Heiner Geißler über Pegida und den Islam

"Es gibt Gründe für die Angst"

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Die Politik muss handeln, meint Heiner Geißler. © picture alliance / dpa / Horst Galuschka
Heiner Geißler im Gespräch mit Dieter Kassel |
Terroranschlag in Paris, Krieg im Namen des Islam im Irak, und in Deutschland wird über die Abschiebepraxis bei Boots-Flüchtlingen debattiert. CDU-Urgestein Heiner Geißler wirft der Politik deswegen Versagen vor.
Der ehemalige CDU-Generalsekretär Heiner Geißler hat der Politik schwere Versäumnisse im Umgang mit Pegida und dem Islam in Deutschland vorgeworfen. Im Deutschlandradio Kultur sagte Geißler, die Infragestellung der Pegida-Demonstrationen sei "grundsätzlich falsch. In Deutschland kann jeder demonstrieren wofür er will und wogegen er will." Dies sei ein Grundrecht. Man könne "den Leuten nicht den Mund verbieten", sagte Geißler: "Das geht nicht."
"Es kann überhaupt nicht bestritten werden, dass es Gründe gibt, warum die Leute Angst haben", betonte der CDU-Politiker. Jede Tag würden im Fernsehen im Namen des Islam begangene Verbrechen gezeigt. Zugleich hätten die Parteien aber eine Debatte über Flüchtlinge in Deutschland entfesselt. Es sei in den Augen der Menschen absurd, über neue Regeln für die Abschiebung von Boots-Flüchtlingen zu diskutieren, anstatt diejenigen auszuweisen, welche die Quelle aller Ängste seien: "Islamisten, die Salafisten, die Dschihadisten, die Sympathisanten dieses islamischen Krieges, und es sind vor allem die Hassprediger", sagte Geißler. Die Menschen müssten ein klares Zeichen bekommen, dass die Politik auch handele, forderte er. So könnte in Deutschland schon längst die Vollverschleierung verboten sein. Es dürfe auch nicht sein, dass Familiengerichte sich an der Scharia ausrichteten. Nur mit einem konsequenten Einsatz der rechtsstaatlichen Mittel werde den Rechtsradikalen bei Pegida der Boden entzogen, sagte Geißler.

Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Politiker verschiedener Parteien in Deutschland haben gestern die Organisatoren der Pegida-Demonstrationen dazu aufgerufen, die Demonstrationen nach den Anschlägen von Paris bis auf Weiteres auszusetzen. Horst Seehofer, der Ministerpräsident Bayerns, und der SPD-Justizminister Heiko Maas haben das unter anderem getan.
Aber dieser Aufforderung werden die Organisatoren mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht nachkommen. Es ist eher zu erwarten, dass heute wohl noch einmal mehr Menschen in Dresden auf die Straße gehen als in den vergangenen Wochen, nachdem Pegida-Sprecher und auch Politiker der AfD die Anschläge von Paris bereits dazu benutzt haben, um vor der großen islamischen Gefahr, die sie in ihren Augen auch in Deutschland sehen, zu warnen.
Aber man muss feststellen: Es sind nicht nur Pegida-Anhänger, die sich Sorgen machen. Schon vor den Anschlägen von Paris hat eine Meinungsumfrage zutage gebracht, dass 54 Prozent der Deutschen einen zunehmenden Einfluss des Islam in Deutschland fürchten. Wie kann, wie soll, wie muss die Politik auf solche Ängste, solche Sorgen reagieren, ganz egal, ob sie berechtigt sind oder nicht? Wie kann sie darauf aber auch reagieren, ohne Vorurteile zu verstärken?
Das wollen wir jetzt den CDU-Politiker Heiner Geißler fragen. Er kam 1965 das erste Mal in den Bundestag, war Bundes- und Landesminister und über zehn Jahre lang Generalsekretär seiner Partei. Schönen guten Morgen, Herr Geißler!
Heiner Geißler: Guten Morgen!
Kassel: Das ist für mich die Frage: Viele CDU-Politiker und auch Politiker anderer Parteien haben nach Paris zur Besonnenheit aufgerufen, haben aufgefordert, deutlich zu unterscheiden zwischen Muslimen und Terroristen. Das ist alles ebenso sinnvoll wie nichts Neues. Wie kann man denn das auf der einen Seite tun und gleichzeitig die Ängste in der Bevölkerung ernst nehmen?
