Den Alltag durchsichtig und schwebend machen
Heimito von Doderer verkörperte lebenslang Geist und Form von Alt-Österreich. Er war ein besessen beobachtender Zeitgenosse, der alles und alle seinem immensen, verwinkelten Werk einverleibte. Berühmt wurde er 1951 mit seinem Roman "Die Strudlhofstiege". Vor 50 Jahren starb Doderer.
"Der Tod ist ein gemeiner Konformist. Vor ihm kapituliert auch das Genie, es duckt sich, nachdem es bezwungen wurde und verschwindet bescheiden in der Anonymität."
So wie der Bildhauer Fritz Wotruba trauerten etliche österreichische Künstler um Heimito von Doderer, der am 23. Dezember 1966 den Krebstod gestorben war.
Doderers Begräbnis war beinahe eine Staatsaktion. Dabei hatte er den internationalen Ruhm, auf sein 70-jähriges Leben gerechnet, nur kurz genießen können. Viele magere Jahre hindurch hatte er geschrieben und veröffentlicht und dabei oft sparsam leben müssen. Wirklichen Erfolg brachte ihm erst sein 1951 erschienener Roman "Die Strudlhofstiege".
"Als Mary K.s Gatte noch lebte, Oskar hieß er, und sie selbst noch auf zwei sehr schönen Beinen ging (das rechte hat ihr, unweit ihrer Wohnung, am 21. September 1925 die Straßenbahn über dem Knie abgefahren), tauchte ein gewisser Doktor Negria auf, ein junger rumänischer Arzt …"
Auf den folgenden 900 Seiten entfaltet sich in der eindrücklichen Atmosphäre eines Wiener Sommers ein typisch Doderersches Zeit- und Personenpanorama, dessen Figuren teilweise in anderen Romanen oder Erzählungen vorkommen, ein Kosmos, dem mit Inhaltsangaben nicht beizukommen ist. Das wusste der Dichter, und er wollte es so.
"Ich halte dafür, dass der Schriftsteller nicht die Aufgabe hat, uns in eine utopische Zukunft oder in ein romantisches Land zu entführen, das niemand kennt und lebt. Sondern die Aufgabe des Schriftstellers liegt gerade darin, den Alltag, der uns umgibt, durchsichtig und schwebend zu machen und den Erweis seiner transzendenten Natur zu erbringen."
Anschauliche Sprache und Kompositionskraft
"Doderer schreibt einen neuen Roman. Sein Inhalt? Herr von X geht über die Ringstraße. Die ersten 1000 Seiten sind schon fertig", spöttelte bewundernd der Schriftsteller und Freund Hans Weigel. Unentwegt fütterte Doderer sein Riesengedächtnis und seine Tagebücher systematisch mit allem, was die Wirklichkeit und ihre Bewohner zu bieten hatten, einschließlich eigener Obsessionen und Perversionen, um es in weitere Romane hineinzukomponieren.
Und Doderer, der außer mit Thomas Mann auch mit Musil, Joyce, Proust verglichen wurde - von allen setzte er sein Schaffen ausdrücklich und zu Recht ab -, Doderer schien ein Kandidat für den Literaturnobelpreis zu sein. Das allerdings hätte zumindest einer von seinen alten Bekannten übel genommen: der Publizist Viktor Matejka, einst Insasse des KZ Dachau.
"Es gibt nämlich trotz und neben der literarischen Qualifikation gerade für Österreich als einem von Hitler ausradierten Staat eine politische Qualifikation, die eine österreichische Regierung unter allen Umständen zu berücksichtigen hat."
Damit meinte Matejka des Dichters frühe NSDAP-Mitgliedschaft und Hitler-Verehrung. Immerhin tauschte Doderer seinen deutsch-nationalistischen Rausch früh genug gegen ein katholisches Österreichertum ein und hatte nach dem Krieg nur kurz ein paar Scherereien. Und selbst eine sehr skeptische Emigrantin wie Hilde Spiel war machtlos gegen den alten Kauz, bewunderte rückhaltlos seine präzis anschauliche Sprache, Skurrilität und Kompositionskraft.
"Was Viktorin letzten Endes veranlasste, gerade beim Golf von Neapel vom Schlusse des eben wieder anfahrenden Zuges unbemerkt abzusteigen, ist rätselhaft. Der Grund zu Plötzlichkeiten dieser Art aber war schon seit einiger Zeit in ihm gelegt worden, so dass gewissermaßen wilde und selbstständige Entscheidungen durch die Muskulatur und die Nerven möglich wurden."
Militärische Vergangenheit im Ersten Weltkrieg
Doderer, der einstige Offizier mit dem pathetischen Vorkriegsbrustton, war willkommen in der Nachkriegsszene alter und junger Künstler. Mit Helmut Qualtinger und Peter Alexander saß er im Café Marietta, mit den Sprach-Revoluzzern der Wiener Gruppe im Café Hawelka. Missverständnisse kamen natürlich vor. Etwa, als Fritz Achleitner von der Wiener Gruppe eine Sprachmontage vorlas mit dem Titel "Vorbereitungen für eine Hinrichtung".
"Das war eine Montage aus einem K.-u.-k.-Exerzierreglement für die Kavallerie. Ich wusste nicht, dass er Kavallerieoffizier war. Doderer hat diese Montage, die für mich also eine sehr grausame, eine antimilitaristische war, hat er ungeheuer lustig g'funden und hat wahnsinnig gelacht."
In diese militärische Vergangenheit des Ersten Weltkriegs, in seine Zeit als Kriegsgefangener ging Doderer mit seinem letzten Roman "Der Grenzwald" zurück. Das Buch blieb unvollendet.