Heinrich Steinfest: "Der schlaflose Cheng"
Piper, München 2019
288 Seiten, 16 Euro
Wahrheitssuche um fünf Uhr morgens
03:43 Minuten
Nach zehn Jahren Pause ist Cheng zurück. Der Detektiv ermittelt in einem Mordfall und soll die Unschuld eines Synchronsprechers beweisen. Stil und Tempo von Heinrich Steinfests poetischem Krimi werden auch von Chengs Schlaflosigkeit bestimmt.
Lauscher ist tot. Noch vor dem "Stück am Anfang", als 0. Kapitel bezeichnet, verrät dies die zweite Widmung in Heinrich Steinfests "Der schlaflose Cheng":
"Und im Andenken an den Hund Lauscher, der eine solche Widmung wohl für so was von unnötig gehalten hätte."
Jener schlappohrige Hund, der so oft an der Seite des einarmigen Wiener Detektivs Markus Cheng war, lebt also nicht mehr. Nur noch ein Schatten ist übrig von ihm, den manche Menschen sehen können.
Ist ein Synchronsprecher der Mörder?
Nicht nur Lauscher fehlt. Die gesamte Ersatzfamilie, die Cheng in den vorherigen vier Romanen um sich versammelt hat, ist zusammengeschrumpft. Und der Detektiv selbst verspürt eine tiefe Müdigkeit, die nicht nur mit seiner Schlaflosigkeit zusammenhängt, die ihn jeden Morgen gegen fünf Uhr aus dem Bett treibt. Mit seinen 55 Jahren scheint er, der Wahrheitssuche allmählich müde zu werden.
Dann wird der Schauspieler Andrew Wake ermordet aufgefunden. Als Täter wird dessen deutscher Synchronsprecher Peter Polnitz verhaftet und verurteilt, eine Urlaubsbekanntschaft von Cheng. Das treibt Cheng noch nicht zu Nachforschungen, vielmehr taucht Polnitz-Tochter Lis Bischof in seinem Wiener Büro auf und bittet ihn um Hilfe. Er soll die Unschuld ihres Vaters beweisen, damit er aus dem Gefängnis kommt. Also beginnt Cheng eine weitere Suche nach der Wahrheit, die ihn über England bis nach Island und Schottland führen wird.
Poetische Detektivgeschichte
Die Detektivgeschichte, so zitiert Cheng an einer Stelle G. K. Chesterton, sei "die bis jetzt einzige Form volkstümlicher Literatur (…), in welcher sich ein gewisser Sinn für den poetischen Gehalt des modernen Lebens ausdrückt". Seit "Cheng", dem ersten Roman um den Wiener Detektiv aus dem Jahr 1999, perfektioniert Heinrich Steinfest diese Form der poetischen Detektivgeschichte. Deshalb sinniert auch in "Der schlaflose Cheng" seine Hauptfigur im stets gut geschnittenen und perfekt sitzenden Anzug über die verflossene Liebe zum Alkohol, vom "Virus des Literarischen und Fiktionalen" und das Leben an sich.
Chengs Schlaflosigkeit bestimmt Stil und Tempo: Es ist eine leise Müdigkeit, eine sanfte Lethargie, mit der er durch sein Leben und der Auflösung des Falls entgegentreibt. Eine Tulpenblüte wird eine Rolle spielen, ebenso ein Buch über Pilze, die vom Planeten Yuggoth stammen, den einst H. P. Lovecraft erfunden hat.
Mit Cheng treibt auch der Leser durch den Fall und die zahlreichen Exkurse zu der Wahrheit, der Literatur und dem Leben, die sich sanft in die Geschichte einbetten. Niemals entgleitet Heinrich Steinfest trotz aller Überlegungen, absurder Wendungen und Anspielungen auf literarische Werke und Filme seine Geschichte. Vielmehr ist "Der schlaflose Cheng" ein traumwandlerisch sicherer Roman, der noch einmal die Ausnahmestellung Markus Chengs und seines Autors in der deutschsprachigen Kriminalliteratur unterstreicht.