Geißler: Ja, man kann halt beides miteinander machen, aber es wird wenig Wert haben, denn ständig weiße Salbe zu streichen mit dem Argument, die Islamisten, der Islamismus ist nicht identisch mit dem Islam - was ja richtig ist - das wird aber zu nichts führen, weil einfach der überwiegende Anteil der Leute eine solche Differenzierung gar nicht vornehmen kann. Dazu haben sie gar keine Zeit. Sie sind nicht bewandert in der Religionsgeschichte.
Und außerdem ist es halt tatsächlich so, dass es im Koran immer wieder mal die Hinweise gibt, auf die sich die Terroristen stützen können. Und deswegen ist dieses Argument eben auch inhaltlich nicht verwertbar und wird von den Leuten nicht geglaubt. Es muss was anderes gemacht werden.
Kassel: Und zwar?
Die Anhänger von Pegida haben ein Recht, zu demonstrieren
Geißler: Also zunächst einmal halte ich die Infragestellung der Demonstrationen grundsätzlich für falsch. In Deutschland kann jeder demonstrieren, wofür er will und wogegen er will. Es ist ein Grundrecht, es ist ein heiliges Grundrecht, das einzige Grundrecht neben dem Wahlrecht, wo der Bürger zwischen den Wahlen zum Ausdruck bringen kann, ob er mit etwas einverstanden ist oder nicht. Also, die Pegida-Leute, egal, was sie nun vertreten, haben ein Recht darauf, zu demonstrieren.
Kassel: Aber dieses Recht macht ihnen ja niemand strittig. Auch die Politiker, die ich erwähnt habe, haben ja nur dazu aufgerufen in Anbetracht der Terroranschläge, die Demonstrationen auszusetzen. Verbieten kann und will ja niemand.
Geißler: Na gut, aber der Aufruf, was soll denn der nützen? Sie können den Leuten nicht den Mund verbieten, das geht nicht. Ich bin nicht auf deren Seite, damit Sie mich verstehen, nur ich finde, die Politik hat zurzeit den falschen Ansatz.
Es kann überhaupt nicht bestritten werden, dass es Gründe gibt, warum die Leute Angst haben. Wenn die jeden Tag die Zeitung aufschlagen oder das Fernsehen anschalten, dann sehen sie irgendwelche gräulichen Verbrechen, die im Namen des Islam begangen werden.
Das gilt für allem für den Islamischen Staat, das sind aber Islamisten, es sind Dschihadisten, da passiert das, was in Paris geschehen ist. Es sind Leute, die im Übrigen schon seit Monaten unter polizeilicher Überwachung stehen, und dass das trotzdem gemacht werden konnte, spricht nicht gerade für die französische Polizei.
Gleichzeitig entfesseln die politischen Parteien immer wieder eine Debatte über die Flüchtlinge in einer Zeit, in der tausende Menschen im Mittelmeer ertrinken, weil sie auf der Flucht sind.
Da kann man natürlich darüber debattieren, wann die wieder abgeschoben werden können, möglichst bald, wie es immer wieder heißt. Aber es ist doch psychologisch auch in den Augen der Menschen absurd, darüber zu debattieren, anstatt diejenigen auszuweisen, die ja die Quelle dieser Ängste sind. Und das sind eben die Islamisten, die Salafisten, die Dschihadisten, die Sympathisanten dieses islamischen Krieges, und es sind vor allem die Hassprediger.
Aber anstatt jetzt über die Bootsflüchtlinge neue Regeln zu erfinden, sollte die Politik alles tun, damit diese Leute ausgewiesen werden.
Kassel: Aber Sie wissen auch, Herr Geißler, dass wir zum Teil Ausweisungsprobleme, wenn man das so machen wollte, wie Sie es vorschlagen, hätten, weil wir reden natürlich von Menschen, die zum Teil die deutsche Staatsangehörigkeit haben.
Geißler: Ja, das ist auch wahr. Aber wenn sie die deutsche Staatsangehörigkeit haben, dann gibt es auch dafür eine gesetzliche Regelung, dann müssen sie eben vom Verfassungsschutz beobachtet werden und möglicherweise strafrechtlich belangt werden. Also diese Hassprediger, die machen sich ja strafbar. Das muss ja nur angewandt werden. Wir brauchen gar keine neuen Gesetze.
Kassel: Aber Sie haben gerade gesagt, Herr Geißler, die Politik macht da Fehler. Reden wir mal nicht über die Politik, sondern konkret auch über die Union. Hat die Union da zu viel Raum gelassen für zum Beispiel die Pegida, für die AfD? Haben Sie den Eindruck, die Union gerade auch erreicht, sagen wir mal, bürgerliche, rechtsdenkende Menschen nicht mehr?
