Heitere Dreiecksbeziehung

Von Tobias Wenzel |
In seinem neuen Roman beschreibt der US-amerikanische Autor und Pulitzerpreisträger Jeffrey Eugenides verschiedene Arten der Liebe - und des Verrücktseins. Mit atemberaubender Souveränität führt er seine Figuren ein - und überzeugt auch durch Komik.
Eine ruhige Straße in Princeton im Bundesstaat New Jersey. In der Ferne sieht man Männer mit Laubbläsern arbeiten. Ein ordentlich angehäufter Laubwall liegt vor der Einfahrt zum Haus von Jeffrey Eugenides. In diesem Fachwerkhaus lebt der Pulitzer-Preisträger mit seiner Frau und der 12-jährigen Tochter.

Jeffrey Eugenides, ein schlanker Mann mit kurzem dunklen Schnurr- und Kinnbart, bittet seinen Gast herein. Der 51-Jährige trägt ein Hemd mit violettem Blumenmuster. Ein großer schwarzer Pudel wuselt um ihn herum. Ein geschecktes Meerschweinchen guckt neugierig aus dem Stall, der neben dem Eingang zum Arbeitszimmer steht. Jeffrey Eugenides betritt den Raum: An der Wand ein Regal mit zahlreichen Büchern. In seinem neuen Roman "Die Liebeshandlung" wird beschrieben, wie man an den Büchern der Hauptfigur Madeleine deren hoffnungslos romantischen Charakter ablesen kann. Verrät also auch das Bücherregal von Jeffrey Eugenides, wer er ist?

"(lacht) Sie wissen jetzt wirklich, wer ich bin! In diesem Raum, meinem Arbeitszimmer, stehen nämlich nur Bücher, die ich selbst geschrieben habe, die mir meine Verlage geschickt haben. Aber wenn wir woanders zu Besuch sind, lassen wir doch alle unseren Blick über die Bücherregale streifen, um eine Ahnung davon zu bekommen, wer diese Person ist. Das könnte mit den E-Books bald vorbei sein. Wenn jeder einen Kindle hat, wäre das ein großer Verlust für die erste und zweite Begegnung mit jemandem. Auch ich scanne notorisch Buchrücken, wenn ich zu Besuch bin. Ich weiß noch, wie ich als Kind oft zu Hause vor dem Regal stand und all die Bücher ansah, für deren Lektüre ich meistens noch gar nicht alt genug war."

Jeffrey Eugenides stammt von griechischen Einwanderern ab, wurde 1960 in Detroit geboren. Die Stadt hat ihn stark geprägt, findet sich in allen seinen Büchern. So auch in seinem berühmtesten Roman "Middlesex", in dem es um eine hermaphrodite Hauptfigur geht, die also biologisch zwischen den Geschlechtern steht. Sein neuer Roman über eine Dreiecksliebesgeschichte zwischen den College-Absolventen Madeleine, Leonard und Mitchell beginnt zwar im Rhode Island der 80er-Jahre. Aber Mitchell versucht sich einige Zeit als Taxi-Fahrer in Detroit:

"Ich brauchte einfach ein bisschen Detroit im Buch. Detroit ist nämlich eine sehr dramatische Stadt. Als ich dort geboren wurde, hatte sie eineinhalb Millionen Einwohner, war die dritt- oder viertgrößte Stadt der USA. Im Laufe meines Lebens ist die Einwohnerzahl drastisch zurückgegangen, die Stadt ist halb zerstört worden, durch Armut und die optische Verschandelung. Ich erkläre mir mein Interesse an Detroit als eine Mischung aus persönlicher Verbundenheit und historischer Bedeutung gerade im Rahmen der Geschichte Amerikas."

Im neuen Roman lieben Mitchell und Leonard Madeleine. Sie liebt aber nur Leonard, glaubt sie jedenfalls. Mit einer atemberaubenden Souveränität führt Jeffrey Eugenides seine Figuren ein und überzeugt auch durch Komik. So zum Beispiel, indem er den vom Dekonstruktivismus geprägten College-Betrieb der 80er-Jahre aufs Korn nimmt. Oder aber in der Szene, in der Madeleine Leonard den dreckigen Zustand seines Zimmers vorhält und Leonard kontert:

"Die eigene Einstellung zur Sauberkeit hat eine Menge mit Todesangst zu tun."
"Hier geht’s nicht um den Tod, Leonard. Hier geht es um Krümel im Bett. Hier geht es darum, dass dein Kissen nach Leberwurstbrot stinkt."
"Falsch."
"Das tut es aber!"
"Falsch."
"Riech doch dran, Leonard!"
"Es ist Salami. Ich mag keine Leberwurst."


Die Liebe zwischen den beiden ist in Gefahr, allerdings nicht wegen der unterschiedlichen Vorstellung von Reinlichkeit: Leonard ist manisch-depressiv. Und Madeleine unterschätzt ihre eigenen Kräfte und ihre Sehnsucht nach einer Partnerschaft ohne tiefschwarze Schatten:

"Trotz ihres Wodkanebels war sie sich bewusst, dass sie es absichtlich unterließ, den Namen Leonard zu erwähnen. (...) Madeleine hatte vergessen, wie lustig Mitchell sein konnte. Im Vergleich zu Leonard war er so pflegeleicht. Ungefähr eine Stunde später, als sie nach draußen ging, um ein Taxi anzuhalten, folgte Mitchell ihr, und ehe sie sich's versah, küsste er sie, und sie küsste ihn. (...) Schließlich riss sie sich los und schrie: 'Ich dachte, du wolltest Mönch sein!' 'Das Fleisch ist schwach', sagte Mitchell grinsend. 'Geh!', sagte Madeleine und boxte ihm auf die Brust. 'Geh nach Indien!' Er blickte sie mit seinen großen Augen an. Dann nahm er ihre Hände. 'Ich liebe dich!', sagte er. Und zu ihrer eigenen Überraschung hatte Madeleine geantwortet: 'Ich liebe dich auch.' Sie meinte, dass sie ihn im Sinne von lieb haben liebte."

In seinem überzeugenden neuen Roman dekliniert Jeffrey Eugenides raffiniert alle möglichen Arten der Liebe durch - und des Verrücktseins. Am Ende fragt man sich, wer verrückter ist: die romantisch verklärte Madeleine, Mitchell mit seinem mystischen Selbstfindungstrip oder der latent selbstmordgefährdete, manisch-depressive Leonard. Jeffrey Eugenides, der am liebsten in Berlin leben würde, aber mit seiner Professur für kreatives Schreiben an Princeton gebunden ist, hatte in den 90er-Jahren mit dem Roman "Die Selbstmord-Schwestern" debütiert:

"Ganz klar: Ich habe schon mal ein Buch über den Selbstmord geschrieben. Warum finden sich also diese Themen, Depression und Selbstmord, in meinen Büchern? Ich kann es nicht sagen. Aber ich selbst fühle mich gerade wirklich ziemlich gut! (lacht)"

Jeffrey Eugenides: Die Liebeshandlung
Roman. Aus dem Englischen von Uli Aumüller und Grete Osterwald
Rowohlt Verlag, Reinbek 2011
621 Seiten, 26,95 Euro

Jeffrey Eugenides kommt im November zu einer einzigen Lesungen nach Deutschland: Am 8. November liest er um 20 Uhr im Literaturhaus Stuttgart.