Heiße Affäre in Assisi
Wie zwei Menschen darauf reagieren, wenn sie miteinander alt werden, ihre Sehnsucht nach Liebe aber nicht ausreichend zu stillen vermögen, davon erzählt Bodo Kirchhoff in diesem Roman. Leider führt er den Leser in ein allzu saturiertes Milieu - Geld spielt keine Rolle -, bietet aber dennoch ein großes Lesevergnügen.
Mit der Liebe wird der Mensch nicht so schnell fertig. Deshalb kann auch ein sehr dicker Roman nicht mehr als eine Annäherung sein und den angesichts eines Umfangs von 670 Seiten fast schon unverschämten Titel "Die Liebe in groben Zügen" tragen. "Sehnsucht nach Liebe ist die einzige schwere Krankheit, mit der man alt werden kann, sogar gemeinsam", lautet der grandiose erste Satz, aus dem sich der Rest gewissermaßen organisch ergibt. Denn wie zwei Menschen darauf reagieren, wenn sie miteinander alt werden, ihre Sehnsucht nach Liebe aber nicht ausreichend zu stillen vermögen, davon erzählt Bodo Kirchhoff, der sich seit eh und je auf literarische Liebeshandlungen spezialisiert hat.
Renz ist Mitte sechzig, Vila Anfang fünfzig, er schreibt Drehbücher für Vorabendserien mit Titel wie "Der Seearzt", sie moderiert die "Mitternachtstipps" im Fernsehen, wird aber mangels Quote bald abserviert. Zusammen sind sie, wie alle älteren Paare, "ein Archiv, das man besser nicht öffnet" oder, an anderer Stelle, "eine Festung – weh dem, der sie stürmen will." Und doch lassen sie sich nur gar zu gerne öffnen und stürmen. Renz verliebt sich in die Producerin Marlies, die an Lungenkrebs erkrankt ist, und wird nach einer kurzen Affäre zu deren Sterbebegleiter. Ihr Tod und wie Kirchhoff ihn beschreibt ist vielleicht der Höhepunkt des Romans.
Vila verliebt sich in den zwölf Jahre jüngeren Bühl, der ihr Haus am Gardasee den Winter über gemietet hat. Bühl schreibt ein Buch über Franz von Assisi, dessen Liebe zu der heiligen Klara dem auf Dauer dann doch eher banalen Liebes- und Abenteuer-Begehren der modernen Menschen als Projektionsfläche dient. Die Stadt Assisi wird zum heimlichen Zentrum des Geschehens. Hier verbrachten einst Renz und Vila intensive Tage, hierher fährt Renz mit Marlies, angeblich um an einem Drehbuch über Franz von Assisi zu arbeiten, hierher kommen dann auch Vila und Bühl, als ob jedes Paar die Erlebnisse des anderen überbieten müsste, um zu bestehen.
Kirchhoff ist ein genauer Beobachter der Gefühle und der wachsenden Begierden und all dessen, was die Protagonisten für Liebe halten. Die Ehe in ihrer Beständigkeit steht in Frage, und doch ist es zumindest für Renz keine Frage, dass man zusammenblieb: "Trennen kann sich jeder, also trennte er sich nicht." Weniger sicher ist das für Vila, deren Verhältnis zu Bühl immer leidenschaftlicher wird und mit suchtartiger, sexueller Dringlichkeit vorangetrieben wird. Die Dynamik der Entwicklung, all das zugehörige Lügen, Verschweigen, Verbergen und wie es das Zusammenleben belastet – das hat Kirchhoff in einzigartiger Präzision eingefangen.
Seine Figuren leben in einem Milieu, in dem nicht nur ein Ferienhaus am Gardasee und der eigene Jaguar selbstverständlich dazu gehören, sondern auch die Woche in Mallorca bei Bedarf und Weihnachtsferien auf Jamaika. Geld ist immer da, also kein Thema. Und vielleicht ist es nur die dieser Wohlstandsbequemlichkeit immanente Langeweile, die das Liebesbegehren als Bedürfnis nach Abwechslung so dringlich macht. Man hat das Gefühl, dass Bodo Kirchhoff selbst viel zu identisch ist mit diesem Milieu, um Distanz dazu herstellen zu können. So erscheinen die Umgangsformen dieser Gesellschaftsschicht als Allgemeines und als Normalität. Dass Liebe diesseits von Assisi mit anderen Herausforderungen zu kämpfen haben könnte, gerät gar nicht erst in den Blick.
Doch Kirchhoff gibt sich mit damit auch nicht zufrieden. Über Bühl, der seine Kindheit in einem Internat am Bodensee verbrachte, schmuggelt er das Thema Kindesmissbrauch in den Roman ein, ein Thema, über das er als Betroffener sich bereits in einem Essay im "Spiegel" zu Wort gemeldet hat. Kirchhoff sucht nach Antworten jenseits der schlichten Opfer-Täter-Dichotomie, schildert die Ambivalenz der Gefühle des Knaben, und vielleicht sind diese Passagen die wichtigsten des ganzen Buches.
