Heiraten mit Köpfchen
Gegenentwürfe zur althergebrachten Versorgungsehe gibt es seit der Französischen Revolution. Die Autorin hat sich in der Geistes- und Literaturgeschichte nach erfolgversprechenden Beziehungsmodellen umgeschaut.
Als Versorgungsinstitution hat sie ausgedient, unauflösbar ist sie auch längst nicht mehr, trotzdem wird sie von drei Viertel der jungen Menschen angestrebt: die Ehe.
Die heutigen Voraussetzungen für eine gelungene Ehe haben einst radikale Reformer aufgestellt: gemeinsame Interessen, Gleichberechtigung, Berufstätigkeit beider Partner – und Liebe als Hochzeitsgrund. Wobei – schreibt Hannelore Schlaffer – das ein Gefühl mit langer Tradition, aber geringer Zuverlässigkeit ist. Die Stuttgarter Literaturwissenschaftlerin Schlaffer ist der intellektuellen Ehe auf der Spur, einem der großen Projekte der Moderne. Heute ist dieses Experiment längst zum "Lebensstil" geworden, und "die intellektuelle Ehe ist in die serielle Monogamie übergegangen".
Höchste Zeit also, sich auf die Vorläufer zu besinnen, vielleicht ja auch aus deren Konzepten und Fehlern zu lernen. Schließlich braucht es für eine glückliche Ehe nicht nur, wie man von Loriot weiß, eine, die ein bisschen blind und einen, der ein bisschen taub ist. Geschichtsbewusstsein kann nicht schaden, auch wenn die "Geschichte der intellektuellen Ehe, nicht gerade eine Geschichte des Glücks" ist.
Gegenentwürfe zur althergebrachten Ehe gab es seit der französischen Revolution. Die Autorin verfolgt in ihrem klugen Buch romantische Vorläufer wie Friedrich Schlegel und dessen Schwägerin Caroline Schlegel-Schelling, porträtiert den Heidelberger Kreis um Max und Marianne Weber ebenso wie die Münchner Bohème Anfang des 20.Jahrhunderts. Und natürlich widmet sie ein umfangreiches Kapitel dem Paar, das den Umschlag ziert und das paradigmatisch für eine intellektuelle Verbindung steht: Simone de Beauvoir und Jean Paul Sartre.
Deren Vertrag auf lebenslange, aber nicht sexuelle Treue war lange Vorbild für eine Paarbindung der freiwilligen Art. Dass das nicht nur harmonisch ablief, dass vor allem die anderen Liebespartnerinnen und -partner darunter litten, das weiß man spätestens, seit die beiden Philosophen gestorben sind, und seit der Veröffentlichung des Briefwechsels der beiden Heroen. Hannelore Schlaffer interessiert sich hier jedoch weniger für die Opfer als für die Konstruktion dieses Liebespaktes – ebenso wie sie Bertolt Brecht und dessen "intellektuelle Polygamie" vor allem unter Funktionsgesichtspunkten betrachtet.
Spannender sind die Kapitel über den Heidelberger Kreis um Achim von Arnim und Clemens Brentano während der Romantik. Die Leidenschaften, die dort kursierten, führten das Programm der partnerschaftlichen Ehe an die Grenzen. Denn offenbar war es leichter, dass "zwei Köpfe zusammenpassten als zwei Körper". Eifersucht und Untreue waren nur da unproblematisch, wo Ehen nicht aus Liebe, sondern aus Konvention geschlossen wurden. Die Aristokratie brauchte deswegen keine neuen Ehe-Modelle. Vita Sackville-West etwa, die – auch erotische – Freundin Virginia Woolfs, musste sich nicht damit herumschlagen. Die bürgerlichen Reformer und ihre Nachfahren hatten es schwerer.
Neben den realen Paarmodellen sind vor allem auch die literarischen aufschlussreich. Deswegen bekommt man in diesem materialreichen Band auch viele Lektüre-Hinweise und -Interpretationen: Fontanes Roman "L’Adultera’, George Elliots ‚Middlemarch", nicht zu vergessen die Ehestiftungsgeschichten der Jane Austen. Schließlich muss man erst einmal den Richtigen oder die Richtige finden, um das Ehe-Experiment zu wagen.
