Der Heiler
37:13 Minuten
Gerrys Hypothese und die alte Therapie in Georgien haben etwas gemeinsam: die Natur als Quelle der Heilung, also die Rückkehr zum Ursprung der Antibiotikaforschung. Wenn die stille Pandemie längst da ist: Warum fühlt sich niemand zuständig?
Gerry Quinn ist in Irland groß geworden, in einer Region, in der Geschichten alles sind. Gerry weiß, was eine gute Geschichte wert ist: Forscher findet Antibiotika in Graberde. Gerrys Geschichte ist ein guter Zwirn, ein Schwank von Heilern und Legenden, von Gräbern und heiligen Quellen.
Doch Gerrys Geschichte ist, so seltsam sie klingt, auch gute Wissenschaft. Wir haben über die letzten Folgen hinweg immer wieder Gesprächspartner gefragt, was sie von Streptomyces halten. Was sie von der Forschung daran halten. In Georgien dann haben wir vor einer der Koryphäen der Phagentherapie noch mal die Legende darum ausgerollt.
Die Plausibilität der Legende
Nina Chanishvili, Leiterin der Abteilung Research und Development des Eliava-Instituts für Bakteriophagen, war interessiert, aber nicht überrascht. Für sie ist Gerrys Hypothese nicht nur plausibel, sondern selbstverständlich. Wer einer Legende von heiliger Erde folgt, wird darin Bakterien finden. Denn dort, wo jahrhundertelang Kranke mit ihren Händen in der Erde graben, hinterlassen sie ihre Pathogene. Und die lokalen Bakterien lernen sich, mit der Zeit, dagegen zu wehren.
Bleibt die Sache mit der Socke. Nina glaubt, die Socke zu untersuchen sei ein guter Witz. Vielleicht ein Trick. Aber keine seriöse Wissenschaft. Dabei hat die Probe aus der Socke, genau wie die Erde aus dem Grab, nachweislich antibiotische Eigenschaften. Das hat Gerry bewiesen. Und mit der Socke genau das gemacht, was er mit dem Grab gemacht hat: Eine Geschichte gesucht.
Die Motivation eines Getriebenen
Bei der Konzeption dieses Podcasts waren wir überzeugt, es geht um zwei zentrale Fragen: Ist Gerry genial oder verrückt? Und: Kann aus seiner Forschung etwas werden? Die beste Antwort auf die zweite Frage hat Gerry selbst: „Es gibt eine Welt, in der ein Forscher in weniger als einem Jahr ein neues Antibiotikum auf den Markt bringen kann. Es ist schließlich schon etliche Male so passiert. Aus einer Bodenprobe, mit Streptomyces.“
Es scheitert also nicht an den Forschern, es scheitert an vielen anderen Gliedern in der Kette der Medikamentenentwicklung. Und: Ist Gerry verrückt? Wir würden sagen: Nein. Gerry ist vielmehr getrieben von einer Motivation, die tiefer geht als Geld, Ruhm oder Anerkennung.
Seit Jahrzehnten laufen wir kollektiv auf immer neue Abgründe zu. Der Klimawandel, das Sterben der Ozeane, die Welt brennt und keiner arbeitet so richtig dagegen an. Als dann bei Corona der Druck auf dem Kessel groß genug war, fanden sich Lösungen. Und zwar ziemlich schnell.
Keiner fühlt sich zuständig
Beim Thema Antibiotikaresistenzen steuern wir mit voller Geschwindigkeit auf das größte medizinische Problem seit Generationen zu. Doch wir lassen es kollektiv laufen. Unternehmen, Forschung, Ärzte, Regierungen: Keiner ist zuständig.
Wir wollten Gerrys Geschichte erzählen, weil wir Gerry glauben wollten. Weil Gerry sich zuständig fühlt. Ob aus Hybris oder aus Überzeugung, aus moralischer Verbundenheit oder einfach aus Neugier. Gerry sticht hervor aus einer Gruppe, weil er sich selbst den Platz nimmt.
Gerry und unsere Wahrnehmung der Welt unterscheidet sich eigentlich kaum. Wir erzählen die Geschichte vom Wunderheiler, dem Forscher und dem Grab auf eine ähnliche Art. Es gibt aber jemanden, mit dessen Fragen wir vielleicht eine ganz andere Geschichte erzählt hätten. Dessie McKenzie, Pubbesitzer, Shopkeeper, Totengräber.
The Cure wird bleiben
Dessie interessiert sich nicht für Arzneimittelzulassungen, nicht für das antibiotische Zeitalter, die stille Pandemie. Er interessiert sich nicht einmal so richtig für den wissenschaftlichen Teil von Gerrys Arbeit. Weil Dessie genau weiß, was wirklich zählt. Für ihn. Für Boho. Für die gesamte Umgebung. Für seinen Ausschnitt der Welt. Dessie sagt:
„The Cure war vor uns allen hier. Und bleibt – auch nachdem wir schon lange wieder weg sind.“