Heinz Strunk: Der goldene Handschuh
Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2016
256 Seiten. 19,95 Euro
Empathisches Porträt eines Erniedrigten
"Der goldene Handschuh" heißt eine 24-Stunden-Kaschemme auf St. Pauli, in der Heinz Strunk seinen gleichnamigen Roman spielen lässt. So traurig seine Geschichte rund um den Serienmörder Fritz Honka auch ist: Strunk macht daraus ein urkomisches Meisterstück.
Vor Jahrzehnten war es Hubert Fichte, der auf der Hamburger Reeperbahn den Außenseitern oder den Prostituierten lauschte und deren Lebensgeschichten zu Romanen wie etwa "Die Palette" verdichtete. "Die Palette" war die Geschichte eines Kellerlokals. Etwas Ähnliches, die Geschichte einer 24-Stunden-Kaschemme auf St. Pauli und ihrer Gäste, legt nun Heinz Strunk vor: "Der Goldene Handschuh". Ein Lokal mit dem Charme der Vorhölle, in dem sich in den 1970er-Jahren allerlei gescheiterte Existenzen versammeln und – man kann es leider nicht anders sagen – langsam aber sicher am Tresen im "Sturz-" bzw. "Schmiersuff" vergammeln. Ein Laden, in dem "Fako" die Abkürzung für "Fanta-Korn" und "Klötenköhm" das Synonym für Eierlikör ist. Und Huren, das sind im Kiez-Jargon schlicht "Wegsteckhühner".
Ein hartes Soziotop mit "lauter durchgeorgelten Gestalten". Strunk führt es uns vor Augen: Da ist "Soldaten-Norbert", der nicht darüber hinwegkommt, dass er vom SS-Mann zum Müllmann abgestiegen ist. Dem Alkohol verfallen genauso wie die "Säberalmas", die "nachkriegsknochigen" Frauengerippe, denen der Speichel aus den Mundwinkeln trieft und die ebenso zum Bodensatz der Gesellschaft zählen wie "die Schimmligen" und der schiefgesichtige Nachtwächter, den sie hier alle nur "Fiete" nennen. Diesen unansehnlichen Kerl gab es wirklich. Er hieß Fritz Honka und suchte sich in dieser Spelunke, dem "Goldenen Handschuh", seine weiblichen Opfer, die er mit zu sich nach Hause nahm (was in der Sprache des Milieus "eine Titte mitschnacken" heißt).
Strunk: "Jeder Mensch hat seinen Zerreißpunkt"
Ein Serienmörder als Hauptfigur, ein Würger, der sich als Jack-the-Ripper-redivivus begriff, das legt die Vermutung nahe, wir hätten es bei diesem schmalen Buch mit einen Kriminalroman zu tun. Aber um die Verbrechen des vor 40 Jahren eher zufällig seiner grausamen Taten überführten Honka geht es nur am Rande. Vielmehr porträtiert ihn Strunk als lebenslang vom Pech verfolgte Gestalt, nicht als Monster oder Bestie, sondern als Mensch, dem ein psychiatrisches Gutachten "schwere seelische Abartigkeit" attestierte.
Mit ungeheurer Empathie porträtiert er diesen vom Schicksal Erniedrigten und Beleidigten, schildert sein Leben als eine lange Kette von Demütigungen, ohne damit etwas von dem zu entschuldigen, wofür er sich vor Gericht zu verantworten hatte. "Jeder Mensch hat seinen Zerreißpunkt", schreibt Strunk. Wo der von Honka gelegen haben mag, das versucht Strunk herauszufinden. Parallel dazu erzählt er die Geschichte des ebenfalls deformierten (fiktiven) Reeder-Sohns Wilhelm Heinrich von Dohren, wie Fritz Honka ein dem eigenen Sexualtrieb ausgelieferter, notgeiler Unterleibeigener, der sich im "Goldenen Handschuh" zulaufen lässt – Elend gibt es schließlich genauso auch ganz oben.
Mit einem absoluten Gehör für delirante Dialoge hat Heinz Strunk einen brillanten, atmosphärisch hackendichten Roman geschrieben und das Meisterstück vollbracht, eine todtraurige Geschichte urkomisch zu erzählen. Bei Joseph Conrad hieß es im "Herz der Finsternis": "the horror, the horror". Der Schrecken, von dem Heinz Strunk in "Der goldene Handschuh" erzählt, ist nicht minder groß. Und doch lautet die Losung hier: "the humour, the humour".