Heimito von Doderer: Die Strudlhofstiege, Verlag: C.H.Beck, 1951
Heimito von Doderer: Die Dämonen, Verlag: C.H. Beck, 1956
Heimito von Doderer: Die Merowinger oder Die totale Familie, Verlag: C.H. Beck, 1962
Martin Loew-Cadonna und Gerald Sommer: Heimito von Doderer: „Tagebücher 1920-1939“. 2 Bände. Verlag: C.H.Beck, 1996
Heimito von Doderer: „Tangenten: Tagebuch eines Schriftstellers 1940 – 1950“, Verlag: C. H. Beck, Verlag, Okt. 1995
Wolfgang Fleischer: „Das verleugnete Leben“, Verlag Kremayr & Scheriau, 1996
Christopher Dietz. Wer nicht riechen will, muss fühlen. Geruch und Geruchssinn im Werk Heimito von Doderers. Wien: Edition Präsens, 2002
Heimito von Doderer
Seine Großstadtromane machten Heimito von Doderer zu einem der wichtigsten österreichischen Schriftsteller der 1950er Jahre. © picture alliance / Imagno / Franz Hubmann
Tugend über dem Abgrund
Heimito von Doderer, 1896 in Wien geboren und 1966 dort gestorben, schrieb mit dem epochalen Roman "Die Strudelhofstiege" Literaturgeschichte. Dieses Buch entführt in ein magnetisches Kraftfeld von abgründigem Humor und virtuoser Sprachgewalt.
„Wenn ich mich frage, was ich denn eigentlich und wirklich haben möchte und mir wünschte: so wäre es – viel Geld, um in einer Folge schwerster sexueller Excesse, sinnloser Saufereien und dementsprechender Gewalthändel endgültig unterzugehen. Stattdessen hab' ich das weitaus gewagtere Abenteuer der Tugend gewählt.“ Allein dieser mitternächtliche Tagebucheintrag vom 18. Oktober 1951 verrät einiges über den Charakter des Wiener Schriftstellers.
Doderers Elternhaus
Vater Wilhelm Carl Gustav von Doderer, ein Diplomingenieur für Hoch- und Tiefbau mit humanistischer Ausbildung, gelingt es durch gute Beziehungen, mit viel Geschick und ebenso unermüdlichem Arbeitseinsatz zu einem der größten Eisenbahnbauer der Donau-Monarchie zu avancieren. Seine Kinder Ilse, Almuth, Wilhelm, Helga und Astri wachsen wohlbehütet auf, umsorgt von der Mutter, den Kindermädchen und diversen Dienstboten. Die Sommer verbringt die Familie ins Laudon’sche Forsthaus am Rand von Wien. Hier kommt auch das jüngste Kind am 5. September 1896 auf die Welt: Franz Carl Heimito von Doderer.
In Doderers Roman „Strudelhofstiege“ lässt sich der Vater in seinem familiären Umfeld ohne jede Hemmung gehen, ist aggressiv, brüllend und trampelnd. So muss sich Heimito Zeit seines Lebens unterlegen gefühlt haben: „Ich musste als kleiner Bub schon von vielen Seiten Erniedrigungen erdulden. Sie haben mir nicht gut getan.“
„Dem energischen alten Techniker und Bauunternehmer kann eine von Armut und Erfolglosigkeit bedrohte Künstlerkarriere kaum in den Kram gepasst haben, noch dazu angesichts des eigenen Vermögensverlustes.“, schreibt Wolfgang Fleischer im Vorwort seiner Biographie „Das verleugnete Leben“.
Kriegsjahre – Beginn einer literarischen Karriere
Eine Woche vor Doderers Abitur – am 28. Juni 1914 – war der österreichisch-ungarische Thronfolger Franz Ferdinand in Sarajewo ermordet worden. Bereits einen Monat später erklärt Österreich-Ungarn Serbien den Krieg.
Heimito von Doder wird einberufen und nach körperlich harter Einschulung kommt er als Fähnrich an die Front. Er hat Glück im Unglück und wird unversehrt im Herbst 1916 als Kriegsgefangener von den Russen nach Sibirien deportiert. Hier trifft er die Entscheidung seines Lebens: nämlich Schriftsteller zu werden.
