Von den Eltern vergessen
In "Missverstanden" erzählt Asia Argento die Geschichte eines neunjährigen Mädchens, das im Rom der 80er-Jahre aufwächst und von ihren Eltern kaum beachtet wird. Die Regisseurin hat in dem Film viele autobiografische Erlebnisse verarbeitet.
Die neunjährige Aria bekommt Zuhause kaum Aufmerksamkeit. Ihr Vater, ein bekannter Schauspieler, muss sich ständig auf Rollen vorbereiten. Ihre Mutter gibt Klavierunterricht und ist ansonsten vor allem mit sich selbst beschäftigt. Und wenn sich die Eltern um ihre Kinder kümmern, dann um Arias Schwestern. So provoziert Aria und wirft schon mal, um aufzufallen, Fleischbällchen aus dem Fenster - was nicht selten zu einem heftigen Ehestreit der Eltern führt, mit Beleidigungen und Wutausbrüchen.
Auch wenn die Regisseurin Asia Argento den autobiografischen Bezug ihres Filmes nicht explizit betont, spiegelt sich ihre eigene Kindheit darin doch wider: Die Zeit, der Ort, also Rom, und auch die sich bekriegenden Eltern.
"Wir befinden uns Mitte der 1980er-Jahre, das Mädchen ist neun Jahre alt und seine Eltern trennen sich. Damit beginnt der Film, und alle Konsequenzen entwickeln sich daraus. Die Eltern sind selbst bezogen. Sie ist das Kind von Egomanen. Aber die Eltern, die sie nicht wahrnehmen, wirken dabei fast lächerlich."
Schnell deutet sich das Drama einer Kindheit an. Aber die Geschichte ist komplexer. Zuweilen wirkt sie gar farbenfroh und amüsant: Der Vater, schön schmierig von Gabriel Garko gespielt, zeigt in seiner Mischung aus Gigolo und Choleriker groteske Züge. Charlotte Gainsbourg, die Mutter, entsorgt unsanft ihre wechselnden Männerbekanntschaften. Und Aria selbst erhält Aufmerksamkeit von Jungs aus ihrer Klasse - nur leider nicht von dem Richtigen. Giulia Salerno, die die Aria spielt, zieht die Zuschauer mit ihrer großen Breite emotionaler Veränderungen in den Bann: Hoffnung und Enttäuschung wechseln einander ab, weichen dem Willen zum Überlebenskampf und enden dann in Zurückgezogenheit. Wobei es die Regisseurin Asia Argento schafft, ihrer Geschichte immer Spannung, Balance und Rhythmus zu geben.
Aria überwindet die Einsamkeit
"'Missverstanden' ist ein Film, der vom ewigen Kind handelt. Ein Kind wird verletzt, es war unschuldig und sein Vertrauen wurde zerstört. Aber das Kind ist kein Opfer. Es überlebt die Rückschläge. Es geht um eine Zeit in unserem Leben, in der wir uns alle mehr oder weniger missverstanden fühlten. Ich weiß genau, wie sich das anfühlt. Wir alle mussten diese Wunden ertragen, um in dieser materialistischen Gesellschaft zu überleben. Da jene die Unschuld verachtet und auch alle spirituellen Bezüge. Aber das Kind trägt diesen Geist in sich."
Die Einsamkeit, die Aria immer wieder erlebt, überwindet sie, indem sie mit ihrer Freundin in Mädchenalbernheiten abtaucht, sich schminkt oder Prostituierte für den Nachbarn bestellt. Doch dann findet die Freundin eine neue Vertraute. Aria fühlt sich doppelt verlassen. Ihr bleibt nur noch ihre Fantasie, die sie in Schulaufsätzen ausdrückt und damit sogar einen Wettbewerb gewinnt.
"Ich glaube, unser Schutzengel wohnt in jenen, die uns nahe stehen und die uns beschützen. Mein Schutzengel wohnt in einer schwarzen Katze. Sie heißt Dac. Wenn niemand merkt, dass ich Zuwendung brauche, merkt sie es. Die Streicheleinheiten, die sie mir gibt, gebe ich ihr zurück. Eine kleine Liebesgeste dauert so lange wie ein Lolli. Wisst ihr, was ein Lolli ist? Ein runder Lutscher, der nie zu Ende gehen zu scheint. Doch er geht zu Ende. Ein imaginärer Bonbon - wie die Liebe."
Es sind Momente wie dieser, die Aria helfen, wenn sie wiedermal abgeschoben wird. Während ihre Schwestern die Liebe erhalten, nach der sie sich sehnt. Doch Aria resigniert nicht. Vielmehr macht sie das Beste aus ihrer Situation und zieht mit ihrer schwarzen Katze durch die römische Nacht.
"Glaube nicht, dass ich ein verstoßenes Kind bin. Vielleicht ein bisschen, aber ich bin frei. Und das macht echt Spaß. Kein anderes Kind darf um die Uhrzeit draußen sein. Wir beide sind Krieger in der Nacht."
"Missverstanden" ist kein klassisches Drama, sondern die Geschichte eines Mädchens, das gegen seinen eigenen Willen früh erwachsen werden muss. Wobei die Regisseurin Asia Argento, die als Kind von Zuhause wegrannte, für ihre Geschichte immer wieder eindringliche Bilder findet, um die faszinierende Mischung aus Einsamkeit und Auflehnung darzustellen. Und der Soundtrack, in dem sich zuweilen Synthy-Pop-Klänge und Punk mischen, gibt perfekt die Atmosphäre der 80er-Jahre wider, eine Mischung aus Kälte und Widerstand.