Heinrich Heine - ein künftiger deutscher Dichter

Von SAID · 11.02.2006
Für Heinrich Heine war Deutschland eine Wunde, die sich nie schloss. Er trug sie am Revers. Seine Wunde ist die der hoffnungslosen Liebe zu Deutschland. Diese Liebe wurde nie erwidert – ein sehr deutsches Schicksal. Heine liebte sein Vaterland - allerdings nach seiner Fasson.
Für Heinrich Heine war Deutschland eine Wunde, die sich nie schloss. Er trug sie am Revers. Seine Wunde ist die der hoffnungslosen Liebe zu Deutschland. Diese Liebe wurde nie erwidert – ein sehr deutsches Schicksal. Heine liebte sein Vaterland – allerdings nach seiner Fasson. Aber Vaterländer kann man nur so lieben, denn sonst wachsen sie über unsere Köpfe hinaus, mutieren zu einem Moloch und zertrampeln alles.

"Wer überwindet, gewinnt", sagt Mephisto. Überwindung als eine adäquate Art, Deutschland zu lieben? Heine wehrte sich dagegen und bezahlte seine Weigerung teuer. Er liebte Deutschland, nicht aber den Staat, somit war er ein Verräter. Das Vaterland ist für Heine immer ein Fragment geblieben. Auch deswegen erntet er bis heute Hass in Deutschland.

Dennoch, Heine ist ein sehr deutscher Dichter, der zugleich - vielleicht gerade deswegen – zur Welt und zur Weltliteratur gehört. Seine Gedichte verdeckten nicht, sie deckten auf, meist die Bruchstücke der deutschen Seele - litt er doch selbst so sehr darunter.

Was hat Deutschland Heine nie verziehen? Dass er Jude war? Dass er aufmüpfig war? Dass er Aufklärer und Romantiker zugleich war? Aufklärer ohne Erbsenzählerei, aber mit Seele? "Selten habt ihr mich verstanden/ selten auch verstand ich euch;/ nur wenn wir im Kot uns fanden,/so verstanden wir uns gleich."

In seinem großen Gedicht "Nachtgedanken" rechnet er aus dem Pariser Exil mit seinem Deutschland ab. Er zählt seine Liebe zu Deutschland und alle Fasern dieser Liebe auf und endet: "Gottlob! durch meine Fenster bricht/ französisch heitres Tageslicht;/es kommt mein Weib, schön wie der Morgen,/und lächelt fort die deutschen Sorgen."

Um in Deutschland geliebt zu sein, hatte Heine zu viele Brüche. Diese oszillierten zwischen Melancholie und Heiterkeit. Hier war kein Platz für die bierernste deutsche Verbitterung. Nicht einmal Karl Kraus hat das begriffen. Wie kann man leiden, ohne seine Heiterkeit einzubüßen? Heine konnte: "Und als ich euch meine Schmerzen geklagt,/ da habt ihr gegähnt und nichts gesagt;/ doch als ich sie zierlich in Verse gebracht,/da habt ihr mir große Elogen gemacht."

Hätte Heine überhaupt unter den Deutschen leben können? War er nicht zu frei dafür? Hätte die deutsche Lebensordnung ihm seinen Sinn für Schönheit nicht gänzlich verekelt? Jenen Sinn für die Schönheit, der nur in einer Symbiose mit der Freiheit blühte. Er liebte die Deutschen, wenn sie brannten. Wenn sie aber vor sich hinfaulten und ihre Großmannssucht entfalteten, dann verachtete Heine sie. "Die Mission der Deutschen in Paris scheint es zu sein, mich vor Heimweh zu bewahren."

Doch geträumt hat er immer von "seinem" Deutschland. Einige dieser Träume sind meisterlich verwoben in seinem großen Gedicht "Deutschland. Ein Wintermärchen"; diese sind immer noch nicht eingelöst. Heinrich Heine ist ein künftiger deutscher Dichter. "Glück ist eine leichte Dirne", schrieb der Melancholiker, der gerne spottete und doch so verletzlich blieb. Er litt oft an seinem deutschen Herz und rettete sich in seine französische Seele. Dann schrie er hinaus: "Ich bin ein Wolf geblieben." Ein Wolf, der in der Wunde der Mitwölfe wühlt, bis heute.

Ich bin sicher, auch zu seinem runden Todestag verlässt Heinrich Heine ruhig seine Wohnung in der Rue d'Amsterdam 50, schlendert gelassen zum Boulevard Montparnass, setzt sich in ein Café, nippt an seinem Glas und mokiert sich über die Deutschen – und die anderen – die jetzt über ihn Elogen schreiben. Er braucht sie nicht, sie aber ihn. Denn seine Zeit kommt immer mit einer Revolte. 1968 taufte die Studentenrevolte spontan die Universität Düsseldorf in "Heinrich-Heine-Universität" um. Inzwischen heißt diese offiziell so. Der Exilierte kehrte heim – mit einer Revolte.


Said, geboren 1947 in Teheran, lebt seit 1965 in München. Sein literarisches Werk wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter der Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis (1991), der Premio Letterario Internazionale "Jean Monnet" (1994) und der Preis der Stadt Heidelberg "Literatur im Exil" (1996). Für sein politisches Engagement und seinen persönlichen Einsatz für verfolgte und inhaftierte Schriftsteller wurde Said 1997 die Hermann-Kesten-Medaille verliehen; im selben Jahr war er Stipendiat der Villa Aurora in Los Angeles. Im März erhält er in Weimar die Goethe-Medaille.