Heiter bis blutig

Von Jürgen Liebing |
Die Theateradaption des Dokumentarfilms "Il bacio di Tosca" erzählt von einem Heim für alternde Opernstars. Die Existenz der Einrichtung ist bedroht, und so proben die Bewohner für eine Gala, um Geld einzuwerben. Johann Kresnik gelingt mit der "Villa Verdi" ein heiterer Abend - mit einigen drastischen Szenen.
Während Volksbühnen-Chef Frank Castorf in Bayreuth den "Jubiläums-Ring" auf dem Grünen Hügel probt, öffnet der österreichische Choreograf und Regisseur Johann Kresnik, der nach elf Jahren Abwesenheit zurückgekehrt ist zum Rosa-Luxemburg-Platz, die "Villa Verdi", ein Heim für alte und alternde Sängerinnen und Schauspieler. Es ist eine sehr freie Adaption des Dokumentarfilms "Il bacio di Tosca" von dem Schweizer Daniel Schmid über die "Casa di Riposo per Musicisti", auch genannt "Casa Verdi".

Hat sich Richard Wagner mit dem Festspielhaus in Bayreuth ein Denkmal für die Nachwelt gesetzt, zu dem alljährlich die Wagnerianer aus aller Welt pilgern, hat sein Kontrahent Giuseppe Verdi dieses besondere Altersheim gestiftet, ein menschlicheres Denkmal. Auch der kürzlich angelaufene Film "Quartett" von Dustin Hoffmann geht auf diesen Film zurück. Die Existenz des Heims ist bedroht und so proben die Bewohner für eine Gala, um Geld einzuwerben.

"Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze." Diese Sentenz von Friedrich Schiller darf an diesem heiter-melancholischen Abend nicht fehlen, gesprochen von der grandiosen Ilse Ritter, augenblicklich Mitglied des Berliner Ensembles. Sie ist mittlerweile 68. Der Countertenor Jochen Kowalski, mit nicht einmal 60 Jahren eigentlich noch zu jung fürs Altersheim, singt die Arie des Prinzen Orlofsky aus der Operette "Die Fledermaus" von Strauß. Die 75-jährige Annekathrin Bürger vermag mit einem anrührenden Chanson zu beeindrucken.

Eine nackte Frau als gekreuzigter Jesus
Der Mittelpunkt des Abends aber ist die Sopranistin Jutta Vulpius, die 1951 an Walter Felsensteins Komischer Oper debütierte und 35 Jahre Mitglied der Staatsoper Unter den Linden war. Anrührend, wenn sie "Nur der Schönheit weiht ich mein Leben" aus Puccinis "Tosca" singt, während gleichzeitig aus dem Bühnenboden eine nackte Frau aufsteigt, als gekreuzigter Christus. Zwischen den Schenkeln fließt Blut herab. Die junge Sopranistin Sarah Behrendt vollendet das, was die Vulpius begonnen hat.

Blut, eines der Markenzeichen von Kresnik, fließt an diesem Abend eher spärlich, nur einmal wird es drastisch, wenn eine Balletttänzerin sich mit der Kreissäge ihr Bein amputiert. Anschließend tanzt sie mit Krücken. Zuvor springt ein blutjunges Tänzerpaar durch die Lüfte, dreht sich im Kreis, freut sich über seine Kraft, als gäbe es die ewige Jugend, nimmt das Schicksal der Alten ringsherum nicht zur Kenntnis. Ein zu Herzen gehender Kontrast. Die einen leben von der Erinnerung, die anderen von der Zukunft.

Am Ende gibt es kein Happyend bei Johann Kresnik, wenn die Bühnendecke krachend herabstürzt und die Menschen auf der Bühne im letzten Moment in den Zuschauerraum flüchten. Mit dem Publikum werden sie Zeugen, wie alles verbrennt. Und doch verlässt man das Theater bewegt und berührt. Vielleicht ist Johann Kresnik altersmilde geworden. Auf alle Fälle liebt er seine Protagonisten, ob jung oder alt. "Die ganze Welt ist eine Bühne geworden."

"Villa Verdi" von Johann Kresnik
Volksbühne Berlin
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