Heiner Müller hören
Wer die Erst- oder Wiederbegegnung mit einem der bedeutendsten Nachkriegsdramatiker sucht, der kann sich in einen wahren Heiner Müller-Rausch hineinhören. Der Alexander Verlag hat Hördokumente von Müller auf vier CDs versammelt.
"Der Terror von dem ich schreibe, kommt nicht aus Deutschland, es ist ein Terror der Seele. Edgar Allen Poe. Der Terror von dem ich schreibe, kommt aus Deutschland."
Heiner Müllers Interesse galt den Glücklosen, jenen, die Opfer des politischen Terrors wurden und denen keine Zeit blieb, ihre Träume zu leben. Der Totenbeschwörer der deutschen Literatur, der auch international als legitimer Nachfolger von Bertolt Brecht und Samuel Beckett galt, hat in seinen Texten immer wieder den Dialog mit den Toten gesucht.
"Zum ersten Mal in der Weltgeschichte gibt es mehr Lebende als Tote. Die Lebenden die Majorität. Kultur ist immer auf Geschichte, auf die Toten bezogen."
Nicht die Perspektive der Sieger, sondern die der Besiegten interessierte Müller. Die Toten sollten hergeben, was mit ihnen begraben wurde. Diesen schonungslosen Blick auf die Geschichte teilte Müller mit Georg Büchner. Auf dessen Stück "Woyzeck" ging er 1985 in seiner Dankrede zur Verleihung des Georg-Büchner-Preises ein.
"Woyzeck ist die offene Wunde. Woyzeck lebt, wo der Hund begraben liegt. Der Hund heißt Woyzeck. Auf seine Auferstehung warten wir mit Furcht und/oder Hoffnung, dass der Hund als Wolf wiederkehrt. Der Wolf kommt aus dem Süden, wenn die Sonne im Zenit steht, ist er eins mit unserm Schatten. Beginnt in der Stunde der Weißglut Geschichte. Nicht eh Geschichte passiert ist, lohnt der gemeinsame Untergang im Frost der Entropie oder, politisch verkürzt, im Atomblitz, der das Ende der Utopien und der Beginn einer Wirklichkeit, jenseits des Menschen sein wird."
Auf vier CDs kann man nachhören, zu welchen Themen sich Heiner Müller in seinen letzten 23 Lebensjahren geäußert hat und welche Texte ihm wichtig waren. Zu den Hördokumenten, die von der Herausgeberin Kristin Schulz zusammengetragen wurden, zählen neben Interviews auch Mitschnitte von Lesungen, auf denen Heiner Müller eigene Texte las.
"Nämlich die Worte müssen rein bleiben. Denn ein Schwert kann zerbrochen werden und ein Mann kann auch zerbrochen werden, aber die Worte fallen in das Getriebe der Welt uneinholbar kenntlich machend die Dinge oder unkenntlich. Tödlich dem Menschen ist das Unkenntliche."
Zu entdecken ist er aber auch als Interpret, wenn er in seinem unverkennbar sachlich-kühlen Ton Texte von Edgar Allen Poe, Franz Kafka, John Berger, Danil Granin oder Jewgeni Jewtuschenkow vorträgt. 1990 erinnerte er im Deutschen Theater an Walter Benjamin.
"Woran einer seiner Stärke erkennt. An seinen Niederlagen. Wo wir erfolglos durch unsere Schwäche waren, da verachten wir uns und schämen uns ihrer. Worin wir aber stark sind, da verachten wir unsere Niederlage, da beschämen wir unser Missgeschick."
Obwohl Heiner Müller kein Brecht-Schüler war, hat er zu verschiedenen Zeiten immer wieder Brecht-Texte gelesen. In den bewegten Nachwendezeiten verstand sich Müllers Hinweis auf Brechts "Lesebuch für Städtebewohner" durchaus als zeitgeschichtlicher Kommentar und er war ein Beispiel für eingreifendes Denken.
" Lasst nur eure Hoffnungen fahren / dass ihr zu Präsidenten ausersehen seid. / Aber legt euch ordentlich ins Zeug. / Ihr müsst euch ganz anders zusammennehmen / dass man euch in der Küche duldet. Ihr müsst das ABC noch lernen / Das ABC heißt: / Man wird mit euch fertig werden. Denkt nur nicht nach, was ihr zu sagen habt: / Ihr werdet nicht gefragt. "
Heiner Müller ist mit Vorliebe unorthodoxe Denkwege gegangen. Welche Richtungen er dabei eingeschlagen hat, das ist nun aus den Tondokumenten zu erfahren, die eine schöne Ergänzung zu der gerade abgeschlossenen Ausgabe mit Heiner Müllers Werken bilden. Müller war im Gespräch ein Freund der leisen Töne – blinder Eifer war ihm fremd. Bestens verstand er sich auf feinste sarkastische Nuancen, mit denen er seine stets originellen Ausführungen zum Zeitgeschehen anreicherte.
Wenn man Müller hört, dann wird deutlich, wie wenig die Zeit seinen Texten anhaben konnte. Er ist hoch aktuell geblieben. Die Herausgeberin Kristin Schulz hat einzigartige Tondokumente gefunden und ein fast 200 seitiges Begleitbuch mit Kommentaren und Verweisen verfasst, das einen verlässlichen und über die Maßen hilfreichen Kompass darstellt, um im Müller-Hallraum nicht die Orientierung zu verlieren.
