"Wieder auf die Menschheit losgelassen"
Erst der Bestseller "Axolotl Roadkill", jetzt Drehbuch und Regie bei der Verfilmung: Kultautorin Helene Hegemann wollte alles unbedingt selber machen. Warum? Weil sie keinen "Drogen-Teenie-Party-Film" eines 50-jährigen Regisseurs ertragen hätte.
Fast hätte sie "reinen Masochismus" als Argument für ihren Film angeführt - aber ganz so sei es dann doch nicht, sagt Hegemann. Es sei nur schon sehr oft vorgekommen, dass sich "erwachsene Männer in Teenagermädchen reinversetzen - was ja deren gutes Recht ist", aber sie habe gedacht: "Es soll der Teenager jetzt mal selber machen."
Die ihr Buch prägende Mischung aus Erzählung, Bewusstseinsstrom, Dialog, SMS gebe es im Film nicht. Dieses "Zerfetzte" lasse sich schlecht in einen 90-Minüter übertragen. Die Hauptfigur Mifti allerdings sei immer noch ein und dieselbe Person, allerdings sei die Perspektive eine andere: "Wenn man das Buch liest, ist man ja ausschließlich in ihr drin und mit ihr beschäftigt und guckt durch ihre Augen auf die Welt, die sie umgibt. Das ist im Film zwangsläufig anders. Da muss man die Außenwelt eben wieder zuliefern."
Eine junge, wütende, suchende Frau
Mit der Verfilmung schließt sich nach Ansicht Hegemanns kein thematischer Kreis für sie: "Man fragt sich, was diese Thematik ist oder was die eingrenzt. Ich habe letztens zu jemandem gesagt, der hat mir unterstellt, ich würde mich jetzt endlich mal lösen müssen von der Figur der jungen wütenden, suchenden Frau... und das ist natürlich schwierig (...), weil es ja bedeuten müsste, ich muss jetzt unbedingt mit mir selbst aufhören oder mit meiner gesellschaftlichen Position (...)". Das sei Quatsch:
"Es macht Spaß, wenn man merkt, man hat sich jetzt lange mit denselben Charakteren beschäftigt und jetzt sind die auch schon wieder auf die Menschheit losgelassen worden und jetzt kann man sich vielleicht mal neue überlegen. Das ist schon ein ganz gutes Gefühl."
An diesem Donnerstag kommt der Film, der beim Sundance Film Festival Premiere hatte, in die deutschen Kinos. (bth)
Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Mit 15 das erste Theaterstück, mit 17 der erste Film und der erste dicke Preis. Mit 18 der erste Roman, der erste Bestseller und der erste Skandal. Das Leben von Helene Hegemann scheint etwas schneller zu verlaufen als das anderer Menschen, und es wird auf immer untrennbar verbunden sein mit "Axolotl Overkill". Helene Hegemann hatte ein Kultbuch der Nuller Jahre geschrieben und wurde zum Gegenstand einer heftigen Literaturdebatte über Plagiat und Intertextualität. Morgen kommt die Verfilmung von "Axolotl Overkill" in die deutschen Kinos.
((O-Ton "Axolotl Overkill":))
Was ist das?
Ein Baby-Axolotl.
Was?
Baby-Axolotl. Eh, die werden so groß. Das ist das beste Tier überhaupt. Wenn ich's nicht besser wüsste, würde ich sagen, Disney hat die Dinger erfunden. Das ist ein Schwanzlurch aus der Familie der Querzahnmolche.
Querzahnmolche.
Querzahnmolche. Und das Krasse ist bei denen, die werden nie wirklich erwachsen. Die verbringen ihr Leben lang in so einem – wie nennt man das, in so einem – hat der gerade geniest? Der hat noch nie geniest.
Ein Ausschnitt aus "Axolotl Overkill". Der Film startet wie gesagt morgen. Heute schon ist Helene Hegemann am "Studio 9"-Telefon. Guten Morgen!
Helene Hegemann: Guten Morgen!
Welty: Buch, Drehbuch, Regie, alles Helene Hegemann. Warum diese Entscheidung, alles in einer Hand zu halten, warum nicht auch den Blick von außen wagen lassen?
