Heiterkeit trotz trauriger Themen
Siri Hustvedt ist vermutlich die amerikanischste aller amerikanischen Schriftstellerinnen. Ihr neues Buch enthält alles, was man von einem amerikanischen Roman nicht ohne Beklemmungen erwartet. Und doch ist es gut und unterhaltsam geworden.
Die Welt, wie sie in der amerikanischen Literatur erscheint, ist überschaubar. Methodisch besteht sie aus Schreibseminar plus Psychoanalyse, inhaltlich aus Liebe plus Trennungsschmerz plus Sexproblematik. Aber lässt sich daraus auch ein guter Roman machen?
Siri Hustvedt ist vermutlich die amerikanischste aller amerikanischen Schriftstellerinnen. Ihr neues Buch "Der Sommer ohne Männer" enthält alles, was man von einem amerikanischen Roman nicht ohne Beklemmungen erwartet. Und doch ist daraus ein gutes, unterhaltsames Buch geworden, vielleicht deshalb, weil es sich, im Gegensatz zur Behauptung auf dem Cover, eben nicht um einen Roman, sondern fast so etwas wie ein Sachbuch handelt.
Es geht um die Schriftstellerin Mia, die nach 30-jähriger, symbiotischer Ehe von ihrem Mann Boris verlassen wurde, der zu ihr sagt, er brauche mal eine Pause. Die "Pause" hat einen Namen, hat braunes Haar und einen "signifikanten Busen" und ist 20 Jahre jünger. Um wieder zu sich zu finden, reist Mia in ihre Geburtstadt in Minnesota, wo ihre Mutter im Altersheim lebt, und wo sie im örtlichen Kulturforum einen Lyrikkurs für Jugendliche anbietet.
Was folgt, ist das Protokoll eines Sommers ohne Männer. Der Lyrikkurs wird von sieben pubertierenden Mädchen besucht. Die Gruppe der Alten um die Mutter herum besteht aus skurrilen Frauen, die mit ihrem allmählichen Verschwinden, mit Demenz und Tod beschäftigt sind. Nebenan wohnt eine junge Frau mit kleiner Tochter und männlichem Säugling, deren Gatte nur gelegentlich auftaucht, laut herumbrüllt und mit quietschenden Reifen wieder davonfährt. Ansonsten haben sich die Männer in den virtuellen Raum bloßer Vorstellungen verflüchtigt; Boris schickt gelegentlich eine Mail und beginnt wieder um Mia zu werben, und dann taucht da noch ein "Dr. Niemand" auf, der sie mit wüsten anonymen Beschimpfungen bedroht, aus denen jedoch ein anregender Postwechsel entsteht.
Diese Anordnung von Figuren – und mehr ist es nicht – erlaubt Hustvedt, über verschiedene Formen von Weiblichkeit und deren gesellschaftliche Herausbildung nachzudenken. Die Schwierigkeiten des Jungseins stehen in hartem Kontrast zu denen des Alters und zum ganz normalen weiblichen Alltag in der Provinz. Mia begreift allmählich, dass es ihr trotz der Trennung von Boris eigentlich ganz gut geht. Die Heiterkeit, die der Text trotz der eher traurigen Themen wie Einsamkeit, Alter, Vergänglichkeit ausstrahlt, spricht dafür. "Alt werden ist schön", sagt die Mutter. "Das einzige Problem ist, dass dein Körper in die Binsen geht."
Die Leichtigkeit stellt sich ein, weil Hustvedt sich nicht den Zwängen einer Handlung unterwirft, sondern spielerisch mit den narrativen Elementen umgeht. Um "Fiktion" handelt es sich nur insofern, als Mia eine fiktive Figur ist, eine jedoch, die mit Hustvedt zumindest Herkunftsort und Beruf gemeinsam hat. Und doch ist ihre Sprache erzählerisch, entspannt, souverän – ganz im Gegensatz zum vorigen, ebenfalls als Roman angepriesenen Buch "Die zitternde Frau", das nichts als ein Zettelkasten voller Exzerpte neurophysiologischer Lektüren gewesen ist. War dort der Tod des Vaters Auslöser der Erinnerungsbewegung, so geht es nun um die Mutter und ihren bevorstehenden Tod – und weniger um eine belastete Vergangenheit, als um die Alltagsgegenwart. Und die unvermeidliche Psychoanalytikerin ist nun noch telefonisch, als Stimme in der Ferne anwesend.
