Marcus Jogerst ist auch Protagonist des Podcasts "Alltag einer Pandemie".
"Das ist eine Pleite, die die Bundesregierung da hinlegt"
08:42 Minuten
Unter Pandemie-Bedingungen wurden sie lautstark für systemrelevant erklärt: die Pflegekräfte. Von den schönen Worten sei nichts geblieben, kritisiert der Heimleiter Marcus Jogerst. Seine Bilanz der letzten Monate und Jahre ist bitter.
Der Applaus von den Balkonen war freundlich und zugewandt, doch viel hat sich für Pflegekräfte seitdem nicht geändert. Der Pflegebeauftragte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus, macht sich deswegen offenbar große Sorgen - er hat vor wachsender Personalnot in der Pflege gewarnt. Nach seiner Wahrnehmung wollen viele Pflegekräfte die Corona-Pandemie noch durchstehen und sich dann einen anderen Job suchen. Das sagte Westerfellhaus der "Rheinischen Post".
Westerfellhaus fordert nun ein "klares Signal", dass sich die Löhne und Arbeitsbedingungen im Pflegebereich verbessern werden. Darauf wartet auch Marcus Jogerst, Leiter zweier Pflegeheime in der Nähe von Offenburg. Und zwar schon seit vielen Jahren. Jogerst engagiert sich für eine andere, menschlichere Pflege, war früher selbst Altenpfleger und sitzt im Vorstand des Vereins "Pflege in Bewegung".
Der "Facharbeiter am Mensch" wird schlecht bezahlt
"Das ist einfach eine Pleite, die die Bundesregierung da hinlegt", sagt der Pflegeexperte. Er sehe nichts von einer Kursänderung der Politik, es gebe wie immer nur "Show-Veranstaltungen". In der Praxis komme nichts an. Nur Boni für Altenpfleger gab es - für Krankenpfleger hingegen schon nicht mehr, kritisiert Jogerst. Dabei sei in den Krankenhäusern während der ersten Corona-Welle "eine massive Last" getragen worden: "Die Mitarbeiter standen zum Teil ohne Schutz an den Betten von infektiösen Patienten."
Und Boni lösen das Problem nach Ansicht von Jogerst auch nicht. Über Jahrzehnte sei die Lohnentwickung in der Pflege hinter anderen Berufen zurückgeblieben, kritisiert der Pflegeheimleiter. In der Industrie verdiene ein Facharbeiter an einer Maschine wesentlich mehr als ein "Facharbeiter am Mensch": "Das ist ein Unding, das ist moralisch nicht vertretbar, das geht überhaupt nicht. Unser aller Leben ist uns wichtig, die Gesundheit ist uns wichtig, und dementsprechend müssen wir auch die Menschen, die dafür sorgen, bezahlen."
Schwierig, optimistisch zu bleiben
Auch Respekt und Wertschätzung vermisst der Heimleiter. Seit 20 Jahren sei in der stationären Altenpflege klar, dass es - gemessen an den Leistungen, die erbracht werden sollen - 20 bis 25 Prozent zu wenig Personal gebe.
"Wir haben dieses Personal nicht, dann kommt aber eine Behörde und kontrolliert die Einhaltung aller möglichen Richtlinien, obwohl das ja genau die Stelle ist, die uns das auskömmliche Personal verweigert. Man verlangt von Pflegekräften etwas Unmögliches - und schimpft sie hinterher noch dafür aus, dass sie das Unmögliche nicht geschafft haben. Und dann erwartet man auch noch, dass Menschen in diesen Beruf gehen."
Es sei schwer, vor diesem Hintergrund optimistisch zu bleiben, sagt Jogerst. Pflege sei immer noch ein schöner Beruf, wenn man sich auf die Pflegebeziehung und die eigentliche Arbeit konzentrieren könne: "Dann ist es ein Beruf, der einen ausfüllt. Aber die Umstände drumherum muss man ausblenden. Ansonsten wird man verrückt."
(ahe)