Besprochen von Michael Opitz
Heiner Müller: MÜLLER MP3. Tondokumente 1972–1995
Alexander-Verlag, Berlin und Köln 2011,
4 CDs, 78,00 Euro
Heiner Müllers Interesse galt den Glücklosen, jenen, die Opfer des politischen Terrors wurden und denen keine Zeit blieb, ihre Träume zu leben. Der Totenbeschwörer der deutschen Literatur, der auch international als legitimer Nachfolger von Bertolt Brecht und Samuel Beckett galt, hat in seinen Texten immer wieder den Dialog mit den Toten gesucht.
"Zum ersten Mal in der Weltgeschichte gibt es mehr Lebende als Tote. Die Lebenden die Majorität. Kultur ist immer auf Geschichte, auf die Toten bezogen."
Nicht die Perspektive der Sieger, sondern die der Besiegten interessierte Müller. Die Toten sollten hergeben, was mit ihnen begraben wurde. Diesen schonungslosen Blick auf die Geschichte teilte Müller mit Georg Büchner. Auf dessen Stück "Woyzeck" ging er 1985 in seiner Dankrede zur Verleihung des Georg-Büchner-Preises ein.
"Woyzeck ist die offene Wunde. Woyzeck lebt, wo der Hund begraben liegt. Der Hund heißt Woyzeck. Auf seine Auferstehung warten wir mit Furcht und/oder Hoffnung, dass der Hund als Wolf wiederkehrt. Der Wolf kommt aus dem Süden, wenn die Sonne im Zenit steht, ist er eins mit unserm Schatten. Beginnt in der Stunde der Weißglut Geschichte. Nicht eh Geschichte passiert ist, lohnt der gemeinsame Untergang im Frost der Entropie oder, politisch verkürzt, im Atomblitz, der das Ende der Utopien und der Beginn einer Wirklichkeit, jenseits des Menschen sein wird."
Auf vier CDs kann man nachhören, zu welchen Themen sich Heiner Müller in seinen letzten 23 Lebensjahren geäußert hat und welche Texte ihm wichtig waren. Zu den Hördokumenten, die von der Herausgeberin Kristin Schulz zusammengetragen wurden, zählen neben Interviews auch Mitschnitte von Lesungen, auf denen Heiner Müller eigene Texte las.
"Nämlich die Worte müssen rein bleiben. Denn ein Schwert kann zerbrochen werden und ein Mann kann auch zerbrochen werden, aber die Worte fallen in das Getriebe der Welt uneinholbar kenntlich machend die Dinge oder unkenntlich. Tödlich dem Menschen ist das Unkenntliche."
Zu entdecken ist er aber auch als Interpret, wenn er in seinem unverkennbar sachlich-kühlen Ton Texte von Edgar Allen Poe, Franz Kafka, John Berger, Danil Granin oder Jewgeni Jewtuschenkow vorträgt. 1990 erinnerte er im Deutschen Theater an Walter Benjamin.
"Woran einer seiner Stärke erkennt. An seinen Niederlagen. Wo wir erfolglos durch unsere Schwäche waren, da verachten wir uns und schämen uns ihrer. Worin wir aber stark sind, da verachten wir unsere Niederlage, da beschämen wir unser Missgeschick."
Obwohl Heiner Müller kein Brecht-Schüler war, hat er zu verschiedenen Zeiten immer wieder Brecht-Texte gelesen. In den bewegten Nachwendezeiten verstand sich Müllers Hinweis auf Brechts "Lesebuch für Städtebewohner" durchaus als zeitgeschichtlicher Kommentar und er war ein Beispiel für eingreifendes Denken.
" Lasst nur eure Hoffnungen fahren / dass ihr zu Präsidenten ausersehen seid. / Aber legt euch ordentlich ins Zeug. / Ihr müsst euch ganz anders zusammennehmen / dass man euch in der Küche duldet. Ihr müsst das ABC noch lernen / Das ABC heißt: / Man wird mit euch fertig werden. Denkt nur nicht nach, was ihr zu sagen habt: / Ihr werdet nicht gefragt. "
Heiner Müller ist mit Vorliebe unorthodoxe Denkwege gegangen. Welche Richtungen er dabei eingeschlagen hat, das ist nun aus den Tondokumenten zu erfahren, die eine schöne Ergänzung zu der gerade abgeschlossenen Ausgabe mit Heiner Müllers Werken bilden. Müller war im Gespräch ein Freund der leisen Töne – blinder Eifer war ihm fremd. Bestens verstand er sich auf feinste sarkastische Nuancen, mit denen er seine stets originellen Ausführungen zum Zeitgeschehen anreicherte.
Wenn man Müller hört, dann wird deutlich, wie wenig die Zeit seinen Texten anhaben konnte. Er ist hoch aktuell geblieben. Die Herausgeberin Kristin Schulz hat einzigartige Tondokumente gefunden und ein fast 200 seitiges Begleitbuch mit Kommentaren und Verweisen verfasst, das einen verlässlichen und über die Maßen hilfreichen Kompass darstellt, um im Müller-Hallraum nicht die Orientierung zu verlieren.
Besprochen von Michael Opitz
Heiner Müller: MÜLLER MP3. Tondokumente 1972–1995
Alexander-Verlag, Berlin und Köln 2011,
4 CDs, 78,00 Euro