Der Film war kein riesiges irrationales Herzensbedürfnis
Hegemann: Das habe ich mich zwischendurch auch mal ein bisschen, also öfter mal gefragt. Das hat, glaube ich, in erster Linie damit zu tun, dass ich Angst vor der Wiederholung eines Missverständnisses hatte. Es war jetzt nicht so, dass das ein riesiges irrationales Herzensbedürfnis war. Ich hätte mir auch gut vorstellen können zu dem Zeitpunkt, was anderes zu machen, mich nicht weiter an dieser Thematik abzuarbeiten.
Aber ich hatte die Filmrechte einbehalten und musste dementsprechend die Leute, die Interesse daran hatten, die zu kaufen, treffen, und habe festgestellt, wenn das jemand anderes macht, wird das wieder nur so ein Drogen-Teenie-Party-Film, und wahrscheinlich wird dafür verantwortlich sein auch wieder nur ein 50-jähriger Mann, was ja schon so wahnsinnig oft vorgekommen ist, dass sich erwachsene Männer in Teenagermädchen reinversetzen, was ja deren gutes Recht ist, aber wo ich dachte, das soll der Teenager jetzt mal selbst machen.
Welty: Das Buch "Axolotl Overkill" war ein großer Erfolg, aber auch eine heftige Diskussion wurde ausgelöst, die vor allem vor Ihrer Person nicht halt machte. Das popkulturelle Aschenputtel wurde zur Diebin geistigen Eigentums. Warum setzen Sie sich dem erneut aus, jetzt, wo der Film in die Kinos kommt? Denn mindestens drüber reden muss man ja jetzt noch mal.
Hegemann: Jetzt hätte ich gerade beinahe geantwortet, "reiner Masochismus", aber das stimmt natürlich nicht so ganz. Also in einer schwierigen Berichterstattung… also sobald ich mit Journalisten konfrontiert werde oder darüber rede oder so, wird das erstaunlich wenig aufgekocht, das, was da damals passiert ist.
Welty: Ich bin also die einzige Blöde?
Hegemann: Nein, obwohl – da sag ich jetzt einfach mal ja. Ja, schämen Sie sich. Nein, überhaupt nicht. Nein, aber da schlägt mir überhaupt keine Aggression entgegen oder so. Vermutlich auch deshalb, weil jeder, der sich auf ein Gespräch mit mir vorbereitet, ja weiß, dass dieser Skandal ein Stück weit ungerechtfertigt war, wenn man sich die Menge anguckt oder die vermeintlich plagiierte Menge, um die es da ging. Es war ja damals, es war ja kein abgeschriebenes Buch oder so. Es waren zwei Seiten von 200, die sich zusammensetzten aus modifizierten Sätzen aus anderen Quellen. Und ja, genau, ich glaube, das ist, wenn man es rückblickend betrachtet, kein ganz so großes Drama, wie man damals mal vermutet hatte.
Welty: Das Buch besteht aus einer ich will mal sagen wilden Mischung aus Erzählung, Bewusstseinsstrom, Dialog, SMS – wie haben Sie diese Vielzahl von Formen im Film umgesetzt?
Erstaunlich wenig Distanz zwischen Helene und Mifty
Hegemann: So gut wie gar nicht. Der Film ist ja auch – vergleichbar ist er natürlich mit dem Roman, aber er weicht ja schon ein Stück weit davon ab, und das hängt natürlich damit zusammen, dass dieses Stream-of-consciousness-Artige und dieses Zerfetzte und dieses aus dem Buch, dass man das schlecht übertragen kann in 90 Minuten Film. Da muss man sich irgendwie einen anderen Weg überlegen, um die Stimmung zumindest herstellen zu können, die vielleicht ein Leser empfunden hat, der das Buch gelesen hat. Ja, wir sind da ziemlich abgewichen.
Welty: Buch und Film tragen trotzdem einen gemeinsamen Namen, nämlich den des Lurches, der sich im Laufe seines Lebens kaum verändert, wir haben es eben auch im Ausschnitt gehört. Das gilt dann auch für die Hauptperson im Buch, nämlich für Mifty. Inwieweit hat sich Mifty im Film verändert?
Hegemann: Es ist immer noch ein und dieselbe Person. Die Perspektive ist nur eine andere. Wenn man das Buch liest, ist man ja ausschließlich in ihr drin und mit ihr beschäftigt und guckt durch ihre Augen auf die Welt, die sie umgibt. Und das ist im Film zwangsläufig anders, da muss man die Außenwelt irgendwie dazu liefern. Ich glaube, sie selbst hat sich gar nicht so groß geändert. Man empfindet aber was völlig anderes, wenn man den Film sieht, ihr gegenüber, weil man auf sie drauf guckt, anstatt aus ihr rauszugucken.