Geißler: Also darüber ist auch schon diskutiert worden. Es gibt ja, glaube ich, keine Partei, die sich gegenüber diesen Demonstrationen noch eindeutiger geäußert hätte. Aber es ist eben das alte Problem, dass wir in der Politik – und das gilt auch für die CDU – so miteinander diskutieren, wie wir gerne hätten, dass die Leute es tun, es aber gar nicht machen können, weil sie gar nicht im Besitz der Informationen sind, zum Beispiel eben über die Unterschiede zwischen Islam und Islamismus.
Kassel: Aber sagen Sie denen ... Das haben Sie gerade gesagt, Herr Geißler, das verstehe ich: Die Leute haben diese Informationen nicht. Sie haben auch schon gesagt, die können wir ihnen irgendwie so schnell nicht geben – was heißt denn das? Ist das nicht auch ein Aufgeben, ist das nicht ein Sagen, na ja, die Leute haben diese Informationen nicht und damit müssen wir leben? Können wir ihnen diese Informationen nicht irgendwie geben?
Die Bürger brauchen Zeichen, dass die Politik handelt
Geißler: Nein. Sie müssen nur ein klares Zeichen bekommen, dass die Politik das tut, was sie tun kann, dass die Politik handelt, und wenn sie diese Zeichen bekommen, dann können die Leute sich auch sagen: Ja, die tun ja was, dann brauchen wir nicht auf die Straße
Zum Beispiel könnte in Deutschland längst das gemacht werden, was in Frankreich gemacht worden ist, nämlich diese Vollverschleierung mit der Burka verbieten. Das hat ganz klare Probleme, die damit verbunden sind, die mit der Gleichberechtigung der Frau zu tun haben, das ist die frauenfeindliche Einstellung bestimmter Bereiche im Islam.
Kassel: Herr Geißler, aber gerade in Frankreich, auch in Belgien, wo es ein solches Verschleierungsverbot ja auch gibt, hat das ja nicht gerade für ein friedliches Zusammenleben von Muslimen und Nicht-Muslimen gesorgt.
In Frankreich hat der Front National immer größeren Zulauf gefunden, in Frankreich haben wir die Attentate gerade erlebt. Glauben Sie, dass ein Verbot der Verschleierung sowohl die Ängste in Deutschland bekämpfen würde als auch die Terrorismusgefahr senken?
Die "kriminelle Seite" des Islam bekämpfen
Geißler: Ja, nun sind wir nicht Frankreich. In Frankreich haben wir Situationen in den Banlieues, in den Vororten von Paris zum Beispiel, die sind nicht zu vergleichen mit der Situation bei uns. Frankreich hat eine ganz andere Situation mit einem hohen Anteil von muslimischen Zuwanderern vor allem aus Nordafrika. Das kann man nicht vergleichen.
Ich rede ja auch nur davon, dass das getan wird, was getan werden kann. Es (gibt) doch überhaupt kein Grund, warum Deutschland nicht in der Lage sein sollte, es zu verbieten. Genauso darf es doch nicht sein, dass Gerichte bei uns in Deutschland anfangen und übernehmen islamisches Recht, Teile der Scharia, bei ihren Urteilen in Familiengerichtsstreitigkeiten oder Ehestreitigkeiten.
Den Leuten muss klar gesagt werden von der Politik: Die sind alle willkommen und wir wollen sie integrieren, aber das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ist nicht die Scharia, sondern das Grundgesetz.
Und wenn die Politik oder auch meine Partei mit diesen klaren Aussagen die Leute informiert und mit ihnen diskutiert und gleichzeitig sagt, hört auf mit den Diskussionen um die Flüchtlinge, es geht heute nicht um die Bootsflüchtlinge, und es geht nicht um die Zigeuner, nicht wahr, die ja auch immer im Mittelpunkt der Diskussion stehen, die echte Fluchtgründe haben, hört mal auf, jetzt in einer solchen Situation, wo tausende von Leuten ertrinken, das zum Hauptgegenstand der Auseinandersetzung zu machen, sondern bekämpft jetzt die kriminelle Seite, nicht wahr, dieses ganzen Bereiches mit den Mitteln, die dem Rechtsstaat zur Verfügung stehen, und dann wird damit auch allen Rechtsradikalen bei Pegida der Boden, da werden die Vorwände weg- und der Boden unter den Füßen entzogen.
Kassel: Sagt der CDU-Politiker Heiner Geißler. Herr Geißler, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Geißler: Bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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