Besprochen von Manuela Reichart
Hannelore Schlaffer: Die intellektuelle Ehe - Der Traum vom Leben als Paar
Hanser Verlag, München 2011
224 Seiten, 18,90 Euro
Die heutigen Voraussetzungen für eine gelungene Ehe haben einst radikale Reformer aufgestellt: gemeinsame Interessen, Gleichberechtigung, Berufstätigkeit beider Partner – und Liebe als Hochzeitsgrund. Wobei – schreibt Hannelore Schlaffer – das ein Gefühl mit langer Tradition, aber geringer Zuverlässigkeit ist. Die Stuttgarter Literaturwissenschaftlerin Schlaffer ist der intellektuellen Ehe auf der Spur, einem der großen Projekte der Moderne. Heute ist dieses Experiment längst zum "Lebensstil" geworden, und "die intellektuelle Ehe ist in die serielle Monogamie übergegangen".
Höchste Zeit also, sich auf die Vorläufer zu besinnen, vielleicht ja auch aus deren Konzepten und Fehlern zu lernen. Schließlich braucht es für eine glückliche Ehe nicht nur, wie man von Loriot weiß, eine, die ein bisschen blind und einen, der ein bisschen taub ist. Geschichtsbewusstsein kann nicht schaden, auch wenn die "Geschichte der intellektuellen Ehe, nicht gerade eine Geschichte des Glücks" ist.
Gegenentwürfe zur althergebrachten Ehe gab es seit der französischen Revolution. Die Autorin verfolgt in ihrem klugen Buch romantische Vorläufer wie Friedrich Schlegel und dessen Schwägerin Caroline Schlegel-Schelling, porträtiert den Heidelberger Kreis um Max und Marianne Weber ebenso wie die Münchner Bohème Anfang des 20.Jahrhunderts. Und natürlich widmet sie ein umfangreiches Kapitel dem Paar, das den Umschlag ziert und das paradigmatisch für eine intellektuelle Verbindung steht: Simone de Beauvoir und Jean Paul Sartre.
Deren Vertrag auf lebenslange, aber nicht sexuelle Treue war lange Vorbild für eine Paarbindung der freiwilligen Art. Dass das nicht nur harmonisch ablief, dass vor allem die anderen Liebespartnerinnen und -partner darunter litten, das weiß man spätestens, seit die beiden Philosophen gestorben sind, und seit der Veröffentlichung des Briefwechsels der beiden Heroen. Hannelore Schlaffer interessiert sich hier jedoch weniger für die Opfer als für die Konstruktion dieses Liebespaktes – ebenso wie sie Bertolt Brecht und dessen "intellektuelle Polygamie" vor allem unter Funktionsgesichtspunkten betrachtet.
Spannender sind die Kapitel über den Heidelberger Kreis um Achim von Arnim und Clemens Brentano während der Romantik. Die Leidenschaften, die dort kursierten, führten das Programm der partnerschaftlichen Ehe an die Grenzen. Denn offenbar war es leichter, dass "zwei Köpfe zusammenpassten als zwei Körper". Eifersucht und Untreue waren nur da unproblematisch, wo Ehen nicht aus Liebe, sondern aus Konvention geschlossen wurden. Die Aristokratie brauchte deswegen keine neuen Ehe-Modelle. Vita Sackville-West etwa, die – auch erotische – Freundin Virginia Woolfs, musste sich nicht damit herumschlagen. Die bürgerlichen Reformer und ihre Nachfahren hatten es schwerer.
Neben den realen Paarmodellen sind vor allem auch die literarischen aufschlussreich. Deswegen bekommt man in diesem materialreichen Band auch viele Lektüre-Hinweise und -Interpretationen: Fontanes Roman "L’Adultera’, George Elliots ‚Middlemarch", nicht zu vergessen die Ehestiftungsgeschichten der Jane Austen. Schließlich muss man erst einmal den Richtigen oder die Richtige finden, um das Ehe-Experiment zu wagen.
Besprochen von Manuela Reichart
Hannelore Schlaffer: Die intellektuelle Ehe - Der Traum vom Leben als Paar
Hanser Verlag, München 2011
224 Seiten, 18,90 Euro