Früher Beitritt in die NSDAP
„Heimito von Doderer ist auch nicht allein eingetreten, sondern eine ganze Gruppe von Personen, unter anderem seine Schwester Astri, auch sein Schwager Hans Stummer und noch ein paar Freunde von ihm sind parallel innerhalb der ersten Tage des April 1933 der damaligen NSDAP in Österreich beigetreten. Der Literaturwissenschaftler Gerald Sommer sieht die Hintergründe des Beitritts von Doderer zur NSDAP vielschichtig – dabei habe vor allem sehr viel Opportunismus eine Rolle gespielt.
1933 wird in Österreich das Parlament lahmgelegt, die Zahl der Arbeitslosen steigt rapide an und die Feindseligkeiten zwischen der christlich-sozialen Partei und den Sozialdemokraten verschärfen sich. In dieser unruhigen Zeit hat sich Heimito von Doderer bereits auf den elterlichen Sommersitz, den Riegelhof in Prein an der Rax, zurückgezogen und widmet sich - fern der Kalamitäten und politischen Unruhen – ganz seinem Romanprojekt „Die Dämonen“ - ein Projekt, so wird gemunkelt, das ursprünglich »Dicke Damen« hätte heißen sollen, da Doderer eine spezielle Vorliebe für korpulente Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts nachgesagt wurde.
An dem über 1300 Seiten starken Roman „Die Dämonen“ wird Doderer insgesamt 25 Jahre schreiben. Bevor das durchkomponierte Opus Magnum im Jahre 1957 erscheint, beginnt Doderer in seinem langjährigen Schreibprozess immer wieder von vorne, oder schreibt es um.
Umzug nach Deutschland
Trotz vieler Bemühungen muss Doderer erkennen, dass sich sein schriftstellerischer Erfolg in Österreich in Grenzen hält. So entschließt er sich - gemeinsam mit seiner neuen Geliebten Gaby Murad – nach Deutschland überzusiedeln. Sie ziehen zunächst nach Dachau - das zu diesem Zeitpunkt älter, aber auch verschlafener und ärmer als München ist. Doch mit der Verschlafenheit hat es im März 1933 ein Ende, als in einer ehemaligen Pulverfabrik das erste Konzentrationslager mit einem vorläufigen Fassungsvolumen von 5000 Menschen von der SS in Betrieb genommen wird.
In seinen späteren Romanen und Erzählungen nimmt der Autor nur wenig Bezug zur politischen Lage in Deutschland oder Österreich, was auf Doderers spezieller Ansicht über das Wesen geschichtlicher Erfahrungen beruht. Er ist der Meinung, dass sich die politische Geschichte nicht verstehen und bewältigen lasse, indem man bloß auf sie zurückblickt. „Wenn irgendeine Zeit mit ihren Gestalten oder Erscheinungen und Formen begriffen werden soll, so muss man sich weit über diese Zeit hinaus in die Vergangenheit zurückziehen und die betreffende Periode von vorne anvisieren, nicht nur von rückwärts her sie betrachten.“
Odyssee im Zweiten Weltkrieg
Am 24. Februar 1938 beschwört Kanzler Kurt Schuschnigg in einer flammenden Rede die österreichische Unabhängigkeit. Bereits zwei Wochen später wird er zum Rücktritt gezwungen. Tags darauf marschieren Hitlers Truppen in Österreich ein.
Ende April 1940 tritt Heimito seinen Wehrdienst in Sachsen an. Er wird nach Frankreich versetzt und tritt seinen Dienst in einem - wie er es in einem Brief an die Mutter beschreibt - „reizenden Schlösschen“ auf dem Land an.
Als Doderer in die russische Stadt Kursk, 500 Kilometer südlich von Moskau, verlegt wird, hat er längst die Sinnlosigkeit des Kriegs erkannt, und setzt alles daran, sich und die ihm untergebenen Soldaten keiner unnötigen Gefahr auszusetzen. Als sich der russische Winter ankündigt, sucht Doderer den diensthabenden Arzt auf, der ihm nach eingehender Untersuchung das ersehnte Attest ausstellt: Im Januar 1943 beendet Doderer seinen Fronteinsatz und kehrt über Frankfurt an der Oder und Berlin ins heimatliche Wien zurück. Anfang 1946 wird er aus gesundheitlichen Gründen aus dem Militärdienst entlassen und entschließt sich, seinen Onkel Richard in Weißenbach am Attersee aufzusuchen. Dort schreibt Doderer seinen Roman „Die Strudhofstiege“.
