Helena Hunt / James Brown: "Das große Kunst-Sammelsurium"
Aus dem Englischen von Anke Wagner-Wolff
Gerstenberg Verlag 2021
64 Seiten, 22 Euro
Ohne den Zauber der Originale
06:17 Minuten
Mit einem großen Bilderbuch wollen die Autorin Helena Hunt und der Illustrator James Brown Kinder ab zehn Jahren für die Kunst begeistern. Sie zeigen Werke aus allen Teilen der Welt und streifen durch die wichtigsten Epochen.
Wie schön dieser Text buchstäblich ins Bild gesetzt ist, umrahmt von Dutzenden gemalten Miniaturhänden. Es scheint, als würden sie winken und direkt auf die Worte hindeuten, die sie so pittoresk einfassen.
Angefangen bei Felsmalereien
Tatsächlich grüßen die filigranen, abgespreizten Finger aus der Vergangenheit, denn sie sind den 40.000 Jahre alten Felsmalereien in den Höhlen der indonesischen Insel Sulawesi nachempfunden. Das Rad war damals noch nicht erfunden, Lesen und Schreiben konnten die Menschen auch noch nicht, aber die Kunst war schon da! So heißt es im Text, und so zeigt es das Bild.
Die Autorin Helena Hunt und der Illustrator James Brown wählen einen inhaltlich und ästhetisch überzeugenden Einstieg in ihr eigenwilliges Kunst-Bilderbuch. Beginnend mit der Höhlenmalerei und endend mit der Popart will "Das große Kunst-Sammelsurium" mit wichtigen Stilrichtungen bekannt machen, ausgewählte Positionen vorstellen sowie verschiedene Techniken erläutern.
Steckbriefartige Texte gerahmt durch Bilder
Chronologisch voranschreitend, widmet das Duo jedem Thema eine Doppelseite. Links steht der Text, der jeweils steckbriefartig mitten auf einer Illustration wie auf einer Pinnwand prangt, wodurch sich die schöne Rahmung ergibt. Rechts verweist eine grafische Darstellung auf ein wegweisendes Kunstwerk der besprochenen Epoche.
Die Renaissance etwa wird mit Leonardo da Vincis "Vitruvianischem Menschen" illustriert, die religiöse Kunst mit dem Genter Altar, die Romantik wird mit Caspar David Friedrichs "Wanderer über dem Nebelmeer" vertieft und die Popart mit Roy Lichtensteins "Brushstrokes".
Weitere Grafiken zeigen verschiedene Drucktechniken und Reliefformen, die Machart eines Freskos oder auch das aufwändige Wachsschmelzverfahren für Bronzeguss.
Die Vielfalt der Kunst
Helena Hunts Texte sind durchweg informativ und trotz der gebotenen Knappheit vielschichtig. So behandelt die Autorin in den Kapiteln zur Skulptur etwa griechische Statuen, afrikanische Bronzen, hawaiianische Tempelfiguren, olmekische Kolossalköpfe und auch Alberto Giacomettis Schreitende. Das ist originell und vermittelt eindrücklich, wie vielfältig Kunst sein kann, und wie unterschiedlich sie von Epoche zu Epoche bewertet wird.
So schön die Texte bildlich gefasst sind: Die Illustrationen James Browns, die die ausgewählten Kunstwerke in seiner eigenen Bildsprache darstellen, sind problematisch. Sein vereinfachender Retro-Stil gepaart mit einer fahlen Tonalität geht allenfalls als Zitat oder Interpretation durch.
Der Zauber der Originale fehlt
Dadurch aber werden Kinder auf die falsche Fährte geführt, und der Zauber der Originale entfaltet sich nicht. Im Gegenteil: Wenn Brown die Farbenpracht des Genfer Altars in kaltem Grün-Schwarz versenkt oder ein Objekt Meret Oppenheims als Gemälde inszeniert, nimmt er den Werken ihre Strahlkraft. Das ist schade, zumal die gelungenen Zeichnungen zur Erklärung technischer Verfahren zeigen, was der Grafiker kann.
So hinterlässt dieses Bilderbuch gemischte Gefühle. Es bietet viel Information und weckt durchaus Neugier, seine Bildsprache aber überzeugt nur in Teilen.