Helena Adler: "Die Infantin trägt den Scheitel links"
Jung und Jung, Salzburg 2020
176 Seiten, 20 Euro
"Familie ist der Gipfel der Provinz"
09:41 Minuten
Isolation auf dem Lande, eine bigotte, frömmelnde Mutter und ein trinkender Vater - aus dieser Enge befreit sich die Bauerntochter in Helena Adlers Roman mit Brutalität. Diese komme aus ihrem Innersten, sagt Adler, die ebenfalls auf dem Land aufwuchs.
Andrea Gerk: Sie leben auf dem Land in der Nähe von Salzburg. Wie schaut's denn da so aus? Können Sie uns das mal beschreiben?
Helena Adler: Sehr schön natürlich. Salzburg ist eine schöne Kulissenstadt, würde ich mal sagen, und es ist spannend, was sich dahinter befindet oder in den Abgründen passiert.
Gerk: Das stimmt, denn bei Ihnen in Ihrem Roman geht es ja gar nicht um dieses Idyllische, was das Landleben oft in den Hochglanzmagazinen und vielleicht auch in unseren Sehnsüchten hat, sondern das ist ja etwas unglaublich Beengendes und auch Brutales.
Die Familie, in der die Erzählerin aufwächst, das sind lauter Bestien, heißt es im Text. Die schlimmen Zwillinge, die Mutter über die es heißt "ihr spitzer Schnabel ist ein Hackbeil, damit kann sie Gelenke brechen und Knochen zerschmettern". Was ist denn das für eine Brutalität? Wo kommt die her?
Adler: Also diese Brutalität kommt wahrscheinlich aus meinem Inneren, aus meinem Aufwachsen am Land und aus einem Kontern gegen die Welt vielleicht oder gegen den Status quo. Jetzt ist es nicht mehr ein Hadern mit der Vergangenheit, sondern eher eine Wut gegen den Status quo.
Jede Familie hat etwas Brutales
Gerk: Das Mädchen, das wir da auf dem Umschlag sehen, da ist so ein übermaltes Foto, wo ein Kind mit Eselsohren und so einer Augenklappe bemalt wurde. Hat das was mit Ihnen zu tun und verraten Sie uns wer das ist?
Adler: Ja das verrate ich Ihnen jetzt das erste Mal, dass ich in einem Live-Interview gefragt werde. Das ist - indirekt hat das mit mir zu tun - meine Mutter. Und übermalt, überzeichnet habe ich es selber, also verunstaltet quasi.
Gerk: Von ihrem Landsmann Heimito von Doderer gibt es ja ein schönes Zitat, "Wer sich in Familie begibt, kommt darin um". Das fiel mir ein, während ich Ihren Roman gelesen habe. Hat nicht jede Familie dieses abgründig brutale, was sie da beschreiben?
Adler: Also meiner Ansicht nach schon. Aber vielleicht gibt es viele Familien, die das nicht so offen zelebrieren. Meiner Ansicht nach ist die Familie eigentlich der Gipfel der Provinz.
Seinen Platz in der Familie finden oder erarbeiten
Gerk: Das stimmt. In ihrem Buch geht es dabei aber auch darum, wie das Mädchen sich dagegen wehrt, auch gegen diese Gewalt. Sie fackelt zum Beispiel das ganze Haus ab. Warum ist das so wichtig, gerade für eine junge Frau, dem Ganzen, was sie da erfährt, etwas entgegenzusetzen?
Adler: Ja, es ist einfach ein Umgehen mit der Welt. Wenn man keinen Platz in einer Familie findet, zum Beispiel, weil man das jüngste Kind ist und weil man eigentlich nebenher läuft, weil es diese Aufmerksamkeit nicht gibt. Dann im besten Fall lernt das Kind, sich selbst irgendwie zu behaupten und seinen Platz in der Familie zu finden oder ihn sich zu erarbeiten.
Gerk: Und welche Rolle spielt dabei die Sprache und die Fantasie - eine große nicht?
Adler: Hier in meinem Fall auf alle Fälle. Also, ich hab' versucht, mich mit Sprache zu wehren und zu behaupten. Und insofern war oder ist das eigentlich meine größte Waffe.
Ich schreibe aus einer Emotion heraus
Gerk: Sie arbeiten auch in dem Buch sehr wort- und bildgewaltig. Da steht auch gleich am Anfang und dann auch über jedem Kapitel ein Zitat von einem Bild, ein Bildtitel. Es fängt auch mit dem Satz an: "Stellen Sie sich ein Bruegel Bild vor. Nun animieren sie es." Und dann kommen eben immer vor jedem Kapitel die Titel berühmter Kunstwerke. Haben Sie sich auch immer so ein Bild zum Schreibtisch gehängt, beim Schreiben?
Adler: Beim Schreiben an sich nicht, es war tatsächlich so, zunächst gehe ich von einem Bild aus, dass mir in den Sinn kommt oder dass ich zufällig sehe. Dann schreibe ich eher aus einer Emotion heraus, weiß noch nicht, wohin die Reise geht. Das Ganze ist bei mir eher organisch im Entstehen.
