Heinz Bude, geboren 1954, ist Professor für Soziologe an der Universität Kassel. Zuvor leitete er den Arbeitsbereichs "Politik und Gesellschaft der alten und neuen Bundesrepublik" am Hamburger Institut für Sozialforschung. Bude gehört zu den Initiatoren der Charta der Digitalen Grundrechte der Europäischen Union, die Ende November 2016 veröffentlicht wurde. Er ist Autor zahlreicher Bücher, zuletzt erschien "Adorno für Ruinenkinder – Eine Geschichte von 1968".
Die Gelbwesten und der Rückzug auf das "Wir"
Wohin steuert Frankreich mit der Gelbwesten-Bewegung? Der Soziologe Heinz Bude sieht den parallel wachsenden Antisemitismus mit Besorgnis. Sagt aber: Judenfeindlichkeit habe die Geschichte der französischen Republik seit der Dreyfus-Affäre immer begleitet.
Frankreich ist in Aufruhr. Viele Bürger haben den Antisemitismus der Gelbwesten satt. Dieser tritt nach jüngsten Angriffen auf den französischen Philosophen Alain Finkielkraut immer stärker zutage. Frankreichs Premierminister Edouard Philippe sagte, Antisemitismus sei "sehr tief in der französischen Gesellschaft verankert". Unter dem Motto "Es reicht" ("Ça suffit!") wollen Vertreter fast aller französischen Parteien am heutigen Dienstagabend bei Kundgebungen in mehreren Städten ein Zeichen setzen.
Auch der Soziologe Heinz Bude hält die Entwicklung in Frankreich für besorgniserregend und gefährlich. Hat sich die Gelbwesten-Bewegung nun endgültig diskreditiert? "Klar ist, dass sie außerordentlich ambivalent ist", sagte Bude. Die Bewegung bringe Menschen zusammen, die vorher keine Stimme gehabt hätten und die sich nun auf drastische Weise Gehör verschafften. "Wenn jemand sagt, du, Macron, hast nur Europa im Blick und vergisst uns, dann ist das ein wichtiger Punkt – den Macron ernst genommen hat, mittlerweile."
Das furchtbare Thema des Antisemitismus
Doch sei dies – der Rückzug auf das "Wir", – zugleich auch etwas sehr Gefährliches. "Und immer, wenn es um das eigentliche ‚Wir‘ geht – es tut mir leid –, dann kommen die Juden ins Spiel, weil sie nicht zu dem eigentlichen ‚Wir‘ gehören. Das ist das furchtbare Thema des Antisemitismus."
Von etlichen Juden habe er in letzter Zeit immer wieder den Satz gehört oder gelesen: "Frankreich ist ein gefährlicher Ort für uns gewesen." Es sei deshalb nicht einfach ein Zufall, dass es dort derzeit so viele antisemitische Angriffe gebe.
Deutlich mehr antisemitische Straftaten in Frankreich
Erhebungen zufolge ist die Zahl antisemitischer Straftaten in Frankreich im Vergleich zu 2017 um 74 Prozent gestiegen. Bude sagte weiter: Abgesehen davon, dass man auch in Deutschland wieder sehr auf der Hut sein müsse vor aufkeimendem Antisemitismus, zeige die Geschichte der französischen Republik, dass es dort – angefangen mit der Dreyfus-Affäre, Ende des 19. Jahrhunderts, immer wieder "das Problem mit den jüdischen Intellektuellen, mit den jüdischen Mitbürgern gehabt hat".
Mit Blick auf linke französische Intellektuelle wie Didier Eribon und Édouard Louis und ihre Sympathiebekundungen für die Gelbwesten, sagte Bude: Didier Eribon hasse die neuen Sozialdemokraten – "die sagen, Sozialdemokratie heißt, den Einzelnen zu stärken, heißt, auch Veränderungen des Wohlfahrtsstaates vorzunehmen".
Zerstörerischer Furor
Der Soziologe sagte weiter: Er nehme überall in Europa einen Furor wahr – eine Tendenz, alles zu zerstören, was man als Ergebnis einen Neo-Liberalismus betrachte, "um damit irgendwie wieder frische Luft zu schaffen, freien Raum herzustellen". Das finde man auch in Deutschland in Bewegungen wie beispielsweise Pegida.
Die Frage sei nun, wie es zu schaffen sei, "diesen zerstörerischen Impuls wieder zu binden und zu sagen: Zukunft ist nicht nur eine Drohung, sondern Zukunft ist auch eine Möglichkeit… und wie kann man eigentlich Zukunft wiedergewinnen, die eine ‚Wir‘-Dimension hat"?
Intellektuelle wie Eribon und Louis würden ein derzeit allgegenwärtiges Gefühl der Schutzlosigkeit aufgreifen, wenn sie als Befürworter der Gelbwesten aufträten. "Das hat etwas Blauäugiges", meint Bude, der Eribon auch persönlich kennt. "Das hat etwas hemmungslos Sentimentales." Persönlich schätze er Éribon und Louis sehr, "aber politisch und intellektuell kann man das nicht wirklich ernst nehmen."
(mkn)
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