Frage in einer Fernsehtalkshow an Heiner Müller: "Nach der Wende gab es doch viele Probleme. Leute verloren ihre Arbeit. Manche haben sich sogar umgebracht."
Antwort Heiner Müller: "Ja, aber es gab auch negative Entwicklungen."
"Ich sage alles, nur nicht was ich denke"
Zum 90. Geburtstag Heiner Müllers ist jetzt ein Band mit Anekdoten über den Dichter, Denker und Regisseur erschienen. Theaterkritiker Thomas Irmer hat Geschichten über und um Müller versammelt – wir haben mit Thomas Irmer darüber gesprochen.
Schon zu Lebzeiten wurden über Heiner Müller gern und oft Anekdoten erzählt, "häufig auch über seine Schlagfertigkeit und seine verblüffende Urteilskraft in vielen Situationen." Müller sei, so Irmer, "schon zu Lebzeiten ein Quell von Anekdoten" gewesen.
"Er hat sich sehr viel in dieser Kurzform der unpersönlichen Erzählung geäußert. Das waren natürlich Witze … und sehr viele Zitate, die er wie einen Riesenwerkzeugkasten immer bei sich hatte und die er zu unterschiedlichsten Gelegenheiten herausholen konnte und die meistens etwas treffend Witziges hatten. Man hatte den Eindruck, er erzählt nicht unbedingt was von sich selbst oder was er denkt. Aber es kommt um die Ecke und es konnte treffender sein, als wenn er gesagt hätte ‚Ich finde das so und so.‘ Und: Es hatte natürlich auch eine Kommunikation, die den Dabeiseienden herausforderte, weil man sich sofort einen Reim darauf machen musste, warum er diese Geschichte jetzt erzählt."
Da Müller selbst das Anekdotenerzählen als eine "Form des gesellschaftlichen Verkehrs" verstanden hat – besonders gegen Lebensende, als Müller Probleme hatte, ein neues Stück zu schreiben, einer Zeit, in der Müller vielen eher "als jemand, der mit einem Whiskey-Glas in der Talkshow sitzt und nur Sachen erzählt, die ihm gerade durch den Kopf gehen" erschien, war für Thomas Irmer Anlass, die besten dieser Geschichten in einem Buch zu versammeln.
Manche Äußerungen, wie "Ich sage alles, nur nicht was ich denke" – lassen sich auf einen einzigen Satz reduzieren. "Das ist so verblüffend, so paradox. Das Paradoxe ist eigentlich oft das, was die Energie in diesen Äußerungen ist."
Manche Äußerungen, wie "Ich sage alles, nur nicht was ich denke" – lassen sich auf einen einzigen Satz reduzieren. "Das ist so verblüffend, so paradox. Das Paradoxe ist eigentlich oft das, was die Energie in diesen Äußerungen ist."
Höhepunkt in den 80er-Jahren
Als Dramatiker hätte Heiner Müller, so Thomas Irmer, den Höhepunkt in den 80er-Jahren gehabt, mit 300 Inszenierungen pro Jahr, den absoluten Höhepunkt 1989 mit 500. Heute gibt es pro Jahr 30 Neu-Inszenierungen. "Das entspricht dem Status eines modernen Klassikers". Aber welche Texte von Müller sind heute noch aktuell?
"Das sind offene Textsysteme"
"Was die Texte betrifft da gibt’s auffällig die Beschäftigung mit dem Stück ‚Der Auftrag‘ – einem Stück, in dem das Thema Postkolonialismus neu verortet werden kann. Auch wenn das Stück schon 40 Jahre alt ist. Es gibt die ‚Hamletmaschine‘, und dann eine bestimmte Art von Monologen, die sich in ihrer Bedeutung ständig wandeln, wie ‚Der Mann im Fahrstuhl‘ oder ‚Die Bildbeschreibung‘. Das sind offene Textsysteme, die sich immer wieder einen neuen Kontext schaffen können, und wo auch jüngere Künstler plötzlich was drin entdecken – da ist der Evergreen nicht das, was man gern von früher erinnert, sondern was man heute mit den Texten machen kann."
Thomas Irmer: "Heiner Müller: Anekdoten"
Verlag Theater der Zeit, 10 Euro für 1010 Seiten
Für die kommende Auflage werden die Leser gebeten, eigene Anekdoten beizusteuern, an den Verlag zu schicken – die dann aufgenommen werden.
Am kommenden Mittwoch, 9. Januar, dem 90. Geburtstag von Heiner Müller, wird die Internationale Heiner Müller Gesellschaft im Deutschen Theater einen Abend mit Heiner Müllers Stück "Die Umsiedlerin" und anderen Texten veranstalten. Gelesen auf sächsisch. Mit dabei Corinna Harfouch.