Heimkino: "Camp X-Ray"

Eine Verbeugung vor Kristen Stewart

Die US-Schauspielerin Kristen Stewart bei den 82. Oscar-Verleihungen in Hollywood, California; Aufnahme vom März 2010.
Die US-Schauspielerin Kristin Stewart bei den 82. Oscar-Verleihungen in Hollywood, März 2010 © picture alliance / dpa
Von Hartwig Tegeler |
Auf den ersten Blick könnte es scheinen, als müssten wir ganz stark sein: Hollywood-Sternchen Kristen Stewart spielt in einem Film über das Guantanamo-Lager. Doch sie macht das großartig. "Camp X-Ray" von Peter Sattler ist gerade als DVD und Blu-Ray erschienen.
Star-Glamour, nein, davon hat dieses erste Bild von ihr in "Camp X-Ray" kein bisschen. Die Haare zu einem Oma-Dutt geknotet, das Gesicht griesgrämig verzogen. Kristen Stewart als Soldatin Amy Cole, die als Wärterin nach Guantanamo versetzt wurde. Dienstbesprechung.
"Und werden sie nicht unaufmerksam durch ständige Wiederholungen."
Das berüchtigte US-Lager auf Kuba.
"Das ist genau das, worauf diese Kerle da warten."
Wärterin Amy bei ihrem öden Dienst, immer das gleiche. Kein Kontakt mit den gefangenen Terroristen - so die Anweisung.
"Mein Name ist Ali. - Sie und ich haben uns nichts zu sagen."
In Peter Sattlers Filmdebüt "Camp X-Ray" - und bitte, vergessen Sie diesen haarsträubend dämlichen Untertitel "Eine verbotene Liebe"; er hat nichts mit dem Film zu tun -, in "Camp X-Ray" spielt Kristen Stewart eine weitere Rolle, die wie ein gezielter Gegenwurf zur Blockbuster-Schmonzetten-"Twilight"-Saga erscheint.
Zu dieser sauberen Rolle der Bella, die sich in einen Vampir verliebt.
Bella: "Ich weiß, was ich gesehen habe."
Edward: "Das wird dir niemand glauben. - Ich will es auch niemandem erzählen."
Diese Bella forderte von Kristen Stewart vor allem: schmachtend-melancholisch-trauriges Schauen, das den Verdacht vermeiden sollte, dass zwischen der Menschenfrau und ihrem Vampir Sexuelles loderte. Mit dem ersten "Twilight"-Film waren Kristen Stewart und "ihr" Film-Vampir Robert Pattinson schlagartig weltberühmt, wurden auch in der Realität ein Paar, trennten sich.
Kristen Stewart wurde lesbisch oder auch nicht, die Yellow-Press war glücklich ob des ständigen Futters. Und, nun ja, als Nachgeborene der ehemaligen und in der Tendenz - was ihre Karriere betrifft - tragischen Jungstars Lindsay Lohan, Winona Ryder, Drew Barrymore, Elijah Wood oder Harry-Potter-Daniel Radcliffe schien Kristen Stewart prädestiniert für diese Schublade, auf der "Ex-Bella"-"Twilight"-Hollywood-Sternchen stand.
Doch bei genauerem Hinsehen suchte Kristen Stewart schon während der Zeit, als die Twilight-Saga noch nicht beendet war, bei ihren Rollen nach Gegenwürfen zu der Leblosigkeit, auf der sie Bella Swann festlegte und verdammte.
"Dann bin ich pinkeln, und dann lag meine Brieftasche auf dem Bett, und mir fehlen 900 Dollar. - 900 Dollar? - Mmh! - Sag mal, wieso schleppst du nur so viel Geld mit dir rum."
Kristen Stewart - die Stripperin - an der Seite von James Gandolfini als trauerndem Vater in "Willkommen bei den Rileys".
Oder Kristen Stewart in dieser Eruption von Sinnlichkeit in der Jack-Kerouac-Verfilmung "On the Road". Der Tanz zwischen ihr und Garrett Hedlund zum Bebop-Klassiker "Salt Peanuts", das ist ein Hohes Lied auf das Verschwitzte, Erotische, sexuell Aufreizende, Lustvolle, Lebendige. Als Steigerung dann die nackte Kristen Stewart zwischen dem nackten Garrett Hedlund dem nackten Sam Riley im Auto, auf der Landstraße, on the road. Das ist zwar nicht sonderlich explizit gezeigt, aber für einen US-Film beglückend unprüde.
Spannbreite von Emotionen und schauspielerischem Ausdruck
Spätestens mit ihrer César-prämierten Rolle als Assistentin von Juliette Binoche in "Die Wolken von Sils Maria" - klassisches europäisches Arthouse-Kino - verfestigte sich der Eindruck, als wolle Kristen Stewart die Spannbreite von Emotionen und schauspielerischem Ausdruck von Film zu Film immer weiter ausloten. Und mag das auch Spekulation sein, Projektion auf die Karriereplanung einer jungen Schauspielerin, so ist die Bereitschaft zum Risiko bei der 1990 in Los Angeles Geborenen ganz offensichtlich.
Denn natürlich ist der bei uns auf DVD gerade erschienene Film "Camp X-Ray", der von der langsamen menschlichen Annäherung zwischen der Wärterin Amy und dem Guantanamo-Gefangenen Ali erzählt, sehr politisch. Die Folter- und Verhörexzesse mögen vorbei sein, aber gefoltert, das zeigt der Film wie nebenbei, wird immer noch.
"Bleib liegen, schlaf weiter."
"Nein, nein, ich kann hier sowieso nicht gut schlafen. Hier drinnen, weißt du."
"Ich wusste nicht, dass sie nachts das Licht anlassen. - Den ganzen Tag, die ganze Nacht."
Peter Sattlers Film steht für eine ideologische Gegenbewegung zu einem Mainstream-Film wie Clint Eastwoods "Der Scharfschütze": Wenn dort der Feind keine Individualität und keine Humanität besitzt, so bekommt der Gefangene Ali in "Camp X-Ray" ein Gesicht. "Camp X-Ray" ist ein Film über Menschlichkeit. Und der Satz, den Kristen Stewart sagt, ist hochpolitisch:
"Für manche ist es bestimmt schwer. Es ist nicht so schwarzweiß, wie sie gesagt haben."
In solch einem Film mitzuspielen, in dem die Gefangenen von Guantanamo nicht westernlike als blutrünstige Terror-Bestien, sondern als Menschen dargestellt werden, damit bezeugt eine junge Schauspielerin wie Kristen Stewart Mut. Ergo: Die Bella-Swann-TWILIGHT-Saga-Schublade, sie ist nicht mehr existent. Kristen Stewart ist auf dem Weg, eine große Schauspielerin zu werden.