Helen Wolff: "Hintergrund für Liebe"
Roman
Mit einem Essay von Marion Detjen
Weidle Verlag, Essen 2020
215 Seiten, 20 Euro
Ausbruch aus starren Rollenmustern
05:53 Minuten
Helen Wolff verstand sich als Verlegerin, nicht als Autorin. Mit ihrem Mann Kurt ging sie während des Nationalsozialismus ins US-Exil. Nun wird ihr Roman "Hintergrund für Liebe" wiederentdeckt. Er erzählt die berückende Geschichte einer Emanzipation.
Tiefblau, von mediterraner Leichtigkeit durchdrungen und auf verblüffende Weise hinreißend, so kommt der schmale Roman "Hintergrund für Liebe" daher. Die verliebte Heldin, eine Mischung aus Mädchen und Göre, reist mit ihrem deutlich älteren, weltläufigen Freund nach Frankreich.
Der Plan ist ein längerer Aufenthalt an der Côte d'Azur. Im Hintergrund rumoren die politischen Zuspitzungen im Deutschland der 1930er Jahre.
Was so verheißungsvoll mit einer schnittigen Autofahrt im Buick nach Nizza beginnt, endet schon ein paar Tage später mit dem Aufbruch des "lieben Kindes". Die Ich-Erzählerin haut ab und hinterlässt ihrem abtrünnigen Liebhaber, den sie verehrt und bewundert, aber der an keinem Sommerrock vorbei gehen kann, unbedingt im Grandhotel residieren will und sich als Connaisseur geriert, nur einen lapidaren Zettel.
Irgendwo zwischen Keun, Tergit und Kästner
"Ich will leben, und Du willst Dich amüsieren", schreibt sie. Punkt, und weg ist sie, bald allein mit ihrer Verzweiflung. Aber wie im Märchen findet sie bei einer Bauernfamilie für einige Monate ein Häuschen, wie sie es sich wünschte, und richtet sich ein. Tatkräftig unterstützt von einem lebenskünstlerisch veranlagten Berliner Maler.
Gemeinsam mit ihm und der ebenfalls amourös gebeutelten Marianne stellt sie sich ihrem Schmerz und tanzt sich auf einem Fischerfest provenzalisch die Seele aus dem Leib, bis alles wieder besser wird.
Der zarte Sommerroman mit seinem neusachlich-hauptstädtischen Ton changiert irgendwo zwischen Irmgard Keun, Gabriele Tergit und Erich Kästner, trägt aber auch eine Spur der expressionistisch-verspielten Briefe einer Else Lasker-Schüler in sich. Von der der Verfasserin Helen Wolff mit den Worten "At my death, burn or throw away unread" in ihrem Nachlass verwahrt, handelt es sich um eine berückende Geschichte und ein faszinierendes Zeitdokument.
Literarische Ambitionen blieben ein Geheimnis
Flankiert wird der zarte, autobiografische Roman, der davon handelt, wie sich die junge Frau in Liebesnöten aus den einengenden Rollenmustern emanzipiert, von einem umfangreichen Nachwort von Marion Detjen, der Herausgeberin und Großnichte Helen Wolffs.
Dieser Essay ist genauso spannend und mitreißend wie "Hintergrund für Liebe" an sich, denn hier vermittelt sich das Drama der deutschen Emigration. Hinter dem selbstgewissen Mann im Buick verbirgt sich niemand anders als der legendäre Kurt Wolff, Inhaber des gleichnamigen Verlages, der Entdecker Franz Kafkas und Georg Trakls.
Gemeinsam mit Helen gelang ihm die Flucht, aber etliche ihrer Freunde zerschellen an den Umständen. Das Ehepaar gründete im Dezember 1941 in New York das Verlagshaus Pantheon Books, das zur ersten Adresse für deutsche und europäische Literatur in den USA werden sollte. Aber Helen Wolffs literarischen Ambitionen blieben ein Geheimnis. Sie verstand sich als Verlegerin, was für sie unbedingte Hingabe an die schöpferische Arbeit ihrer Autoren bedeutete. Dass sie ihre Manuskripte nicht wegwarf und die Erben ihren – nicht ganz ernstzunehmenden - Wunsch missachteten, ist unser Glück.