„Die Strudlhofstiege“ – Auftakt zum Erfolg
Doderers imaginierte Räume mit ihren sorgfältig und lustvoll in Szene gesetzten Personen, sind prägnanter Ausdruck seines Willens zur Versinnlichung, eines Willens, der als stärkste Opposition zu jenen unechten Abstraktionen zu gelten hat, die den Menschen irreleiten. Gleichzeitig ist „die Strudlhofstiege“ ein virtuoses Spiel mit verschiedenen Zeitebenen: Während die Vorgeschichte in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zurückreicht, setzt die Handlung im Nachsommer 1923 ein.
Im Mai 1946 reist Doderer zurück nach Wien. Was ihn erwartet, schildert der Biograf Wolfgang Fleischer eindrücklich in dem Kapitel „Schutt und Stiege“. „Rund ein Viertel der Gebäude war zerstört oder beschädigt, es fehlten fast 90.000 Wohnungen, viele Menschen hausten in Notquartieren, manche kochten auf der Straße oder in den Höfen zwischen aufgeschichteten Ziegeln, Strom und Gas kehrten erst langsam wieder zurück, und auch dann meist nur für wenige Stunden. Und überall lag Schutt in riesigen Bergen, über die man allenthalben steigen mußte; (...) Es fehlte an Straßenbahnen, an intakten Spitälern und Schulen – und selbst an Brücken über den Donaukanal, von denen nur eine einzige den Krieg überdauert hatte.
Doderers literarischer Durchbruch
Die Jahre 1944 bis 1946 sind wohl die produktivsten Phasen im Leben des Heimito von Doderer, in denen er den über 900 Seiten umfassenden Roman „Die Strudlhofstiege oder Melzer und die Tiefe der Jahre“ zur Vollendung bringt, so der Literaturwissenschaftler Gerald Sommer.
Anfang Oktober 1946 fährt Doderer auf den Riegelhof. Dort hofft der Schriftsteller in seinem Atelier im obersten Stock des Hauses ungestört weiter schreiben zu können und seine mittlerweile 84jährige Mutter endlich wiederzusehen. Dort angekommen erwartet ihn keine gute Nachricht. Das geliebte „Mümlein“ liegt nach einem spontanen Anfall von Herzschwäche im Bett und kann kaum ein Wort über die Lippen bringen. Knapp sechs Wochen später wird sie zu Grabe getragen.
Als am 6. April 1951 – Doderer ist zu diesem Zeitpunkt 54 Jahre alt – das Erscheinen seines Romans „Die Strudlhofstiege“ mit großem Presseempfang in München gefeiert wird, steht der Schriftsteller zum ersten Mal im Fokus einer von ihm lang herbeigesehnten Öffentlichkeit. Seit dem Erscheinen der Strudlhofstiege ist der Name Heimito von Doderer im Munde aller Literaturinteressenten.
Das Spätwerk
„Die Dämonen“ erscheinen 1956, zum 60. Geburtstag des Schriftstellers. Vom zeitlichen Rahmen – es spielt zwischen Herbst 1926 und Hochsommer 1927 – schließt es an die Strudlhofstiege an, und ist eine Art Chronik, in der René von Stangeler – Doderers Alter Ego – erneut eine tragende Rolle spielt, ebenso wie Mary K., deren Straßenbahnunfall den Fluchtpunkt der Strudlhofstiege bildet und die in einem der ersten Kapitel der Dämonen mit einer Beinprothese zu leben lernt. Mit den „Merowingern“, die 4 Jahre vor Doderers Tod erscheint, holt Doderer zu einem Rundumschlag aus gegen alles, was er der Lächerlichkeit preisgeben will. „Es ist im Grunde ein Buch ohne Hoffnung“ urteilt Doderers Biograf Wolfgang Fleischer, „die überaus geschlossene Darstellung einer verrückt gewordenen und bösartigen Welt ohne Ausweg.“
Von einer fortgeschrittenen Krebskrankheit schwer gezeichnet, stirbt Heimito von Doderer kurz nach seinem 70. Geburtstag am 23. Dezember 1966.
Literatur
Eine Produktion von Deutschlandfunk Kultur 2021.
Das Skript zur Sendung finden sie hier.
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