Freund und Feind. Dazwischen ist nichts.
Außer wenn es um die Gesellschaft der Gegenwart geht: Oksana Sawtschenko hat im Dramen-Wettbewerb einen vor allem sozialen Kampf beschrieben. "Lora" heißt das schon etwas ältere Stück, und die Titelfigur steht zu Beginn am Bank-Automaten und muss feststellen, dass der ihre Karte geschluckt hat:
"Lieber Bank-Automat! Was hab‘ ich Dir denn getan? Ich habe den richtigen PIN eingegeben, habe Dich nie getreten, nie Deine Scheibe eingeschlagen ... rück meine Kohle raus, sofort! Sofort, sag ich!"
So prekär gerät Loras Leben, dass sie den Freund verliert und beinahe eine Niere opfert auf dem Schwarzmarkt des Organhandels.
Preis für Olga Mazjupa
Olga Mazjupa, schlussendlich die Preisträgerin, geht ähnlich realistisch vor: Umweltvernichtung in den karpatischen Wäldern steht im Zentrum; ein Held im Rollstuhl (die Beine wurden ihm von einem Holz-Laster abgefahren) kämpft gegen einen durch und durch korrupten Politiker. Auch hier, in der "Öko-Ballade", streiten zeitweilig Mutter und Sohn:
"Mama, Du machst einen Behinderten aus mir! Ich bin ein vollwertiger Mensch ..."
"... ein vollwertiger Mensch ... hilflos bist Du! Ein Krüppel! Du gehst zugrunde, wenn ich mich nicht um Dich kümmere. Hast Du gehört? Es setzt gleich was."
"... ein vollwertiger Mensch ... hilflos bist Du! Ein Krüppel! Du gehst zugrunde, wenn ich mich nicht um Dich kümmere. Hast Du gehört? Es setzt gleich was."
Voller Klischees steckt der Text, kraftvoll attackiert er aber auch Vorurteile und Aberglauben. Zur Eröffnung vom nächsten "Stückemarkt" wird die "Öko-Ballade" in Heidelberg uraufgeführt.
Nur wenige Ensembles aus der Ukraine sind inzwischen international anerkannt; auch das Dakh-Theater um Regisseur Vlad Troitskij. Der arbeitete vor kurzem in Magdeburg, nach Heidelberg kam die klaustrophobische Troitskij-Installation "Haus der Hunde".
"Das ist meine Heimat."
"Deine Heimat? Ich dachte Dein Vaterland!"
"Für die Heimat bekommen wir was? Hiebe!"
"Deine Heimat? Ich dachte Dein Vaterland!"
"Für die Heimat bekommen wir was? Hiebe!"
Befremdliche Stimmungen
Ein Käfigbau steht auf der Bühne, in ihm lässt sich nicht aufrecht stehen; über ein Dutzend Wesen vegetieren in diesem finsteren Lager unter der Fuchtel von Aufsehern. Eine Story gibt’s nicht, nur ganz viel Aggression.
Als im zweiten Teil dann aber ein Teil von uns, dem Publikum, im Käfig sitzt als sozusagen schweigendes Schlachtvieh, stimmt das ukrainische Ensemble oben auf dem Kasten vaterländische Hymnen an.
Ganz viele sehr fremde Stimmungen und Töne klingen aus der Ukraine herüber; nicht selten wirken sie befremdlich: klerikal und nationalistisch, nicht innovativ und vorwärtsgewandt. Dies Land - das zeigt auch Heidelberg - wird wohl kein leichter Partner sein.