Der Beitrag wurde erstmals am 27. Oktober 2021 ausgestrahlt.
Heilige Dämpfe in religiösen Riten
Viele Religionen sprechen Rauch eine spirituelle Qualität zu. Dieser Hindu-Priester in Nepal huldigt rauchend Shiva. © imago / Thomas Kelly
Von Cannabis bis Weihrauch
06:29 Minuten
Rauch und Rauchen haben in vielen Kulturen eine spirituelle Bedeutung: Bei religiösen Riten wird allerlei Rauchwerk entzündet – von Tabak bis Marihuana. Das Bewusstsein wird erweitert, und der Rauch steigt bedeutungsvoll in die Höhe.
Beim Shivaratri-Fest in Nepal wird der Hindu-Gott Shiva mit einem Mantra geehrt. In den Händen halten die Menschen Musikinstrumente und kleine Pfeifen, aus denen weißer Rauch quillt. Dieses Fest lockt jedes Jahr Medien und Touristen aus aller Welt an, denn da qualmt Cannabis.
Rauchschwaden an Shivas Ehrentag
Eigentlich ist Cannabis in Nepal illegal, erklärt der Theologe und Religionswissenschaftler Adolph van der Walt. Nur einmal im Jahr, bei diesem Fest, wird der Konsum toleriert. Denn das Fest hat eine lange Tradition, und das Cannabis soll dabei helfen, sich geistig auf Shiva zu fokussieren.
Adolph van der Walt schreibt seine Doktorarbeit an der Universität Göttingen über das Rauchen in den Religionen. Wenn es im religiösen Kontext um Cannabis beziehungsweise Hanf, Gras oder Marihuana geht, dann ist das bekannteste Beispiel wohl nicht das Fest in Nepal – obwohl die Hanf-Pflanze wahrscheinlich ursprünglich aus Zentralasien stammt.
Cannabis als Teil der Zeremonie
Bekannt gemacht haben diese Art von religiösem Rausch die Rastafari. Ihre Bewegung ist vor rund hundert Jahren in einer ganz anderen Ecke der Welt entstanden: auf Jamaika. "Viele glauben, dass die Rastas Cannabis rauchen, um high zu werden und Spaß zu haben", sagt van der Walt. "Aber es ist bei ihnen nicht erlaubt, Cannabis außerhalb von religiösen Zeremonien zu rauchen."
Bob Marley war der bekannteste Vertreter der Rastafari-Religion. Auf vielen Fotos ist er mit einem Joint zu sehen. Aber muss man kiffen, um ein Rasta zu sein? Das fragte die BBC einst den Musiker, der den Sender mit einer klaren Antwort beschied: "Do you have to smoke to be a Rasta?" - "No man!"
Kiffen ist keine Pflicht
Mit anderen gemeinsam nachdenken und diskutieren – das ist ein wichtiger Bestandteil der Rasta-Bewegung. Sie nennen das "Reasoning". Dabei kann auch Cannabis eine Rolle spielen. Kiffen ist bei den Rastas aber keine religiöse Pflicht.
Das Klischee, dass alle Rastas nicht nur verfilzte Haare haben, Dreadlocks, sondern auch den ganzen Tag high sind, haftet ihnen hartnäckig an, erzählt eine Rasta aus Berlin, die sich Sister Ifua nennt: "Allein schon die Kopfform mit der großen Mütze, das bringt die Leute dann schon immer dazu, über Aliens zu reden oder über Marge Simpson", sagt sie. "Da gibt es eine Top Ten von Sprüchen, die man jeden Tag hört. 'Ach, da ist bestimmt ein Kilo Gras darunter.'"
Von der Befreiungsbewegung zur Lust am Rausch
Weniger bekannt ist, dass bei den Rastafari alle anderen Drogen verboten sind – selbst Alkohol und Tabak. Und sie sollen auch kein Fleisch essen. Allerdings zieht Rasta, das ursprünglich eine schwarze Befreiungsbewegung war, inzwischen wohl auch viele an, die sich weniger für die Philosophie interessieren, sondern vor allem für die Joints.
"Viele haben versucht, Rasta zu kompromittieren. Deswegen findet man sehr verbreitet Rasta, die Bier trinken, Rasta, die Fleisch essen. Andere Rasta bezeichnen das dann etwas abwertend als sogenannte 'Chicken-Rasta'", erzählt Dominik Frühwirth, ein Rasta aus Wien, der seine Doktorarbeit über die Rasta-Bewegung schreibt.
Rauchen als symbolische Handlung
Rauch kann nicht nur berauschen, er hat auch eine symbolische Dimension, die von religiöser Bedeutung sein kann – und das nicht nur bei den Rastas. Denn Rauch steigt nach oben, ob der von Cannabis oder der von ganz normalem Tabak.
Für viele Menschen fühle sich Rauchen heilig an, so Adolf van der Walt, weil der Rauch die Welt der Lebenden verlasse und ins Reich der Vorfahren aufsteige, zu den Göttinnen und Göttern. Religiöses Rauchen finde man daher so gut wie überall auf der Welt.
Auch als die Europäer nach Amerika kamen, dürften sie Tabak zunächst als Teil religiöser Rituale kennengelernt haben, meint der Religionsforscher. Denn so sei Tabak auf den amerikanischen Kontinenten zumeist verwendet worden.
Verbindung zu den Vorfahren
Tabak wuchs ursprünglich nur in Amerika und Australien. Seit 500 Jahren hat er sich aber rasant auf der ganzen Welt verbreitet. Adolph van der Walt ist Südafrikaner, in seiner Forschung stehen die Xhosa im Mittelpunkt – eine ethnische Gruppe, bei der Tabak in religiösen Ritualen eine zentrale Rolle spielt.
Und zwar, um mit verstorbenen Vorfahren Kontakt aufzunehmen: "Die Vorfahren sind in einer anderen Welt, aber haben noch Zugang zur Welt der Lebenden", erklärt van der Walt. "Wenn du die Pfeife rauchst, die zum Beispiel dein Urgroßvater geraucht hat, lädst du ihn ein in die Welt der Lebenden. So kann er auf dich aufpassen und du besänftigst ihn."
Rauchzeichen in vielen Religionen
Eine ganz ähnliche Rauch-Symbolik kenne im Übrigen auch das Christentum – beim Weihrauch: "Der Unterschied ist natürlich, dass Weihrauch nicht geraucht wird. Aber man atmet den Rauch trotzdem ein. Die Idee ist beim Weihrauch ganz ähnlich wie beim Tabak: Der Rauch steigt nach oben. So entsteht das Gefühl, dass die Seelen nach oben steigen."
So verbindet der Rauch religiöse Rituale, die auf den ersten Blick sehr verschieden sind: eine katholische Messe, eine Ahnenfeier in Südafrika, ein Hindu-Fest für den Gott Shiva oder ein Reasoning bei den Rastafari.