Heike Behrend: Menschwerdung eines Affen. Eine Autobiografie der ethnografischen Forschung
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2020
278 Seiten, 25 Euro
Die Ethnologin wird zum Tier
06:26 Minuten
Die Frage, wer bei einer Feldforschung eigentlich wen untersucht, begleitet die Ethnologie seit Anbeginn. Heike Behrend schreibt mit Blick auf die Fehlschläge des eigenen Forscherlebens eine faszinierende Geschichte ihres Fachs.
Die emeritierte Ethnologin Heike Behrend hat allen Grund, auf ihr Forscherleben zurückzublicken. Jahrzehntelang hat sie auf dem afrikanischen Kontinent zu verschiedenen kulturellen Phänomenen gearbeitet: zu Besessenheitskulten in Uganda, zu fotografischen Praktiken in Ostafrika und zum Zeitverständnis in den kenianischen Tugenbergen.
Mit ihrer Forschungsarbeit wollte sie den großen monografischen Berichten der Meister ihres Fachs folgen. Waren die Pioniere der Feldforschung jedoch mit heroischem Gestus aus ihren Observationen hervorgegangen, schreibt Heike Behrend von den Sackgassen, in die sie ihr "Wille zum Wissen" manövriert hat.
Schwierige Anerkennung
"Menschwerdung eines Affen" heißt das Buch. Und genau diese Entwicklung musste Heike Behrend in den frühen 80er-Jahren selbst durchlaufen, um von den Bewohnern eines kenianischen Bergdorfs als vollwertiger Mensch anerkannt zu werden.
Obwohl sie selbst gemäß der von '68 geprägten Mode angetreten war, den Standards einer "Rettungsethnologie" zu entsprechen und in Afrika die andere Seite der westliche Moderne zu finden, muss Behrend einsehen: Sie ist nicht Souverän über ihren Forschungsgegenstand. Nicht einmal Souverän über das Selbstbild. Wegen ihrer offen getragenen Haarmähne und ihren Verstößen gegen lokale Schicklichkeitsgebote, wird sie von den Dörflern lange Zeit als Affe verlacht. "Ich musste zur Kenntnis nehmen, dass nicht nur mein Haar, sondern meine ganze Person als hässlich empfunden wurde."
Ein "Affe mit Aufstiegschancen"
Der Affe, so Heike Behrend, sprang in der langen Geschichte kolonialer Begegnungen hin und her zwischen Kolonisatoren und Kolonisierten. Nun ist es die Ethnologin, die sich vor den Fremden, die sie eigentlich beschreiben will, zum Affen macht.
Allerdings zu einem "Affen mit Aufstiegschancen". Denn im Laufe der Zeit gewinnt Behrend den Respekt der Gemeinschaft und darf an verschiedenen Initiationsritualen teilnehmen. Ihre Forschung "gehörte" ihr allerdings zu keinem Zeitpunkt. Die Ethnografierten hatten ihre ganz eigene Agenda.
Und wo leben die Kannibalen?
War der persönliche Einsatz in den Tugenbergen noch mit überschaubaren Risiken verbunden, muss Heike Behrend Jahre später in Uganda die Fiktion einer objektiven Ethnografie aufgeben. Bei der Erforschung eines Besessenheitskults während der Aidskrise mit Jagden auf sogenannte Kannibalen erlebt Behrend dreierlei: die Brutalisierung des Phänomens unter dem Einfluss der katholischen Kirche, die eigene Stigmatisierung als vermeintliche Kannibalin und, trotz aller Beteuerungen, dass es in Europa keinen Kannibalismus gebe, das Auftauchen eines Mannes, der als Kannibale von Rothenburg in die Kriminalgeschichte eingehen sollte.
Bei Behrend kann man die Biografie einer akademischen Disziplin im laufenden Experiment nachvollziehen. Denn in den 80er-Jahren setzt ein kritisches Denken über interkulturelle Aneignung ein. Hatte Malinowski mit seiner berühmten Monografie "Das Geschlechtsleben der Wilden in Nordwest-Melanesien" noch die Haltung vertreten, der Ethnograf sei der Experte seiner Fremd-Gesellschaft, so erschien in den 90er-Jahren als Replik auf diesen Anspruch ein Sammelband, der "The Sexual Life of Anthropologists" zum Thema hatte. Er war wohl ziemlich öde, seufzt Heike Behrend.
Mit einer Arbeit über Zeitvorstellungen bei den Tugen in Kenia promoviert sie 1987 schließlich an der FU in Berlin. Ihrem Übersetzer Naftali Kipsang schickt sie ein Exemplar. Lange blieb sie ohne Antwort. "Dann kam ein Brief, in dem er mir für das Buch dankte. Er schrieb, in den Tugenbergen habe eine große Dürre geherrscht, und weil alle so hungrig gewesen seien, habe eine Ziege mein Buch gefressen."