Heiko Werning & Ulrike Sterblich: "Von Okapi, Scharnierschildkröte und Schnilch. Ein prekäres Bestiarium"
© Galiani
Wunderkammer seltsamer Wesen
06:19 Minuten
Ulrike Sterblich, Heiko Werning
Von Okapi, Scharnierschildkröte und Schnilch. Ein prekäres BestiariumGaliani , Berlin 2022240 Seiten
22,00 Euro
Das Dodo, der Beutelwolf, die Bramble-Cay-Mosaikschwanzratte – drei Beispiele für Tiere, die der Mensch bereits ausgerottet hat. Und viele andere Tiere werden folgen, wenn wir uns nicht besinnen. Das "prekäre Bestiarium" sollte zur Pflichtlektüre für alle werden.
Breit ist die Schneise der Verwüstung, die der Mensch in seiner Geschichte in die Tierwelt schlug – und er ist immer noch dabei. Der Dodo, ein etwa ein Meter großer, flugunfähiger Vogel, der ausschließlich auf Mauritius vorkam, der Riesenalk, ein flugunfähiger arktischer Vogel und der Beutelwolf von der Insel Tasmanien sind prominente Beispiele.
Letzterer wurde ausgerottet, weil er angeblich Schafe riss – man jagte ihn gnadenlos, und als der Mensch dann feststellte, dass sich das Tier ausschließlich von Geflügel und Kleinsäugern ernährte, war es zu spät. Der letzte Beutelwolf starb 1936, knapp zwei Monate, nachdem man die Art unter Schutz gestellt hatte.
Schutz der Biodiversität
Der Verein „Citizen Conservation“ kämpft für den Schutz der Biodiversität und die Nachzucht bedrohter Arten und hat nun mit dem „Prekären Bestiarium“ einen Überblick zu knapp 50 solcher Arten vorgelegt – von Alfreds Prachtgurami, einem eher winzigen Fisch, der eigentlich Parosphromenus alfredi heißt und aus Zentralmalaysia stammt, bis hin zu Zhous Scharnierschildkröte, die mitten auf dem Bauch ein Scharnier besitzt und so die beiden Körperhälften aneinander klappen kann.
Diese Schildkrötenart kommt in Vietnam oder China vor – so genau weiß man das nicht. Als teure Delikatesse ist sie inzwischen so selten, dass sie im letzten Jahrzehnt angeblich nur zweimal außerhalb von Zoos gesehen wurde, und zwar auf Marktständen. Im Zoo gelingt seit einigen Jahren aber immerhin die Nachzucht, und so leben dort heute etwa 150 Exemplare.
Mal launig, mal ironisch-albern
In launigen, manchmal ironisch-albernen Sachtexten – die mitunter auch von Prominenten gelesen im „KreaturenPodcast“ zu hören sind – werden die bedrohten Tiere ausgiebig vorgestellt: wie sie aussehen, wo sie leben, was sie ausmacht und warum sie kurz vor der Ausrottung stehen.
Darunter sind bekanntere Lebewesen wie der Auerochse, der im 17. Jahrhundert ausgerottet wurde und heute nur noch als Rückzüchtung aus anderen Rinderrassen existiert. Oder der Biber, der zumindest in Ost- und Süddeutschland zahlreich verbreitet ist. Aber auch eher weniger bekannte wie das Aye-Aye aus Madagaskar, eine Affenart mit Fledermausohren, krallenartigen Fingern und großen Augen.
Der wundersame Schnilch
Je länger man liest, umso mehr staunt man, welche Wunderkammer die Tierwelt ist – wissend, dass diese Welt bedroht wird. Zu den wirklichen Wundern gehört auch der Schnilch, der bereits im Buchtitel vorkommt: Dessen Beschreibung ist merkwürdig unpräzise, was wohl daran liegt, dass diese Wesen nur selten gesichtet wurden, auch wenn Dichter wie Tolstoi oder Schiller angeblich als große Schnilch-Freunde galten. Vielleicht ist der Schnilch auch – das Buch schweigt sich darüber aus – mit der Steinlaus verwandt, jener Art, die Loriot in den 1970er-Jahren erstmals „wissenschaftlich“ beschrieb.