Besprochen von Jörg Magenau
Siri Hustvedt: Der Sommer ohne Männer
Aus dem Englischen von Uli Aumüller
Rowohlt Verlag, Reinbek 2011
304 Seiten, 19,95 Euro
Links bei dradio.de:
Kontrollverlust über den eigenen Körper
Siri Hustvedt: "Die zitternde Frau", Rowohlt, Reinbek 2010, 236 Seiten
Ein Geheimnis durchwimmelter Roman
Siri Hustvedt: "Die Leiden eines Amerikaners", Rowohlt 2008, 414 Seiten
Modelle des Organischen
Siri Hustvedt: "Being a man". Essays, Rowohlt. 2006
Siri Hustvedt ist vermutlich die amerikanischste aller amerikanischen Schriftstellerinnen. Ihr neues Buch "Der Sommer ohne Männer" enthält alles, was man von einem amerikanischen Roman nicht ohne Beklemmungen erwartet. Und doch ist daraus ein gutes, unterhaltsames Buch geworden, vielleicht deshalb, weil es sich, im Gegensatz zur Behauptung auf dem Cover, eben nicht um einen Roman, sondern fast so etwas wie ein Sachbuch handelt.
Es geht um die Schriftstellerin Mia, die nach 30-jähriger, symbiotischer Ehe von ihrem Mann Boris verlassen wurde, der zu ihr sagt, er brauche mal eine Pause. Die "Pause" hat einen Namen, hat braunes Haar und einen "signifikanten Busen" und ist 20 Jahre jünger. Um wieder zu sich zu finden, reist Mia in ihre Geburtstadt in Minnesota, wo ihre Mutter im Altersheim lebt, und wo sie im örtlichen Kulturforum einen Lyrikkurs für Jugendliche anbietet.
Was folgt, ist das Protokoll eines Sommers ohne Männer. Der Lyrikkurs wird von sieben pubertierenden Mädchen besucht. Die Gruppe der Alten um die Mutter herum besteht aus skurrilen Frauen, die mit ihrem allmählichen Verschwinden, mit Demenz und Tod beschäftigt sind. Nebenan wohnt eine junge Frau mit kleiner Tochter und männlichem Säugling, deren Gatte nur gelegentlich auftaucht, laut herumbrüllt und mit quietschenden Reifen wieder davonfährt. Ansonsten haben sich die Männer in den virtuellen Raum bloßer Vorstellungen verflüchtigt; Boris schickt gelegentlich eine Mail und beginnt wieder um Mia zu werben, und dann taucht da noch ein "Dr. Niemand" auf, der sie mit wüsten anonymen Beschimpfungen bedroht, aus denen jedoch ein anregender Postwechsel entsteht.
Diese Anordnung von Figuren – und mehr ist es nicht – erlaubt Hustvedt, über verschiedene Formen von Weiblichkeit und deren gesellschaftliche Herausbildung nachzudenken. Die Schwierigkeiten des Jungseins stehen in hartem Kontrast zu denen des Alters und zum ganz normalen weiblichen Alltag in der Provinz. Mia begreift allmählich, dass es ihr trotz der Trennung von Boris eigentlich ganz gut geht. Die Heiterkeit, die der Text trotz der eher traurigen Themen wie Einsamkeit, Alter, Vergänglichkeit ausstrahlt, spricht dafür. "Alt werden ist schön", sagt die Mutter. "Das einzige Problem ist, dass dein Körper in die Binsen geht."
Die Leichtigkeit stellt sich ein, weil Hustvedt sich nicht den Zwängen einer Handlung unterwirft, sondern spielerisch mit den narrativen Elementen umgeht. Um "Fiktion" handelt es sich nur insofern, als Mia eine fiktive Figur ist, eine jedoch, die mit Hustvedt zumindest Herkunftsort und Beruf gemeinsam hat. Und doch ist ihre Sprache erzählerisch, entspannt, souverän – ganz im Gegensatz zum vorigen, ebenfalls als Roman angepriesenen Buch "Die zitternde Frau", das nichts als ein Zettelkasten voller Exzerpte neurophysiologischer Lektüren gewesen ist. War dort der Tod des Vaters Auslöser der Erinnerungsbewegung, so geht es nun um die Mutter und ihren bevorstehenden Tod – und weniger um eine belastete Vergangenheit, als um die Alltagsgegenwart. Und die unvermeidliche Psychoanalytikerin ist nun noch telefonisch, als Stimme in der Ferne anwesend.
Besprochen von Jörg Magenau
Siri Hustvedt: Der Sommer ohne Männer
Aus dem Englischen von Uli Aumüller
Rowohlt Verlag, Reinbek 2011
304 Seiten, 19,95 Euro
Links bei dradio.de:
Kontrollverlust über den eigenen Körper
Siri Hustvedt: "Die zitternde Frau", Rowohlt, Reinbek 2010, 236 Seiten
Ein Geheimnis durchwimmelter Roman
Siri Hustvedt: "Die Leiden eines Amerikaners", Rowohlt 2008, 414 Seiten
Modelle des Organischen
Siri Hustvedt: "Being a man". Essays, Rowohlt. 2006