Helene Bukowski: “Die Kriegerin”
© Blumenbar
Blumen und Waffen
05:53 Minuten
Helene Bukowski
Die KriegerinBlumenbar, Berlin 2022249 Seiten
23,00 Euro
Zwei ungewöhnliche Frauen macht Helene Bukowski zu den Heldinnen ihres neuen Romans: Die eine verlässt Mann und Kind, die andere tötet in Afghanistan. Eine Geschichte über Traumata und Geschlechterrollen, die fesselt und berührt.
Sie hält es nicht aus in ihrer Haut. Es juckt, sie kratzt. Blutige Striemen am Körper, Schorf unter den Fingernägeln begleiten Lisbeth seit ihrer Kindheit. Ruhe findet die Floristin nur, wenn sie ihre Hände beschäftigt: Blumen zuschneiden, entdornen, zu Sträußen binden.
Zu Hause, wo Mann und Baby auf sie warten, taucht die Protagonistin in Helene Bukowskis zweitem Roman jede Nacht in die gleichen Alpträume: eine verwüstete Landschaft, in der sie Steine suchen muss und wieder verliert, als Waffe gegen eine unbekannte Gefahr, wie Sisyphos gefangen in einer endlosen Wiederholungsschleife. Doch Lisbeth bricht aus dem Muster aus: Sie flüchtet vor ihrer Familie aus Berlin an die Ostsee. Später heuert sie auf einem Kreuzfahrtschiff an, wo sie für die Blumendeko sorgt.
Fast märchenhafte Bilder
Vom Tabubruch der Mutter, die ihr Kind verlässt, erzählt die 1993 geborene Berlinerin in einem nüchternen Ton, ohne zu verurteilen. Kurze Sätze in einer klaren Sprache, die starke, mitunter fast märchenhafte Bilder zeichnet: Der gleiche Stil hat 2019 bereits Helene Bukowskis dystopisches und viel gelobtes Debüt “Milchzähne” geprägt. Schon dieses erste Buch kreiste um Frauen, die sich in einer feindlichen Umgebung behaupten - so wie die titelgebende “Kriegerin” im neuen Roman.
Lisbeth begegnet ihr durch Zufall am Ostseestrand wieder, jahrelang haben sich die beiden nicht gesehen - seit ihrer gemeinsamen Grundausbildung bei der Bundeswehr. Warum sie sich zugleich nah und fern sind, was sie trennt und verbindet, ist ein Geheimnis, das Helene Bukowski erst gegen Ende ihres geschickt konstruierten Romans lüftet. Es führt tief hinein in Fragen von Gewalt, Geschlechterrollen, Trauma und Rache.
Mit Lisbeths Flucht aus Berlin beginnt ein Spannungsbogen, den die Autorin bis zum Schluss aufrechterhält. In Flashbacks und aus Briefen erfahren wir nur peu à peu mehr über ihre Vergangenheit, und über die Afghanistan-Einsätze der Kriegerin. Einen Namen bekommt die Berufssoldatin erst in der zweiten Hälfte des Romans.
Lange wirkt die Kriegerin mit ihrem durchtrainierten Körper, den sie im winterlichen Ostseewasser weiter abhärtet, wie der Archetyp einer wehrhaften Frau: eine schweigsame Amazone, die zwanghaft Steine sammelt, wie Lisbeth in ihren Träumen. Anders als an deren wunder Haut scheint an der Kriegerin lange aller Schmerz abzuprallen.
Bedrohlich wie ein Thriller-Showdown
Doch im Laufe der Handlung wird klar, welchen Preis auch sie für ihren Schutzpanzer aus Uniform und Waffe, für ihren Einsatz im Kriegsgebiet zahlt: Denn nicht nur Opfer von Gewalt tragen Traumata davon, sondern auch Täterinnen.
Wie Lisbeths Weg schließlich zurück nach Berlin führt - auf der Suche nach der inzwischen untergetauchten Kriegerin - hat das anziehende Tempo und die Bedrohlichkeit eines Thriller-Showdowns. Überraschend kommt dann ein allzu versöhnliches Ende, das nicht so recht zu diesem nachdenklichen Roman mit seinen düsteren Traumbildern passen mag. Bis dahin aber haben sich Helene Bukowskis außergewöhnliche Figuren und ihre hochrelevanten Fragen nach Macht und Geschlecht längst eingebrannt.