Helene Hegemann: "Striker"

Das diffuse Gefühl allgegenwärtiger Bedrohung

06:22 Minuten
Buchcover von Helene Hegemanns Roman "Striker". Ein gemaltes Bett.
© Kiepenheuer & Witsch
StrikerKiepenheuer & Witsch, Köln 2025

192 Seiten

23,00 Euro

Meike Feßmann |
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Ist es einfach nur Angst? Oder wie muss man das diffuse Gefühl der Bedrohung beschreiben, das in der Luft liegt? „Striker“ ist ein kraftvoll düsterer Berlin-Roman. Er kreist um die namenlos bleibende N, die sich mit Kampfsport ihre Ängste vom Leib hält. Stilistisch virtuos fängt Helene Hegemanns vierter Roman die „Steigerungslogik“ unserer Gegenwart ein.
Beim Aufwachen denkt sie immer, es sei der Himmel, der da grau und trüb über ihrem Bett hängt. Doch es ist die Brandmauer des Nachbarhauses. Eines Morgens erscheinen dort wilde Zeichen. Wollen sie ihr womöglich etwas sagen? Das zu glauben, wäre ziemlich abgedreht, und genau das möchte N, die namenlose Hauptfigur des neuen Romans von Helene Hegemann, nicht sein.
Auch wenn sie eine Menge Sympathien für all die „Irren“ und Durchgeknallten hat, für die „Penner“ vor ihrer Haustür, deren manische Rituale ihr Respekt einflößen. „Striker“ ist ein kraftvoll düsterer Roman über unsere Gegenwart. Er fängt das diffuse Gefühl allgegenwärtiger Bedrohung ein, das nicht nur in Berlin, wo der Roman spielt, in der Luft hängt.

Angst als bestimmendes Lebensgefühl

N wohnt im fünften Stock eines Mietshauses nahe der Oberbaumbrücke auf der Kreuzberger Seite. Angst ist ganz offenkundig ihr bestimmendes Lebensgefühl. Also hat sie zu kämpfen gelernt, professionell und mit dem Einsatz des ganzen Körpers. Die Sportschule, in der sie trainiert und unterrichtet, ist neben ihrem Bett der einzige Ort, an dem sie sich einigermaßen sicher fühlt.
Der Roman beginnt am 8. November (des letzten Jahres, wie man schließen kann). In sieben Wochen soll sie in Tiflis gegen ihre Angstgegnerin kämpfen. Manchmal macht sie den Fehler, Ronda Shephard auf Instagram zu folgen. Jack Kerouac habe seine Generation an den Wahnsinn verloren, heißt es einmal. „N, die Jack Kerouac nicht kennt, aber mögen würde, verliert ihre Generation gerade an Instagram“. Dass das weniger harmlos ist, als es sich anhört, zeigt Hegemann auf jeder Seite.

Wahn und "Normalität"

Dissoziierte Identitäten und verschiedene Formen kriegerischer Stimmung prägen den Roman. Manchmal denkt man an die Paranoia eines Thomas Pynchon, die eben auch ein Stilmittel war, manchmal teilt man die Überlegung, dass die Menschen, die ihren Wahn nach außen tragen, vielleicht angemessener reagieren als all die stoisch auf ihre Smartphones blickenden „netten, normalen Menschen“.
Als Ivy, eine junge Obdachlose, vor ihrer Wohnungstür campiert, versetzt das N in helle Panik. Sie war fünf, als man ihr eine Wucherung im Gesicht wegoperiert hat. Der Schmerz war unerträglich. Nun empfindet sie Ivy als ihre zurückgekehrte dunkle Seite. Dabei weiß sie ganz genau, dass das nicht stimmt.

Ein beklemmend treffsicherer Berlin-Roman

Helene Hegemann überblendet Innen und Außen. Mal zoomt sie in N hinein, mal nimmt sie Abstand von ihr. Mit dem Stilmittel der erlebten Rede kreiert sie eine Erzählweise, die man im besten Sinne verschattet nennen kann. Wenn N mit der U-Bahnlinie 3 einmal quer durch die Stadt fährt, von Endstation zu Endstation, um in Zehlendorf eine Politikerin zu besuchen, mit der sie Sex hat, dann fährt sie an all den Graffiti vorbei, die jener Striker getaggt hat, nach dem der Roman benannt ist.
Ivy glaubt, er ziehe mit ihr in das Dachgeschoss über N ein. Das ist reine Fantasie, auch wenn Striker ein reales Vorbild hat. „Striker“ ist ein beklemmend treffsicherer Berlin-Roman. Er braucht nicht viel Platz, um die beunruhigende „Steigerungslogik“ einzufangen, die mittlerweile „jede Faser der Weltordnung“ durchdringt.
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