Ein anderer Strang führt mit Vila nach Kuba, wo sie ihre Tochter sucht, um sie von einer Abtreibung abzuhalten. Immer wieder gelingen Kirchhoff glänzende Beobachtungen und Sätze, die man sich als Kostbarkeiten notieren möchte. Das ist manchmal an der Grenze zum Sentenzhaften oder zum Kitsch, ohne aber je dahinter abzukippen. So ist dieser Roman trotz einiger Längen und milieubedingter Unerträglichkeiten insgesamt ein großes Lesevergnügen: Ein kluges Buch über verschiedene Erscheinungsformen der Liebe, in "groben Zügen".
Besprochen von Jörg Magenau
Bodo Kirchhoff: Die Liebe in groben Zügen
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt 2012
670 Seiten, 28 Euro
Renz ist Mitte sechzig, Vila Anfang fünfzig, er schreibt Drehbücher für Vorabendserien mit Titel wie "Der Seearzt", sie moderiert die "Mitternachtstipps" im Fernsehen, wird aber mangels Quote bald abserviert. Zusammen sind sie, wie alle älteren Paare, "ein Archiv, das man besser nicht öffnet" oder, an anderer Stelle, "eine Festung – weh dem, der sie stürmen will." Und doch lassen sie sich nur gar zu gerne öffnen und stürmen. Renz verliebt sich in die Producerin Marlies, die an Lungenkrebs erkrankt ist, und wird nach einer kurzen Affäre zu deren Sterbebegleiter. Ihr Tod und wie Kirchhoff ihn beschreibt ist vielleicht der Höhepunkt des Romans.
Vila verliebt sich in den zwölf Jahre jüngeren Bühl, der ihr Haus am Gardasee den Winter über gemietet hat. Bühl schreibt ein Buch über Franz von Assisi, dessen Liebe zu der heiligen Klara dem auf Dauer dann doch eher banalen Liebes- und Abenteuer-Begehren der modernen Menschen als Projektionsfläche dient. Die Stadt Assisi wird zum heimlichen Zentrum des Geschehens. Hier verbrachten einst Renz und Vila intensive Tage, hierher fährt Renz mit Marlies, angeblich um an einem Drehbuch über Franz von Assisi zu arbeiten, hierher kommen dann auch Vila und Bühl, als ob jedes Paar die Erlebnisse des anderen überbieten müsste, um zu bestehen.
Kirchhoff ist ein genauer Beobachter der Gefühle und der wachsenden Begierden und all dessen, was die Protagonisten für Liebe halten. Die Ehe in ihrer Beständigkeit steht in Frage, und doch ist es zumindest für Renz keine Frage, dass man zusammenblieb: "Trennen kann sich jeder, also trennte er sich nicht." Weniger sicher ist das für Vila, deren Verhältnis zu Bühl immer leidenschaftlicher wird und mit suchtartiger, sexueller Dringlichkeit vorangetrieben wird. Die Dynamik der Entwicklung, all das zugehörige Lügen, Verschweigen, Verbergen und wie es das Zusammenleben belastet – das hat Kirchhoff in einzigartiger Präzision eingefangen.
Seine Figuren leben in einem Milieu, in dem nicht nur ein Ferienhaus am Gardasee und der eigene Jaguar selbstverständlich dazu gehören, sondern auch die Woche in Mallorca bei Bedarf und Weihnachtsferien auf Jamaika. Geld ist immer da, also kein Thema. Und vielleicht ist es nur die dieser Wohlstandsbequemlichkeit immanente Langeweile, die das Liebesbegehren als Bedürfnis nach Abwechslung so dringlich macht. Man hat das Gefühl, dass Bodo Kirchhoff selbst viel zu identisch ist mit diesem Milieu, um Distanz dazu herstellen zu können. So erscheinen die Umgangsformen dieser Gesellschaftsschicht als Allgemeines und als Normalität. Dass Liebe diesseits von Assisi mit anderen Herausforderungen zu kämpfen haben könnte, gerät gar nicht erst in den Blick.
Doch Kirchhoff gibt sich mit damit auch nicht zufrieden. Über Bühl, der seine Kindheit in einem Internat am Bodensee verbrachte, schmuggelt er das Thema Kindesmissbrauch in den Roman ein, ein Thema, über das er als Betroffener sich bereits in einem Essay im "Spiegel" zu Wort gemeldet hat. Kirchhoff sucht nach Antworten jenseits der schlichten Opfer-Täter-Dichotomie, schildert die Ambivalenz der Gefühle des Knaben, und vielleicht sind diese Passagen die wichtigsten des ganzen Buches.
Ein anderer Strang führt mit Vila nach Kuba, wo sie ihre Tochter sucht, um sie von einer Abtreibung abzuhalten. Immer wieder gelingen Kirchhoff glänzende Beobachtungen und Sätze, die man sich als Kostbarkeiten notieren möchte. Das ist manchmal an der Grenze zum Sentenzhaften oder zum Kitsch, ohne aber je dahinter abzukippen. So ist dieser Roman trotz einiger Längen und milieubedingter Unerträglichkeiten insgesamt ein großes Lesevergnügen: Ein kluges Buch über verschiedene Erscheinungsformen der Liebe, in "groben Zügen".
Besprochen von Jörg Magenau
Bodo Kirchhoff: Die Liebe in groben Zügen
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt 2012
670 Seiten, 28 Euro