Welty: Es liegt nahe, dass es durchaus Parallelen gibt zwischen Mifty und Helene. Inzwischen ist Helene aber sieben Jahre älter geworden. Ist da auch ein Stück Distanz inzwischen zwischen Ihnen und Ihrer Figur?
Hegemann: Erstaunlich wenig eigentlich. Wie jemand drauf ist, hängt ja nicht ausschließlich mit dem Alter zusammen. Aber wahrscheinlich identifiziere ich mich dann mit der Schulleiterin inzwischen mehr als mit ihr.
Welty: Auch Autorinnen werden älter. Der Film ist ja bereits gezeigt worden, und zwar nicht irgendwo, sondern beim renommierten Sundance-Festival in Utah. Wie wurde er da aufgenommen?
Hegemann: Erstaunlich gut. So, dass ich ganz gerührt war, als ich dann nach der Premiere da auf der Bühne stand und noch ein paar Worte sagen musste, weil nicht alle rausgegangen waren. Das hatte mich schon mal sehr gefreut. Und das, was ich gehofft hatte, ist auch eingetreten, nämlich –
Welty: Wie, man freut sich darüber, wenn nicht alle aus dem Film rennen?
Ein Projekt über einen brasilianischen Kaufhausdetektiv?
Hegemann: Also ich bin so blöd, und gehe immer davon aus, man kann eh nur schrecklich finden, was ich mache. Deswegen ja, deswegen war ich ganz erleichtert. Ich habe die Premiere aber auch durchgezittert. Es war echt – ich war auf eine Weise nervös, mit der ich nicht gerechnet hatte, dass ich das jemals sein könnte. Es war wirklich heavy.
Und was dann so Kritiken betrifft und die Resonanz dort und so, das war genauso, wie ich es mir erhofft hatte, nämlich durchwachsen. 50 Prozent waren total begeistert, zehn Prozent wussten nicht so genau, und dann gab es wieder 40 Prozent, die damit gar nichts anfangen konnten. Und das ist ja immer ganz schön zu sehen, wenn was polarisiert oder wenn man merkt, man hat was gemacht, das können Leute blöd finden, das können Leute aber auch ganz toll finden. Das fand ich irgendwie gut.
Welty: Erwarten Sie das jetzt auch für Deutschland?
Hegemann: Ja, definitiv. Ich bin mal gespannt auf das Mischverhältnis.
Welty: Inwieweit schließt sich jetzt auch für Sie so ein Kreis? Ist das jetzt ein Abschluss einer bestimmten Thematik, oder geht die noch weiter?
Hegemann: Man fragt sich dann, was diese Thematik ist oder was die eingrenzt. Ich habe letztens zu jemandem gesagt, der hat mir unterstellt, ich würde mich jetzt endlich mal lösen müssen von der Figur der jungen, wütenden, suchenden Frau... und das ist natürlich schwierig – oder was heißt schwierig –, das so zu benennen, ist schwierig, weil es ja bedeuten müsste, ich muss jetzt unbedingt mit mir selbst aufhören oder mit meiner gesellschaftlichen Position oder so und jetzt über einen, was weiß ich, brasilianischen Kaufhausdetektiv oder so ein Projekt machen, nur um möglichst weit von dem, woran ich mich früher abgearbeitet habe, weg zu kommen.
Das ist natürlich Quatsch. Aber nein, es macht Spaß, wenn man merkt, man hat sich jetzt lange mit denselben Charakteren beschäftigt, und jetzt sind die auch schon wieder auf die Menschheit losgelassen worden, und jetzt kann man sich vielleicht mal neue überlegen. Das ist schon ein ganz gutes Gefühl.
Welty: Vor dem Start von "Axolotl Overkill" die Autorin und Regisseurin Helene Hegemann im "Studio 9"-Gespräch. Frau Hegemann, herzlichen Dank!
Hegemann: Ich danke Ihnen!
Welty: Ich möchte eine Korrektur nachtragen: Der Film von Helene Hegemann, der heißt "Axolotl Overkill", das Buch natürlich "Axolotl Roadkill."
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.