Also es gibt meistens kein Konzept. In diesem Fall, bei der Infantin war's dann so, dass, als ich die Kapitel fertiggestellt hatte, dass ich dann ein - meiner Ansicht nach - passendes Bild dem Ganzen vorangestellt habe, beziehungsweise den Titel des Gemäldes eigentlich.
Gerk: Und sie sind ja auch bildende Künstlerin. Sie haben am Mozarteum Malerei studiert. Wie ist für sie das Verhältnis zwischen dem Mit-Sprache-Bilder-malen oder eben dem Mit-dem-Pinsel-oder-dem-Stift?
Adler: Das beeinflusst sich gegenseitig. Natürlich, ich habe im Studium eigentlich mit der Malerei begonnen, bin dann in verschiedene Sparten übergegangen, Fotografie, inszenierte Fotografie, Siebdruck und so weiter und dann habe ich mich erst auf das Schreiben fokussiert.
Und der Unterschied besteht für mich darin, dass ich mich bei der bildenden Kunst etwas besser verstecken kann. Das ist mir jetzt im literarischen Sinne nicht so leicht möglich, da ist es für mich schon offener.
Ich schreibe mir selbst SMS
Gerk: Aber sie haben ja eine sehr, fast schon wuchtige, fantastische Sprache. Das hat auch so etwas wucherndes, rauschhaftes. Wie kommen Sie da so rein? Hören Sie zum Beispiel Musik beim Schreiben?
Adler: Beim Schreiben nicht. Da brauche ich es absolut ruhig, maximal noch Vogelgezwitscher oder so dazu. Aber beim Überarbeiten vielleicht. Da am ehesten oder ich fahre mit dem Auto oder geh' spazieren und höre da Musik. Und da kommen mir dann Bilder.
Da kann es dann sein, dass ich schon ein paar Sätze sammle oder mir das selber als SMS schreibe. Ich habe mich selber als "Ich" eingespeichert und schreibe mir da schon seit einem Jahrzehnt oder so selber Nachrichten, das schon. Aber tatsächlich dann beim Schreiben am Laptop oder beim Buchschreiben habe ich meistens keine Musik.
Gerk: Aber so ein starker Umgang mit der Sprache, auch ein reflektierter Umgang eben mit dem sprachlichen Material ist ja wirklich was ganz Typisches für die österreichische Literatur. Seit Hofmannsthal zieht sich das eigentlich durch die Literaturgeschichte bis zu Elfriede Jelinek, die ich da auch immer so ein bisschen im Echo gehört habe bei ihrem Schreiben.
Ist das für Sie so eine wichtige Größe, zum Beispiel? Sehen Sie sich da in dieser Tradition österreichischer Literatur?
Adler: Sich darin sehen? - Dass wär' jetzt schon anmaßend, würde ich das behaupten, und es ist ja doch irgendwie 'was Eigenes. Aber die Jelinek ist für mich natürlich schon ein Großkaliber, klar. Und der Umgang mit Sprache bei ihr fasziniert mich schon.
Sie bringt Gefühle nicht zum Ausdruck
Gerk: Das Mädchen, das sie beschreiben, das kennt ja auch erst mal gar nichts anderes als seine Familie und deren Wahrnehmung und Sprache von und über Wirklichkeit. Ist das eigentlich auch so eine Art Isolation, wie sie ja jetzt viele irritiert und wie wir sie gerade noch mal auf eine andere Art erleben? Ist das auch ein Thema in diesem Buch für Sie?
Adler: Ja, auch weil die Protagonistin eigentlich ihre eigenen Gefühle den Familienmitgliedern gegenüber nicht wirklich zum Ausdruck bringt oder oft nicht bringen kann. Und es ist dann so, dass auch oftmals so Tiermonologe entstehen. Also, sie redet dann vielleicht auch eher mit den Tieren oder mit sich selber, als ihre Gedanken den Familienmitgliedern näher zu bringen.
Pseudonym gewählt
Gerk: Sie heißen ja eigentlich gar nicht Helene Adler. Warum haben Sie sich denn ein Pseudonym ausgesucht, Frau Adler?
Adler: Ja, das war in erster Linie, weil es in Österreich schon eine Autorin gibt, die Theresa Präauer heißt und mein Mädchenname ist Stefani Prähauser. Und es hat dort zuvor schon einige Verwechslungen gegeben. Und Helena ist mein zweiter Name, und den finde ich auch schöner als Stefanie. Den kann man nicht so sehr verunstalten. Und deswegen habe ich mich dann für das Pseudonym entschieden.
Gerk: Aber sie mussten sich jetzt nicht hinter einem Pseudonym verstecken, weil das ganze Dorf oder die ganze Familie aufgebracht ist über Ihren Roman, hoffe ich.
Adler: Naja, aufgebracht werden wahrscheinlich die meisten trotzdem gewesen sein. Aber das ist nicht der Grund. Jeder, der mich kennt, weiß, dass mir das relativ egal ist.